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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

Bern, den 13. Januar 1917.

Der österreichisch-ungarische Botschafter Fürst sah. steht sichtlich unter dem
Eindruck, daß die heute morgen veröffentlichte Antwortnote der Entente an Wilson
die Brücken für weitere Verhandlungen zwischen den beiden kriegführenden Mächte¬
gruppen abgebrochen hat. Er hatte bereits gestern sich Über die Grundlinien der
Note informieren können und beklagte die Publizität, die die ganze Friedens¬
aktion nunmehr erhalten habe und die einer den üblichen'Traditionen entsprechenden
diplomatischen Anknüpfung den Weg nicht gerade erleichtert habe. Ich hörte
weiter aus seinen Äußerungen eine gewisse Besorgnis über die scharfe Tonart
heraus, die die rechtsstehenden politischen Kreise in Deutschland neuerdings an¬
schlugen und die mehr oder minder auf Zunahme des Annexionismus in
Deutschland schließen ließe. Es ist dies eine Strömung, für die die maßgebenden
Kreise Wiens nicht sehr viel übrig haben, was mir auch wiederholte Äußerungen
von anderer österreichischer Seite bestätigt haben.

Auch hinsichtlich der polnischen Frage sprach sich der Botschafter sehr
sorgenvoll aus. Er hat sich seinerzeit in einem von ihm einverlangten Memorandum
gegen die Proklamation vom 5. November ausgesprochen und beruft sich nunmehr
darauf, daß die von den Militärs erhoffte Wirkung, nämlich die Gewinnung eines
starken freiwilligen Heeres, nicht errreicht worden sei.. Auf der anderen Seite
habe die Proklamation Rußland vollständig verprellt und Rußland sei nunmehr
innerhalb der Entente das tonangebende Element geworden, wenn es sich darum
handle, die Verbündeten bei der Stange zu halten.

Die gleiche Anschauung hat Graf L., dem ich heute einen längeren Besuch
abstattete. Er hat sich heute ausführlich über diesen Punkt ausgesprochen und das
Ergebnis aller ihm gewordenen Eindrücke und Informationen dahin zusammen¬
gefaßt, daß der Zar sich persönlich durch die polnische Sache engagiert fühle und
in einer geradezu rabiater Stimmung gegen Deutschland und Osterreich sei.




Zürich, den 19. Januar 1917

Wie ein roter Faden zieht sich durch die mir zugekommenen Informationen
über die Konferenz von Rom der Eindruck der Brutalität, den das Auftreten von
Herrn Lloyd George auf alle Teilnehmer an den Verhandlungen gemacht hat.
Llohd George scheute sich nicht, selbst Herrn Briand über den Mund zu fahren,
hat sich aber diesen eitlen Mann dadurch gänzlich attachiert, daß er ihm die
Redaktion der letzten großen Note der Entente an Wilson und ihre feierliche
Übermittlung an den amerikanischen Botschafter übertrug und dadurch sein
staatsmännisches Prestige in den Augen Frankreichs hob. Die Vorzugs¬
stellung, die Llohd George Herrn Briand einräumte, schmeichelt, wie mein
Gewährsmann betonte, dem französischen Nationalgefühl in außerordentlicher
Weise, und es sei ein Beweis der überlegenen staatsmännischen Klugheit des
leitenden englischen Staatsmannes, daß er, um Herrn Briand hinter den Kulissen
um so sicherer an die Leine zu bekommen, ihn in der Öffentlichkeit als den
xrimus inter xarss agieren ließe. Sonnino hat sich nach dem übereinstimmenden
Urteil aller im Lichte einer unbestreitbaren staatsmännischen Überlegenheit gezeigt,
da er mit ebenso ernsten wie nüchternen Worten für die Aufstellung des Minimums


Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

Bern, den 13. Januar 1917.

Der österreichisch-ungarische Botschafter Fürst sah. steht sichtlich unter dem
Eindruck, daß die heute morgen veröffentlichte Antwortnote der Entente an Wilson
die Brücken für weitere Verhandlungen zwischen den beiden kriegführenden Mächte¬
gruppen abgebrochen hat. Er hatte bereits gestern sich Über die Grundlinien der
Note informieren können und beklagte die Publizität, die die ganze Friedens¬
aktion nunmehr erhalten habe und die einer den üblichen'Traditionen entsprechenden
diplomatischen Anknüpfung den Weg nicht gerade erleichtert habe. Ich hörte
weiter aus seinen Äußerungen eine gewisse Besorgnis über die scharfe Tonart
heraus, die die rechtsstehenden politischen Kreise in Deutschland neuerdings an¬
schlugen und die mehr oder minder auf Zunahme des Annexionismus in
Deutschland schließen ließe. Es ist dies eine Strömung, für die die maßgebenden
Kreise Wiens nicht sehr viel übrig haben, was mir auch wiederholte Äußerungen
von anderer österreichischer Seite bestätigt haben.

Auch hinsichtlich der polnischen Frage sprach sich der Botschafter sehr
sorgenvoll aus. Er hat sich seinerzeit in einem von ihm einverlangten Memorandum
gegen die Proklamation vom 5. November ausgesprochen und beruft sich nunmehr
darauf, daß die von den Militärs erhoffte Wirkung, nämlich die Gewinnung eines
starken freiwilligen Heeres, nicht errreicht worden sei.. Auf der anderen Seite
habe die Proklamation Rußland vollständig verprellt und Rußland sei nunmehr
innerhalb der Entente das tonangebende Element geworden, wenn es sich darum
handle, die Verbündeten bei der Stange zu halten.

Die gleiche Anschauung hat Graf L., dem ich heute einen längeren Besuch
abstattete. Er hat sich heute ausführlich über diesen Punkt ausgesprochen und das
Ergebnis aller ihm gewordenen Eindrücke und Informationen dahin zusammen¬
gefaßt, daß der Zar sich persönlich durch die polnische Sache engagiert fühle und
in einer geradezu rabiater Stimmung gegen Deutschland und Osterreich sei.




Zürich, den 19. Januar 1917

Wie ein roter Faden zieht sich durch die mir zugekommenen Informationen
über die Konferenz von Rom der Eindruck der Brutalität, den das Auftreten von
Herrn Lloyd George auf alle Teilnehmer an den Verhandlungen gemacht hat.
Llohd George scheute sich nicht, selbst Herrn Briand über den Mund zu fahren,
hat sich aber diesen eitlen Mann dadurch gänzlich attachiert, daß er ihm die
Redaktion der letzten großen Note der Entente an Wilson und ihre feierliche
Übermittlung an den amerikanischen Botschafter übertrug und dadurch sein
staatsmännisches Prestige in den Augen Frankreichs hob. Die Vorzugs¬
stellung, die Llohd George Herrn Briand einräumte, schmeichelt, wie mein
Gewährsmann betonte, dem französischen Nationalgefühl in außerordentlicher
Weise, und es sei ein Beweis der überlegenen staatsmännischen Klugheit des
leitenden englischen Staatsmannes, daß er, um Herrn Briand hinter den Kulissen
um so sicherer an die Leine zu bekommen, ihn in der Öffentlichkeit als den
xrimus inter xarss agieren ließe. Sonnino hat sich nach dem übereinstimmenden
Urteil aller im Lichte einer unbestreitbaren staatsmännischen Überlegenheit gezeigt,
da er mit ebenso ernsten wie nüchternen Worten für die Aufstellung des Minimums


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/186>, abgerufen am 17.06.2024.