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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

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wahrgenommen, um ihrerseits auf Durch¬
führung der unbedingten Koalitionsfreiheit
W dringen. Die erste preußische Gewerbe¬
ordnung vom Jahre 18 "S brachte dann auch
den Arbeitern eine beschränkte Koalitions¬
freiheit, die durch die M 162, 1K3 der neuen
Preußischen Gewerbeordnung von 1869 er¬
weitert w"rde. Die Gewerbeordnung wurde
nach Gründung des Deutschen Reiches auch
auf die übrigen Bundesstaaten ausgedehnt.
Erst die neue deutsche Reichsverfassung vom
11. August 1919 gab mit dem Ariikel 139
allen Arbeitnehmern und Arbeitgebern völlige
Koalitionsfreiheit.

In welcher Weise die Koalitionsfreiheit
von einem großen Teil der nicht in gewerb¬
lichen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer
ausgenutzt wurde, hat das deutsche Volk seit
der Revolution zur Genüge am eigenen Leibe
verspürt. Aus diesem Grunde ergab sich in
Deutschland die volkswirtschaftliche Not¬
wendigkeit einer eingeschränkten Streikfreiheit.
Andere Länder waren in dieser Beredung
Deutschland schon vorangegangen. So hatte das
Wirtschaftsleben Australiens 1913 durch einen

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großen Streik der Hafenarbeiter zu leiden,
da die Fleischausfuhr stockte, das in den
Lagerhäusern aufgestapelte Fleisch zu ver¬
derben drohte und die Konsumenten (England)
ohne Zufuhr waren. Da wurde von einigen
Landwirten eine Organisation ins Leben ge¬
rufen, die sich aus Freiwilligen zusammensetzte
und die die unbedingt notwendigen Arbeiten,
das Löschen der Dampfer, vornahm. Ähnliche
Bewegungen sind 1909 in Schweden zu ver¬
zeichnen, 1911 in Spanien und 19l8 in
England. Das Parallele Entstehen dieser
Organisationen in allen Industriestaaten
(Anurika 1919, Frankreich 1920, Oster¬
reich 1920, Dänemark 1920, Italien 1920)
überzeugt den Volkswirtschaftler von der wirt¬
schaftlichen Notwendigkeit der Organisationen.
Als Grund ist die von Marx schon prophezeite
Verschärfung des Klassenkampfes anzusehen.
Als volkswirtschaftlicher Beurteiler müssen
wir sagen, daß in keinem Lande die Organisation
so objektiv arbeiten kann wie in Deutschland,
da es sich hier um rein staatliche Organisationen
ohne Unterstützung von privaten Mitteln
handelt, indessen in allen anderen Ländern

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Drinnen und draußen

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wahrgenommen, um ihrerseits auf Durch¬
führung der unbedingten Koalitionsfreiheit
W dringen. Die erste preußische Gewerbe¬
ordnung vom Jahre 18 »S brachte dann auch
den Arbeitern eine beschränkte Koalitions¬
freiheit, die durch die M 162, 1K3 der neuen
Preußischen Gewerbeordnung von 1869 er¬
weitert w»rde. Die Gewerbeordnung wurde
nach Gründung des Deutschen Reiches auch
auf die übrigen Bundesstaaten ausgedehnt.
Erst die neue deutsche Reichsverfassung vom
11. August 1919 gab mit dem Ariikel 139
allen Arbeitnehmern und Arbeitgebern völlige
Koalitionsfreiheit.

In welcher Weise die Koalitionsfreiheit
von einem großen Teil der nicht in gewerb¬
lichen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer
ausgenutzt wurde, hat das deutsche Volk seit
der Revolution zur Genüge am eigenen Leibe
verspürt. Aus diesem Grunde ergab sich in
Deutschland die volkswirtschaftliche Not¬
wendigkeit einer eingeschränkten Streikfreiheit.
Andere Länder waren in dieser Beredung
Deutschland schon vorangegangen. So hatte das
Wirtschaftsleben Australiens 1913 durch einen

[Spaltenumbruch]

großen Streik der Hafenarbeiter zu leiden,
da die Fleischausfuhr stockte, das in den
Lagerhäusern aufgestapelte Fleisch zu ver¬
derben drohte und die Konsumenten (England)
ohne Zufuhr waren. Da wurde von einigen
Landwirten eine Organisation ins Leben ge¬
rufen, die sich aus Freiwilligen zusammensetzte
und die die unbedingt notwendigen Arbeiten,
das Löschen der Dampfer, vornahm. Ähnliche
Bewegungen sind 1909 in Schweden zu ver¬
zeichnen, 1911 in Spanien und 19l8 in
England. Das Parallele Entstehen dieser
Organisationen in allen Industriestaaten
(Anurika 1919, Frankreich 1920, Oster¬
reich 1920, Dänemark 1920, Italien 1920)
überzeugt den Volkswirtschaftler von der wirt¬
schaftlichen Notwendigkeit der Organisationen.
Als Grund ist die von Marx schon prophezeite
Verschärfung des Klassenkampfes anzusehen.
Als volkswirtschaftlicher Beurteiler müssen
wir sagen, daß in keinem Lande die Organisation
so objektiv arbeiten kann wie in Deutschland,
da es sich hier um rein staatliche Organisationen
ohne Unterstützung von privaten Mitteln
handelt, indessen in allen anderen Ländern

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[0149] Drinnen und draußen wahrgenommen, um ihrerseits auf Durch¬ führung der unbedingten Koalitionsfreiheit W dringen. Die erste preußische Gewerbe¬ ordnung vom Jahre 18 »S brachte dann auch den Arbeitern eine beschränkte Koalitions¬ freiheit, die durch die M 162, 1K3 der neuen Preußischen Gewerbeordnung von 1869 er¬ weitert w»rde. Die Gewerbeordnung wurde nach Gründung des Deutschen Reiches auch auf die übrigen Bundesstaaten ausgedehnt. Erst die neue deutsche Reichsverfassung vom 11. August 1919 gab mit dem Ariikel 139 allen Arbeitnehmern und Arbeitgebern völlige Koalitionsfreiheit. In welcher Weise die Koalitionsfreiheit von einem großen Teil der nicht in gewerb¬ lichen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer ausgenutzt wurde, hat das deutsche Volk seit der Revolution zur Genüge am eigenen Leibe verspürt. Aus diesem Grunde ergab sich in Deutschland die volkswirtschaftliche Not¬ wendigkeit einer eingeschränkten Streikfreiheit. Andere Länder waren in dieser Beredung Deutschland schon vorangegangen. So hatte das Wirtschaftsleben Australiens 1913 durch einen großen Streik der Hafenarbeiter zu leiden, da die Fleischausfuhr stockte, das in den Lagerhäusern aufgestapelte Fleisch zu ver¬ derben drohte und die Konsumenten (England) ohne Zufuhr waren. Da wurde von einigen Landwirten eine Organisation ins Leben ge¬ rufen, die sich aus Freiwilligen zusammensetzte und die die unbedingt notwendigen Arbeiten, das Löschen der Dampfer, vornahm. Ähnliche Bewegungen sind 1909 in Schweden zu ver¬ zeichnen, 1911 in Spanien und 19l8 in England. Das Parallele Entstehen dieser Organisationen in allen Industriestaaten (Anurika 1919, Frankreich 1920, Oster¬ reich 1920, Dänemark 1920, Italien 1920) überzeugt den Volkswirtschaftler von der wirt¬ schaftlichen Notwendigkeit der Organisationen. Als Grund ist die von Marx schon prophezeite Verschärfung des Klassenkampfes anzusehen. Als volkswirtschaftlicher Beurteiler müssen wir sagen, daß in keinem Lande die Organisation so objektiv arbeiten kann wie in Deutschland, da es sich hier um rein staatliche Organisationen ohne Unterstützung von privaten Mitteln handelt, indessen in allen anderen Ländern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/149>, abgerufen am 22.05.2024.