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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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bestimmungeri berichtet. Danach sind es immer wieder die französischen Staats¬
männer gewesen, die aus Furcht, zu wenig zu bekommen, eine Festsetzung der
deutschen Verpflichtung verhindert haben. Und wer ist es denn letzten Endes
anders gewesen, der die Zulassung deutscher Delegierter auf der Friedenskonferenz
verhindert hat, als die Franzosen? Und nun wundern sie sich, wenn sie für die
Folgen dieses Verfahrens verantwortlich gemacht werden?"

Unter diesen Umständen wird man guttun, auf die Hoffnung nach "Einsicht
auf feiten der Franzosen nicht allzu fest zu vertrauen, sondern sich klarzumachen,
was eintritt, wenn diese Einsicht nicht kommt oder sich nicht durchsetzt. Mit
seltenem Freimut hat kürzlich in einem dem Berichterstatter der Libertö gewährten
und durch Unterlassung jeder überflüssigen Deklamation sich wohltuend aus¬
zeichnenden Interview Walter Rathenau die Lage skizziert. Danach bestehen
sechzig Prozent Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Reich in einer vielleicht schon
nahen Zukunft in drei Teile zerfällt: Bayern, dem sich die Trümmer Österreichs
zugesellen werden, die Rheinlande, die jedes Interesse daran haben, die ihnen von
Frankreich gebotenen Vorteile anzunehmen, und den Nest Preußen, Hessen, Sachsen,
Hannover, der, der Grundlagen seiner Existenz beraubt und nicht imstande, sich
selbst zu erhalten, den Sprung in den Bolschewismus zu tun gezwungen sein wird,
unter diesen Umständen die einzig normale und logisch mögliche Lösung. (Vgl.
dazu auch die Ausführungen Needras in Heft 37/38 der "Grenzboten".) Man
kann über die weiteren Äußerungen Rathenaus über die deutsche Form des
Bolschewismus und über dessen Expansionsmöglichkeiten verschiedener Meinung
sein, daß das Reich unmittelbar vor dem Zerfall steht, kann nur dem entgehen,
der nicht sehen will. Den Franzosen kommen allerdings in letzter Stunde
Bedenken, daß der bayerische Partikularismus am Ende nur eine Gesundung des
Reiches auf neuer Grundlage anstrebe, aber die Dinge sind schon zu weit gediehen,
als daß man sie aufhalten könnte, es ist nicht möglich, eine lange Zeit planmäßig
betriebene Politik plötzlich umzusteuern, eine Zeitlang fährt jedes mit Hochdampf
geleitete Schiff noch in der alten Richtung weiter. I)r. Heim spricht in Budapest
schon mit aller Seelenruhe von der bevorstehenden bayerischen Restauration und
zwischen München und Wien wird eifrig verhandelt, daran vermögen alle offiziellen
Beschwichtigungsversuche nichts zu ändern. Diese Bertuschungsversuche können nur
üble Überraschungen zur Folge haben. Man decke endlich die Karten auf und zeige,
was gespielt wird. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder Bayern macht, seinen
Sonderinteressen zuliebe, die Berliner Politik nicht mehr mit undMlägt eine Bahn
ein, die, zufällig oder nicht, auch Frankreichs Regierung einzuschlagen für geboten hält.
Oder Bayern steht unter allen Umständen in erster Linie zum Reich, verlangt aber an
Preußens oder Berlins Stelle die Führung in Deutschland. Dann wird eine offene
Aussprache, die dringend notwendig ist, nur heilsam sein können. Auf jeden Fall aber
mögen sich die bayerischen "Föderalisten" vor der verhängnisvollen Illusion
hüten, daß ihr Weg ihr Land vor den Folgen des Versailler Vertrages retten
könnte. Die bayerische Industrie zum mindesten würde sofort französischen Interessen
dienstbar, aber auch der ersehnte Bauernstaat müßte nur der französischen 'Pollen
in Zentraleuropa als Brücke dienen. Auch glaube man in München nur nicht,
das Mittel zur Angliederung Österreichs an Deutschland gefunden zu haben. Hat^
Frankreich die unumschränkte Macht nicht, die es wirklich besitzt, wäre Englar"
an der Donau noch so mächtig wie es vor einem Jahre war, es möchte gehen-
Jetzt geht es nicht. Im gleichen Augenblick, da der entscheidende Schritt in
Bayern geschieht, sind von Frankreichs Gnaden auch die Habsburger wieder aus
dem Plan und wird es zwischen Habsburg und Wittelsbach die gleichen Reibungen
geben wie zwischen Bayern und Preußen. Bayern gibt sich Frankreich gegenüber
ganz ähnlichen Illusionen hin, wie das Reich England oder Italien gegenüber-
Frankreich wird Bayern nicht "helfen", sondern es lediglich, weil es der Stärkere
ist, zur Verwirklichung seiner eigenen Pläne benutzen. > ^

Diese sind, wie die Entwicklung in Zentraleuropa und auf dem Balkan
beweist, großzügig und weitausgreifend und haben drei Ziele: Die Bildung eines


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bestimmungeri berichtet. Danach sind es immer wieder die französischen Staats¬
männer gewesen, die aus Furcht, zu wenig zu bekommen, eine Festsetzung der
deutschen Verpflichtung verhindert haben. Und wer ist es denn letzten Endes
anders gewesen, der die Zulassung deutscher Delegierter auf der Friedenskonferenz
verhindert hat, als die Franzosen? Und nun wundern sie sich, wenn sie für die
Folgen dieses Verfahrens verantwortlich gemacht werden?"

Unter diesen Umständen wird man guttun, auf die Hoffnung nach „Einsicht
auf feiten der Franzosen nicht allzu fest zu vertrauen, sondern sich klarzumachen,
was eintritt, wenn diese Einsicht nicht kommt oder sich nicht durchsetzt. Mit
seltenem Freimut hat kürzlich in einem dem Berichterstatter der Libertö gewährten
und durch Unterlassung jeder überflüssigen Deklamation sich wohltuend aus¬
zeichnenden Interview Walter Rathenau die Lage skizziert. Danach bestehen
sechzig Prozent Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Reich in einer vielleicht schon
nahen Zukunft in drei Teile zerfällt: Bayern, dem sich die Trümmer Österreichs
zugesellen werden, die Rheinlande, die jedes Interesse daran haben, die ihnen von
Frankreich gebotenen Vorteile anzunehmen, und den Nest Preußen, Hessen, Sachsen,
Hannover, der, der Grundlagen seiner Existenz beraubt und nicht imstande, sich
selbst zu erhalten, den Sprung in den Bolschewismus zu tun gezwungen sein wird,
unter diesen Umständen die einzig normale und logisch mögliche Lösung. (Vgl.
dazu auch die Ausführungen Needras in Heft 37/38 der „Grenzboten".) Man
kann über die weiteren Äußerungen Rathenaus über die deutsche Form des
Bolschewismus und über dessen Expansionsmöglichkeiten verschiedener Meinung
sein, daß das Reich unmittelbar vor dem Zerfall steht, kann nur dem entgehen,
der nicht sehen will. Den Franzosen kommen allerdings in letzter Stunde
Bedenken, daß der bayerische Partikularismus am Ende nur eine Gesundung des
Reiches auf neuer Grundlage anstrebe, aber die Dinge sind schon zu weit gediehen,
als daß man sie aufhalten könnte, es ist nicht möglich, eine lange Zeit planmäßig
betriebene Politik plötzlich umzusteuern, eine Zeitlang fährt jedes mit Hochdampf
geleitete Schiff noch in der alten Richtung weiter. I)r. Heim spricht in Budapest
schon mit aller Seelenruhe von der bevorstehenden bayerischen Restauration und
zwischen München und Wien wird eifrig verhandelt, daran vermögen alle offiziellen
Beschwichtigungsversuche nichts zu ändern. Diese Bertuschungsversuche können nur
üble Überraschungen zur Folge haben. Man decke endlich die Karten auf und zeige,
was gespielt wird. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder Bayern macht, seinen
Sonderinteressen zuliebe, die Berliner Politik nicht mehr mit undMlägt eine Bahn
ein, die, zufällig oder nicht, auch Frankreichs Regierung einzuschlagen für geboten hält.
Oder Bayern steht unter allen Umständen in erster Linie zum Reich, verlangt aber an
Preußens oder Berlins Stelle die Führung in Deutschland. Dann wird eine offene
Aussprache, die dringend notwendig ist, nur heilsam sein können. Auf jeden Fall aber
mögen sich die bayerischen „Föderalisten" vor der verhängnisvollen Illusion
hüten, daß ihr Weg ihr Land vor den Folgen des Versailler Vertrages retten
könnte. Die bayerische Industrie zum mindesten würde sofort französischen Interessen
dienstbar, aber auch der ersehnte Bauernstaat müßte nur der französischen 'Pollen
in Zentraleuropa als Brücke dienen. Auch glaube man in München nur nicht,
das Mittel zur Angliederung Österreichs an Deutschland gefunden zu haben. Hat^
Frankreich die unumschränkte Macht nicht, die es wirklich besitzt, wäre Englar»
an der Donau noch so mächtig wie es vor einem Jahre war, es möchte gehen-
Jetzt geht es nicht. Im gleichen Augenblick, da der entscheidende Schritt in
Bayern geschieht, sind von Frankreichs Gnaden auch die Habsburger wieder aus
dem Plan und wird es zwischen Habsburg und Wittelsbach die gleichen Reibungen
geben wie zwischen Bayern und Preußen. Bayern gibt sich Frankreich gegenüber
ganz ähnlichen Illusionen hin, wie das Reich England oder Italien gegenüber-
Frankreich wird Bayern nicht „helfen", sondern es lediglich, weil es der Stärkere
ist, zur Verwirklichung seiner eigenen Pläne benutzen. > ^

Diese sind, wie die Entwicklung in Zentraleuropa und auf dem Balkan
beweist, großzügig und weitausgreifend und haben drei Ziele: Die Bildung eines


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[0044] lVeltspiegel bestimmungeri berichtet. Danach sind es immer wieder die französischen Staats¬ männer gewesen, die aus Furcht, zu wenig zu bekommen, eine Festsetzung der deutschen Verpflichtung verhindert haben. Und wer ist es denn letzten Endes anders gewesen, der die Zulassung deutscher Delegierter auf der Friedenskonferenz verhindert hat, als die Franzosen? Und nun wundern sie sich, wenn sie für die Folgen dieses Verfahrens verantwortlich gemacht werden?" Unter diesen Umständen wird man guttun, auf die Hoffnung nach „Einsicht auf feiten der Franzosen nicht allzu fest zu vertrauen, sondern sich klarzumachen, was eintritt, wenn diese Einsicht nicht kommt oder sich nicht durchsetzt. Mit seltenem Freimut hat kürzlich in einem dem Berichterstatter der Libertö gewährten und durch Unterlassung jeder überflüssigen Deklamation sich wohltuend aus¬ zeichnenden Interview Walter Rathenau die Lage skizziert. Danach bestehen sechzig Prozent Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Reich in einer vielleicht schon nahen Zukunft in drei Teile zerfällt: Bayern, dem sich die Trümmer Österreichs zugesellen werden, die Rheinlande, die jedes Interesse daran haben, die ihnen von Frankreich gebotenen Vorteile anzunehmen, und den Nest Preußen, Hessen, Sachsen, Hannover, der, der Grundlagen seiner Existenz beraubt und nicht imstande, sich selbst zu erhalten, den Sprung in den Bolschewismus zu tun gezwungen sein wird, unter diesen Umständen die einzig normale und logisch mögliche Lösung. (Vgl. dazu auch die Ausführungen Needras in Heft 37/38 der „Grenzboten".) Man kann über die weiteren Äußerungen Rathenaus über die deutsche Form des Bolschewismus und über dessen Expansionsmöglichkeiten verschiedener Meinung sein, daß das Reich unmittelbar vor dem Zerfall steht, kann nur dem entgehen, der nicht sehen will. Den Franzosen kommen allerdings in letzter Stunde Bedenken, daß der bayerische Partikularismus am Ende nur eine Gesundung des Reiches auf neuer Grundlage anstrebe, aber die Dinge sind schon zu weit gediehen, als daß man sie aufhalten könnte, es ist nicht möglich, eine lange Zeit planmäßig betriebene Politik plötzlich umzusteuern, eine Zeitlang fährt jedes mit Hochdampf geleitete Schiff noch in der alten Richtung weiter. I)r. Heim spricht in Budapest schon mit aller Seelenruhe von der bevorstehenden bayerischen Restauration und zwischen München und Wien wird eifrig verhandelt, daran vermögen alle offiziellen Beschwichtigungsversuche nichts zu ändern. Diese Bertuschungsversuche können nur üble Überraschungen zur Folge haben. Man decke endlich die Karten auf und zeige, was gespielt wird. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder Bayern macht, seinen Sonderinteressen zuliebe, die Berliner Politik nicht mehr mit undMlägt eine Bahn ein, die, zufällig oder nicht, auch Frankreichs Regierung einzuschlagen für geboten hält. Oder Bayern steht unter allen Umständen in erster Linie zum Reich, verlangt aber an Preußens oder Berlins Stelle die Führung in Deutschland. Dann wird eine offene Aussprache, die dringend notwendig ist, nur heilsam sein können. Auf jeden Fall aber mögen sich die bayerischen „Föderalisten" vor der verhängnisvollen Illusion hüten, daß ihr Weg ihr Land vor den Folgen des Versailler Vertrages retten könnte. Die bayerische Industrie zum mindesten würde sofort französischen Interessen dienstbar, aber auch der ersehnte Bauernstaat müßte nur der französischen 'Pollen in Zentraleuropa als Brücke dienen. Auch glaube man in München nur nicht, das Mittel zur Angliederung Österreichs an Deutschland gefunden zu haben. Hat^ Frankreich die unumschränkte Macht nicht, die es wirklich besitzt, wäre Englar» an der Donau noch so mächtig wie es vor einem Jahre war, es möchte gehen- Jetzt geht es nicht. Im gleichen Augenblick, da der entscheidende Schritt in Bayern geschieht, sind von Frankreichs Gnaden auch die Habsburger wieder aus dem Plan und wird es zwischen Habsburg und Wittelsbach die gleichen Reibungen geben wie zwischen Bayern und Preußen. Bayern gibt sich Frankreich gegenüber ganz ähnlichen Illusionen hin, wie das Reich England oder Italien gegenüber- Frankreich wird Bayern nicht „helfen", sondern es lediglich, weil es der Stärkere ist, zur Verwirklichung seiner eigenen Pläne benutzen. > ^ Diese sind, wie die Entwicklung in Zentraleuropa und auf dem Balkan beweist, großzügig und weitausgreifend und haben drei Ziele: Die Bildung eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/44>, abgerufen am 05.06.2024.