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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Anthroposophie, Biologie und Christentum

Aber dieser leiblose Geist und Goethe? -- Dieser abstrakte Repetitor des
paragraphierten Geistes -- kein philosophisches System arbeitet so viel mit 1, 2, 3
wie dieses -- und der Mensch, der, was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, in
seinem innern Selbst empfindet? Dieser Unverwundbare und Goethe, den, wie
er an Schiller schreibt, daL Dichten einer Tragödie zerstört haben würde? --
Ist die Analogie mehr als die, daß beide Meister sind, um die sich Jünger
scharen?

Aber davon soll erst später, nach der Betrachtung der Lehre gesprochen
werden. Daß wir überhaupt soviel von der Person des Führers handelten, das
rechtfertigen die Anhänger selbst, die ihn zum Propheten machen, indem sie ihre
Hauptkraft auf die Stützung seiner Autorität verwenden.

Soweit das Zeitgeschichtliche. Hinzufügen ließe sich nur noch, daß in
diesem Lichte die anthroposophische Bewegung für relativ gefahrlos, ja in ihren
Früchten an einzelnen Menschen sogar für nützlich gehalten werden kann. Das
versichern ja auch manche sachliche Gegner, daß der ethisch bildende Wert in vielen
Fällen anzuerkennen sei. Und es ist doch Wohl so, daß jeder Gemeinschaftskreis,
der ein starkes, nicht flaches oder gemein-egoistisches Leben in sich zu nähren
vermag, heute zu begrüßen ist, wo aus vielen einzelnen Keimzentren heraus das
neue Leben in unserem Volke heranwachsen und zusammenfließen muß. Soweit
kann man also mit den Anthroposophen sympathisieren, auch wenn man die
Anthroposophie als solche ablehnen muß, ja vielleicht noch ein Stück weiter.
Was eben der Name Goethe auch bedeutet: das Leben aus einem Kerne heraus,
der Wille, keine Kluft zwischen Leben und Erkenntnis gelten zu lassen, die Sehnsucht
aus der Spezialität zur Totalität, kurz nach Metaphysik überhaupt, das scheint
mir wirklich in der Richtung unserer Zeit und der Aufgabe des deutschen Geistes
zu liegen



Aber was bezeichnet denn der Name Anthroposophie eigentlich?

^'>/,w5o?-o'a?>-a, Weisheit vom Menschen, ist ein von Steiner geprägtes
Wort und in Gegensatz gestellt zur Anthropo-logie, der Lehre vom Menschen.
Steiner definiert den Unterschied so, daß die Anthroposophie von der geistigen
Wesenheit des Menschen ausgeht, während die Anthropologie von der Physis, der
leiblichen Natur aus forsche. Die Anthroposophie ist die von Steiner geführtes
deutsche (aber über die deutschen Grenzen hinauswirkende) Gruppe der theo-
sophischen Bewegung, welch letztere in verschiedene Gesellschaften und Organisationen
geteilt ist. Ihren Ausgang nahm diese theosophische Bewegung (es hat in früheren-
Zeiten schon mehrfach Bildungen dieses Namens gegeben, die sich als christliche/
besser Wohl scheinchristliche Ableger der Kabbala, der jüdisch-messianischen Mystik-
erweisen und szum Teil) noch fortexisticren), die heute vorherrschende theosophische
Bewegung nahm ihren Ausgang von Indien, von Adyar, wo die Väter respektive
Mütter dieser Kirche -- Frau Blavatzky, Oberst Olcott und vor allem Annie
Besantihr Hauptquärtiex hatten. , .'

Diese angloindische Theosophie ist wesentlich indisch-asketischen Ursprungs.
Manche Kritiker sehen in den theosophischen Häuptern nur Werkzeuge in den
Händen indischer Hintermänner, bezeichnen sie als unbewußte Diener eines Hindu"


Anthroposophie, Biologie und Christentum

Aber dieser leiblose Geist und Goethe? — Dieser abstrakte Repetitor des
paragraphierten Geistes — kein philosophisches System arbeitet so viel mit 1, 2, 3
wie dieses — und der Mensch, der, was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, in
seinem innern Selbst empfindet? Dieser Unverwundbare und Goethe, den, wie
er an Schiller schreibt, daL Dichten einer Tragödie zerstört haben würde? —
Ist die Analogie mehr als die, daß beide Meister sind, um die sich Jünger
scharen?

Aber davon soll erst später, nach der Betrachtung der Lehre gesprochen
werden. Daß wir überhaupt soviel von der Person des Führers handelten, das
rechtfertigen die Anhänger selbst, die ihn zum Propheten machen, indem sie ihre
Hauptkraft auf die Stützung seiner Autorität verwenden.

Soweit das Zeitgeschichtliche. Hinzufügen ließe sich nur noch, daß in
diesem Lichte die anthroposophische Bewegung für relativ gefahrlos, ja in ihren
Früchten an einzelnen Menschen sogar für nützlich gehalten werden kann. Das
versichern ja auch manche sachliche Gegner, daß der ethisch bildende Wert in vielen
Fällen anzuerkennen sei. Und es ist doch Wohl so, daß jeder Gemeinschaftskreis,
der ein starkes, nicht flaches oder gemein-egoistisches Leben in sich zu nähren
vermag, heute zu begrüßen ist, wo aus vielen einzelnen Keimzentren heraus das
neue Leben in unserem Volke heranwachsen und zusammenfließen muß. Soweit
kann man also mit den Anthroposophen sympathisieren, auch wenn man die
Anthroposophie als solche ablehnen muß, ja vielleicht noch ein Stück weiter.
Was eben der Name Goethe auch bedeutet: das Leben aus einem Kerne heraus,
der Wille, keine Kluft zwischen Leben und Erkenntnis gelten zu lassen, die Sehnsucht
aus der Spezialität zur Totalität, kurz nach Metaphysik überhaupt, das scheint
mir wirklich in der Richtung unserer Zeit und der Aufgabe des deutschen Geistes
zu liegen



Aber was bezeichnet denn der Name Anthroposophie eigentlich?

^'>/,w5o?-o'a?>-a, Weisheit vom Menschen, ist ein von Steiner geprägtes
Wort und in Gegensatz gestellt zur Anthropo-logie, der Lehre vom Menschen.
Steiner definiert den Unterschied so, daß die Anthroposophie von der geistigen
Wesenheit des Menschen ausgeht, während die Anthropologie von der Physis, der
leiblichen Natur aus forsche. Die Anthroposophie ist die von Steiner geführtes
deutsche (aber über die deutschen Grenzen hinauswirkende) Gruppe der theo-
sophischen Bewegung, welch letztere in verschiedene Gesellschaften und Organisationen
geteilt ist. Ihren Ausgang nahm diese theosophische Bewegung (es hat in früheren-
Zeiten schon mehrfach Bildungen dieses Namens gegeben, die sich als christliche/
besser Wohl scheinchristliche Ableger der Kabbala, der jüdisch-messianischen Mystik-
erweisen und szum Teil) noch fortexisticren), die heute vorherrschende theosophische
Bewegung nahm ihren Ausgang von Indien, von Adyar, wo die Väter respektive
Mütter dieser Kirche — Frau Blavatzky, Oberst Olcott und vor allem Annie
Besantihr Hauptquärtiex hatten. , .'

Diese angloindische Theosophie ist wesentlich indisch-asketischen Ursprungs.
Manche Kritiker sehen in den theosophischen Häuptern nur Werkzeuge in den
Händen indischer Hintermänner, bezeichnen sie als unbewußte Diener eines Hindu»


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[0278] Anthroposophie, Biologie und Christentum Aber dieser leiblose Geist und Goethe? — Dieser abstrakte Repetitor des paragraphierten Geistes — kein philosophisches System arbeitet so viel mit 1, 2, 3 wie dieses — und der Mensch, der, was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, in seinem innern Selbst empfindet? Dieser Unverwundbare und Goethe, den, wie er an Schiller schreibt, daL Dichten einer Tragödie zerstört haben würde? — Ist die Analogie mehr als die, daß beide Meister sind, um die sich Jünger scharen? Aber davon soll erst später, nach der Betrachtung der Lehre gesprochen werden. Daß wir überhaupt soviel von der Person des Führers handelten, das rechtfertigen die Anhänger selbst, die ihn zum Propheten machen, indem sie ihre Hauptkraft auf die Stützung seiner Autorität verwenden. Soweit das Zeitgeschichtliche. Hinzufügen ließe sich nur noch, daß in diesem Lichte die anthroposophische Bewegung für relativ gefahrlos, ja in ihren Früchten an einzelnen Menschen sogar für nützlich gehalten werden kann. Das versichern ja auch manche sachliche Gegner, daß der ethisch bildende Wert in vielen Fällen anzuerkennen sei. Und es ist doch Wohl so, daß jeder Gemeinschaftskreis, der ein starkes, nicht flaches oder gemein-egoistisches Leben in sich zu nähren vermag, heute zu begrüßen ist, wo aus vielen einzelnen Keimzentren heraus das neue Leben in unserem Volke heranwachsen und zusammenfließen muß. Soweit kann man also mit den Anthroposophen sympathisieren, auch wenn man die Anthroposophie als solche ablehnen muß, ja vielleicht noch ein Stück weiter. Was eben der Name Goethe auch bedeutet: das Leben aus einem Kerne heraus, der Wille, keine Kluft zwischen Leben und Erkenntnis gelten zu lassen, die Sehnsucht aus der Spezialität zur Totalität, kurz nach Metaphysik überhaupt, das scheint mir wirklich in der Richtung unserer Zeit und der Aufgabe des deutschen Geistes zu liegen Aber was bezeichnet denn der Name Anthroposophie eigentlich? ^'>/,w5o?-o'a?>-a, Weisheit vom Menschen, ist ein von Steiner geprägtes Wort und in Gegensatz gestellt zur Anthropo-logie, der Lehre vom Menschen. Steiner definiert den Unterschied so, daß die Anthroposophie von der geistigen Wesenheit des Menschen ausgeht, während die Anthropologie von der Physis, der leiblichen Natur aus forsche. Die Anthroposophie ist die von Steiner geführtes deutsche (aber über die deutschen Grenzen hinauswirkende) Gruppe der theo- sophischen Bewegung, welch letztere in verschiedene Gesellschaften und Organisationen geteilt ist. Ihren Ausgang nahm diese theosophische Bewegung (es hat in früheren- Zeiten schon mehrfach Bildungen dieses Namens gegeben, die sich als christliche/ besser Wohl scheinchristliche Ableger der Kabbala, der jüdisch-messianischen Mystik- erweisen und szum Teil) noch fortexisticren), die heute vorherrschende theosophische Bewegung nahm ihren Ausgang von Indien, von Adyar, wo die Väter respektive Mütter dieser Kirche — Frau Blavatzky, Oberst Olcott und vor allem Annie Besantihr Hauptquärtiex hatten. , .' Diese angloindische Theosophie ist wesentlich indisch-asketischen Ursprungs. Manche Kritiker sehen in den theosophischen Häuptern nur Werkzeuge in den Händen indischer Hintermänner, bezeichnen sie als unbewußte Diener eines Hindu»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/278>, abgerufen am 16.06.2024.