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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Weltspiegel

Das Schönste aber kommt noch. Nachdem man sich von Amerika eine kühle
Abfuhr geholt hat, reist der deutsche Außenminister "zur Erholung" in die Schweiz.
Warum auch nicht? Das Pensum war ja aufgesagt. Man hatte Nein gesagt.
Was konnte man weiter tun? Das heißt, eigentlich hatte die Entente Nein gesagt.
Aber was war da zu machen? Man mußte eben abwarten. "Bis zur Grenze
der Leistungsfähigkeit." Aber die war nicht sehr groß. Bereits am 11. April
verkündete Jules Sauerwein im "Matin", der Reichsminister habe ihm mitgeteilt,
Deutschland wolle neue Angebote machen. Er sagte diesmal nicht: äußerste. Aber
er orakelte: "Wir müssen verhandeln, bevor wir neue Angebote machen, die zu
einer neuen Ablehnung führen könnten, was bei der augenblicklichen Spannung
eine schwere Gefahr wäre". Also trotz den widerrechtlichen Sanktionen wollte man
die Flinte nicht ins Korn werfen? Sehr brav. Aber wie wollte man verhandeln,
ohne neue Angebote zu machen? "Ich habe niemals auf die Uneinigkeit unter den
Alliierten gerechnet. Also muß man mit Frankreich verhandeln." Nein, dann
mußte man mit der Redaktionskommission verhandeln. Um aber diese Vorschläge
zu qualifizieren, nannte sich der Minister "einen Mann, der viel mehr das Gefühl
für unsere Verpflichtungen hat, als diejenigen, die ihre Blicke hauptsächlich auf die
innere Politik lenken""und beteuerte, daß er über die Zahlungsfähigkeit Deutsch¬
lands viel optimistischer denke als viele andere. Im übrigen müsse er sich erst
mit seinen Kollegen besprechen.

Alle Welt in Deutschland ist perpler. Das erinnerte ja an die schönsten
Improvisationen Wilhelms II. Und genau wie im vorigen Jahre heißt es vor¬
sichtig: so kann er das ja nicht gesagt haben und man säuselt etwas von ungenauer
Übermittlung, bis der über solche Dementis mit Recht verärgerte Korrespondent
des immerhin nicht ganz einflußloser Blattes den Tatbestand feststellt. "Mein
junger Mann!", entschuldigt sich Herr Simons. Und Herr von Simson geht aus
Urlaub. Aber zu bedeuten hat das nichts.

Nun wird also ein neues Höchstangebot gemacht werden. Die Entente wird
es konsequenterweise in Erwartung eines noch höheren ablehnen, ein Ultimatum
stellen, und die Franzosen werden einmarschieren. Denn seit Herr Lehgues,
Mitterands Platzhalter im Ministerrat, über die Intrigen der Unentwegten stürzte
und Herr Briand täglich vom IZIm: national vorgepeitscht wird, hat sich dieLage geändert.
Da auch die hoffnungsfreudigsten Franzosen begriffen haben, daß sie auf das ihnen
als Ersatz für ihren Verzicht auf das linke Rheinufer zugesicherte französisch-englisch¬
amerikanische Garantiebündnis nicht mehr rechnen können, da ihnen zudem der
englische Streik vor Augen führt, daß selbst eine Unterstützung Englands ihnen
nicht jeder Zeit sicher ist, so sind sie entschlossen, das linke Rheinufer und w'vmöglicl^auch
das Nuhrgebiet zu annektieren. Es liegt ihnen -- Briand selbst hat das deutlich
genug zu verstehen gegeben -- jetzt gar nicht mehr so viel daran, über den Friedens-
vertrag eine Einigung zu erzielen, deren Ergebnisse selbst in: günstigsten Falle zu
gering wären, um die Rieseulöcher im französischen Budget auszustopfen, sie ziehen
es vor, sich an Rheinland und Nuhrgebiet selbst unmittelbar schadlos zu halten.
Daran kann kein deutscher Vorschlag mehr etwas ändern. Amerika wird, soviel
ist sicher, Frankreich nicht hindern,' und auf England braucht man jetzt keine
Rücksicht zu nehmen, da man infolge des Spa-Äbkommens Kohle im Überfluß
besitzt und von England somit unabhängig ist, das angesichts der Gefahr zu¬
künftiger Verwicklungen mit Amerika (z. B. in Sachen des mesopotamisehen
"Maubads") nicht riskieren kann, sich die diplomatische Unterstützung Frank¬
reichs zu verscherzen. So großen Wert auch Briand in seinen Reden auf
ein geschlossenes Vorgehen der Alliierten legt, zur Not kann man es gerade jetzt
recht gut wagen, allein auf das wehrlose Deutschland loszustürzen. Man wird sich
in Frankreich acht mobilisieren lassen? Oh, das wird schon gehen. Man macht
es wie einst in Casabianca, man provoziert so lange, bis sich die friedliche
Bevölkenmg empört. Dann ist die "deutsche Hinterhältigkeit" bewiesen und die
"deutsche Gefahr" wieder da. schlimmstenfalls verschärft man in Frankreich
künstlich die Arbeitskrise und engagiert freiwillige Arbeitslose.


Weltspiegel

Das Schönste aber kommt noch. Nachdem man sich von Amerika eine kühle
Abfuhr geholt hat, reist der deutsche Außenminister „zur Erholung" in die Schweiz.
Warum auch nicht? Das Pensum war ja aufgesagt. Man hatte Nein gesagt.
Was konnte man weiter tun? Das heißt, eigentlich hatte die Entente Nein gesagt.
Aber was war da zu machen? Man mußte eben abwarten. „Bis zur Grenze
der Leistungsfähigkeit." Aber die war nicht sehr groß. Bereits am 11. April
verkündete Jules Sauerwein im „Matin", der Reichsminister habe ihm mitgeteilt,
Deutschland wolle neue Angebote machen. Er sagte diesmal nicht: äußerste. Aber
er orakelte: „Wir müssen verhandeln, bevor wir neue Angebote machen, die zu
einer neuen Ablehnung führen könnten, was bei der augenblicklichen Spannung
eine schwere Gefahr wäre". Also trotz den widerrechtlichen Sanktionen wollte man
die Flinte nicht ins Korn werfen? Sehr brav. Aber wie wollte man verhandeln,
ohne neue Angebote zu machen? „Ich habe niemals auf die Uneinigkeit unter den
Alliierten gerechnet. Also muß man mit Frankreich verhandeln." Nein, dann
mußte man mit der Redaktionskommission verhandeln. Um aber diese Vorschläge
zu qualifizieren, nannte sich der Minister „einen Mann, der viel mehr das Gefühl
für unsere Verpflichtungen hat, als diejenigen, die ihre Blicke hauptsächlich auf die
innere Politik lenken""und beteuerte, daß er über die Zahlungsfähigkeit Deutsch¬
lands viel optimistischer denke als viele andere. Im übrigen müsse er sich erst
mit seinen Kollegen besprechen.

Alle Welt in Deutschland ist perpler. Das erinnerte ja an die schönsten
Improvisationen Wilhelms II. Und genau wie im vorigen Jahre heißt es vor¬
sichtig: so kann er das ja nicht gesagt haben und man säuselt etwas von ungenauer
Übermittlung, bis der über solche Dementis mit Recht verärgerte Korrespondent
des immerhin nicht ganz einflußloser Blattes den Tatbestand feststellt. „Mein
junger Mann!", entschuldigt sich Herr Simons. Und Herr von Simson geht aus
Urlaub. Aber zu bedeuten hat das nichts.

Nun wird also ein neues Höchstangebot gemacht werden. Die Entente wird
es konsequenterweise in Erwartung eines noch höheren ablehnen, ein Ultimatum
stellen, und die Franzosen werden einmarschieren. Denn seit Herr Lehgues,
Mitterands Platzhalter im Ministerrat, über die Intrigen der Unentwegten stürzte
und Herr Briand täglich vom IZIm: national vorgepeitscht wird, hat sich dieLage geändert.
Da auch die hoffnungsfreudigsten Franzosen begriffen haben, daß sie auf das ihnen
als Ersatz für ihren Verzicht auf das linke Rheinufer zugesicherte französisch-englisch¬
amerikanische Garantiebündnis nicht mehr rechnen können, da ihnen zudem der
englische Streik vor Augen führt, daß selbst eine Unterstützung Englands ihnen
nicht jeder Zeit sicher ist, so sind sie entschlossen, das linke Rheinufer und w'vmöglicl^auch
das Nuhrgebiet zu annektieren. Es liegt ihnen — Briand selbst hat das deutlich
genug zu verstehen gegeben — jetzt gar nicht mehr so viel daran, über den Friedens-
vertrag eine Einigung zu erzielen, deren Ergebnisse selbst in: günstigsten Falle zu
gering wären, um die Rieseulöcher im französischen Budget auszustopfen, sie ziehen
es vor, sich an Rheinland und Nuhrgebiet selbst unmittelbar schadlos zu halten.
Daran kann kein deutscher Vorschlag mehr etwas ändern. Amerika wird, soviel
ist sicher, Frankreich nicht hindern,' und auf England braucht man jetzt keine
Rücksicht zu nehmen, da man infolge des Spa-Äbkommens Kohle im Überfluß
besitzt und von England somit unabhängig ist, das angesichts der Gefahr zu¬
künftiger Verwicklungen mit Amerika (z. B. in Sachen des mesopotamisehen
„Maubads") nicht riskieren kann, sich die diplomatische Unterstützung Frank¬
reichs zu verscherzen. So großen Wert auch Briand in seinen Reden auf
ein geschlossenes Vorgehen der Alliierten legt, zur Not kann man es gerade jetzt
recht gut wagen, allein auf das wehrlose Deutschland loszustürzen. Man wird sich
in Frankreich acht mobilisieren lassen? Oh, das wird schon gehen. Man macht
es wie einst in Casabianca, man provoziert so lange, bis sich die friedliche
Bevölkenmg empört. Dann ist die „deutsche Hinterhältigkeit" bewiesen und die
„deutsche Gefahr" wieder da. schlimmstenfalls verschärft man in Frankreich
künstlich die Arbeitskrise und engagiert freiwillige Arbeitslose.


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[0124] Weltspiegel Das Schönste aber kommt noch. Nachdem man sich von Amerika eine kühle Abfuhr geholt hat, reist der deutsche Außenminister „zur Erholung" in die Schweiz. Warum auch nicht? Das Pensum war ja aufgesagt. Man hatte Nein gesagt. Was konnte man weiter tun? Das heißt, eigentlich hatte die Entente Nein gesagt. Aber was war da zu machen? Man mußte eben abwarten. „Bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit." Aber die war nicht sehr groß. Bereits am 11. April verkündete Jules Sauerwein im „Matin", der Reichsminister habe ihm mitgeteilt, Deutschland wolle neue Angebote machen. Er sagte diesmal nicht: äußerste. Aber er orakelte: „Wir müssen verhandeln, bevor wir neue Angebote machen, die zu einer neuen Ablehnung führen könnten, was bei der augenblicklichen Spannung eine schwere Gefahr wäre". Also trotz den widerrechtlichen Sanktionen wollte man die Flinte nicht ins Korn werfen? Sehr brav. Aber wie wollte man verhandeln, ohne neue Angebote zu machen? „Ich habe niemals auf die Uneinigkeit unter den Alliierten gerechnet. Also muß man mit Frankreich verhandeln." Nein, dann mußte man mit der Redaktionskommission verhandeln. Um aber diese Vorschläge zu qualifizieren, nannte sich der Minister „einen Mann, der viel mehr das Gefühl für unsere Verpflichtungen hat, als diejenigen, die ihre Blicke hauptsächlich auf die innere Politik lenken""und beteuerte, daß er über die Zahlungsfähigkeit Deutsch¬ lands viel optimistischer denke als viele andere. Im übrigen müsse er sich erst mit seinen Kollegen besprechen. Alle Welt in Deutschland ist perpler. Das erinnerte ja an die schönsten Improvisationen Wilhelms II. Und genau wie im vorigen Jahre heißt es vor¬ sichtig: so kann er das ja nicht gesagt haben und man säuselt etwas von ungenauer Übermittlung, bis der über solche Dementis mit Recht verärgerte Korrespondent des immerhin nicht ganz einflußloser Blattes den Tatbestand feststellt. „Mein junger Mann!", entschuldigt sich Herr Simons. Und Herr von Simson geht aus Urlaub. Aber zu bedeuten hat das nichts. Nun wird also ein neues Höchstangebot gemacht werden. Die Entente wird es konsequenterweise in Erwartung eines noch höheren ablehnen, ein Ultimatum stellen, und die Franzosen werden einmarschieren. Denn seit Herr Lehgues, Mitterands Platzhalter im Ministerrat, über die Intrigen der Unentwegten stürzte und Herr Briand täglich vom IZIm: national vorgepeitscht wird, hat sich dieLage geändert. Da auch die hoffnungsfreudigsten Franzosen begriffen haben, daß sie auf das ihnen als Ersatz für ihren Verzicht auf das linke Rheinufer zugesicherte französisch-englisch¬ amerikanische Garantiebündnis nicht mehr rechnen können, da ihnen zudem der englische Streik vor Augen führt, daß selbst eine Unterstützung Englands ihnen nicht jeder Zeit sicher ist, so sind sie entschlossen, das linke Rheinufer und w'vmöglicl^auch das Nuhrgebiet zu annektieren. Es liegt ihnen — Briand selbst hat das deutlich genug zu verstehen gegeben — jetzt gar nicht mehr so viel daran, über den Friedens- vertrag eine Einigung zu erzielen, deren Ergebnisse selbst in: günstigsten Falle zu gering wären, um die Rieseulöcher im französischen Budget auszustopfen, sie ziehen es vor, sich an Rheinland und Nuhrgebiet selbst unmittelbar schadlos zu halten. Daran kann kein deutscher Vorschlag mehr etwas ändern. Amerika wird, soviel ist sicher, Frankreich nicht hindern,' und auf England braucht man jetzt keine Rücksicht zu nehmen, da man infolge des Spa-Äbkommens Kohle im Überfluß besitzt und von England somit unabhängig ist, das angesichts der Gefahr zu¬ künftiger Verwicklungen mit Amerika (z. B. in Sachen des mesopotamisehen „Maubads") nicht riskieren kann, sich die diplomatische Unterstützung Frank¬ reichs zu verscherzen. So großen Wert auch Briand in seinen Reden auf ein geschlossenes Vorgehen der Alliierten legt, zur Not kann man es gerade jetzt recht gut wagen, allein auf das wehrlose Deutschland loszustürzen. Man wird sich in Frankreich acht mobilisieren lassen? Oh, das wird schon gehen. Man macht es wie einst in Casabianca, man provoziert so lange, bis sich die friedliche Bevölkenmg empört. Dann ist die „deutsche Hinterhältigkeit" bewiesen und die „deutsche Gefahr" wieder da. schlimmstenfalls verschärft man in Frankreich künstlich die Arbeitskrise und engagiert freiwillige Arbeitslose.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/124>, abgerufen am 23.05.2024.