Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Mythe vom Deutschen

ihre oppositionelle Geste aufgeben und, nicht zur Dienerin der staatlichen Macht,
aber zu ihrem freien Verbündeten werden. So ist es ja früher gewesen. Damals
war nationales Bewußtsein (nicht etwas, dessen man sich schämte, wie in Berlin W
von 1914) und auch bald danach wieder. Schiller und Kleist konnten patriotisch
sein, ohne in den Verdacht des Byzantinismus zu kommen.

Es war gewiß zum Teil Schuld des neudeutschen Regimes, zum Teil
hatte es schwerer zu durchschauerte Gründe, daß die gute Kunst der letzten
Jahrzehnte eher in Opposition zur staatlichen Idee stand, als ihr Träger war.
Es wäre von Herzen zu hoffen, daß das jetzt anders würde. Denn die Mythen¬
bildung von einem Volke baut oft mehr auf der künstlerischen Darstellung auf
als auf der Wirklichkeit. Ist das Bild vom Russen, das wir haben, nicht weit
mehr auf der Lektüre Tolstoischer, Dostojewskischer, Gorkischer Bücher aufgebaut
als auf einem Studium der Wirklichkeit? Man erwäge nur, wie wenig Deutsche
verhältnismäßig nach Rußland reisten, in wieviel deutsche Häuser dagegen jene
Bücher kamen. Überlegen wir noch weiter, daß die besten Leser dieser Bücher
aber meist gerade jene Leute waren, die als Schriftsteller die öffentliche Meinung
machten, so wird man verstehen, wie wichtig die Dichtung für das Zustande¬
kommen einer Mythe ist.

Wir müssen mit dem Schaffen einer deutschen Mythe also bei uns selber
beginnen, nicht mit aufdringlicher Propaganda das Ausland mit solchen Dingen
belästigen. Mythos aber für den eigenen Gebrauch ist gleichbedeutend mit "Ideal".
Und damit komme ich auf das Wesentliche. Was wir brauchen, ist ein neues,
klarformuliertes Ideal vom Deutschen. Das der letzten Jahrzehnte, wenn es
überhaupt ein echtes Ideal war, ist zerschellt. Der "schneidige" Deutsche, der
smarte Machtverehrer, der zwar nicht der Volkswirklichkeit entsprach, aber vielen
doch als Ideal vorschwebte, ist am 9. November 1913 begraben, und es sind ihm
Totenopfer genug geschlachtet worden. Wir brauchen einen neuen Helden I Und
darauf wird es ankommen, ob es gelingt, einen solchen zu gestalten. Nur so,
von innen heraus, wird jenes mythische Gespenst der andern überwunden werden.
Nur indem wir eine geistige Macht diesem Gespenst entgegensetzen, können wir
es überwinden. Und echter Geist ist von jeher das beste Mittel gewesen, um
Gespenster aus der Welt zu schaffen!




Die Mythe vom Deutschen

ihre oppositionelle Geste aufgeben und, nicht zur Dienerin der staatlichen Macht,
aber zu ihrem freien Verbündeten werden. So ist es ja früher gewesen. Damals
war nationales Bewußtsein (nicht etwas, dessen man sich schämte, wie in Berlin W
von 1914) und auch bald danach wieder. Schiller und Kleist konnten patriotisch
sein, ohne in den Verdacht des Byzantinismus zu kommen.

Es war gewiß zum Teil Schuld des neudeutschen Regimes, zum Teil
hatte es schwerer zu durchschauerte Gründe, daß die gute Kunst der letzten
Jahrzehnte eher in Opposition zur staatlichen Idee stand, als ihr Träger war.
Es wäre von Herzen zu hoffen, daß das jetzt anders würde. Denn die Mythen¬
bildung von einem Volke baut oft mehr auf der künstlerischen Darstellung auf
als auf der Wirklichkeit. Ist das Bild vom Russen, das wir haben, nicht weit
mehr auf der Lektüre Tolstoischer, Dostojewskischer, Gorkischer Bücher aufgebaut
als auf einem Studium der Wirklichkeit? Man erwäge nur, wie wenig Deutsche
verhältnismäßig nach Rußland reisten, in wieviel deutsche Häuser dagegen jene
Bücher kamen. Überlegen wir noch weiter, daß die besten Leser dieser Bücher
aber meist gerade jene Leute waren, die als Schriftsteller die öffentliche Meinung
machten, so wird man verstehen, wie wichtig die Dichtung für das Zustande¬
kommen einer Mythe ist.

Wir müssen mit dem Schaffen einer deutschen Mythe also bei uns selber
beginnen, nicht mit aufdringlicher Propaganda das Ausland mit solchen Dingen
belästigen. Mythos aber für den eigenen Gebrauch ist gleichbedeutend mit „Ideal".
Und damit komme ich auf das Wesentliche. Was wir brauchen, ist ein neues,
klarformuliertes Ideal vom Deutschen. Das der letzten Jahrzehnte, wenn es
überhaupt ein echtes Ideal war, ist zerschellt. Der „schneidige" Deutsche, der
smarte Machtverehrer, der zwar nicht der Volkswirklichkeit entsprach, aber vielen
doch als Ideal vorschwebte, ist am 9. November 1913 begraben, und es sind ihm
Totenopfer genug geschlachtet worden. Wir brauchen einen neuen Helden I Und
darauf wird es ankommen, ob es gelingt, einen solchen zu gestalten. Nur so,
von innen heraus, wird jenes mythische Gespenst der andern überwunden werden.
Nur indem wir eine geistige Macht diesem Gespenst entgegensetzen, können wir
es überwinden. Und echter Geist ist von jeher das beste Mittel gewesen, um
Gespenster aus der Welt zu schaffen!




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0241" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339042"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Mythe vom Deutschen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_833" prev="#ID_832"> ihre oppositionelle Geste aufgeben und, nicht zur Dienerin der staatlichen Macht,<lb/>
aber zu ihrem freien Verbündeten werden. So ist es ja früher gewesen. Damals<lb/>
war nationales Bewußtsein (nicht etwas, dessen man sich schämte, wie in Berlin W<lb/>
von 1914) und auch bald danach wieder. Schiller und Kleist konnten patriotisch<lb/>
sein, ohne in den Verdacht des Byzantinismus zu kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_834"> Es war gewiß zum Teil Schuld des neudeutschen Regimes, zum Teil<lb/>
hatte es schwerer zu durchschauerte Gründe, daß die gute Kunst der letzten<lb/>
Jahrzehnte eher in Opposition zur staatlichen Idee stand, als ihr Träger war.<lb/>
Es wäre von Herzen zu hoffen, daß das jetzt anders würde. Denn die Mythen¬<lb/>
bildung von einem Volke baut oft mehr auf der künstlerischen Darstellung auf<lb/>
als auf der Wirklichkeit. Ist das Bild vom Russen, das wir haben, nicht weit<lb/>
mehr auf der Lektüre Tolstoischer, Dostojewskischer, Gorkischer Bücher aufgebaut<lb/>
als auf einem Studium der Wirklichkeit? Man erwäge nur, wie wenig Deutsche<lb/>
verhältnismäßig nach Rußland reisten, in wieviel deutsche Häuser dagegen jene<lb/>
Bücher kamen. Überlegen wir noch weiter, daß die besten Leser dieser Bücher<lb/>
aber meist gerade jene Leute waren, die als Schriftsteller die öffentliche Meinung<lb/>
machten, so wird man verstehen, wie wichtig die Dichtung für das Zustande¬<lb/>
kommen einer Mythe ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_835"> Wir müssen mit dem Schaffen einer deutschen Mythe also bei uns selber<lb/>
beginnen, nicht mit aufdringlicher Propaganda das Ausland mit solchen Dingen<lb/>
belästigen. Mythos aber für den eigenen Gebrauch ist gleichbedeutend mit &#x201E;Ideal".<lb/>
Und damit komme ich auf das Wesentliche. Was wir brauchen, ist ein neues,<lb/>
klarformuliertes Ideal vom Deutschen. Das der letzten Jahrzehnte, wenn es<lb/>
überhaupt ein echtes Ideal war, ist zerschellt. Der &#x201E;schneidige" Deutsche, der<lb/>
smarte Machtverehrer, der zwar nicht der Volkswirklichkeit entsprach, aber vielen<lb/>
doch als Ideal vorschwebte, ist am 9. November 1913 begraben, und es sind ihm<lb/>
Totenopfer genug geschlachtet worden. Wir brauchen einen neuen Helden I Und<lb/>
darauf wird es ankommen, ob es gelingt, einen solchen zu gestalten. Nur so,<lb/>
von innen heraus, wird jenes mythische Gespenst der andern überwunden werden.<lb/>
Nur indem wir eine geistige Macht diesem Gespenst entgegensetzen, können wir<lb/>
es überwinden. Und echter Geist ist von jeher das beste Mittel gewesen, um<lb/>
Gespenster aus der Welt zu schaffen!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0241] Die Mythe vom Deutschen ihre oppositionelle Geste aufgeben und, nicht zur Dienerin der staatlichen Macht, aber zu ihrem freien Verbündeten werden. So ist es ja früher gewesen. Damals war nationales Bewußtsein (nicht etwas, dessen man sich schämte, wie in Berlin W von 1914) und auch bald danach wieder. Schiller und Kleist konnten patriotisch sein, ohne in den Verdacht des Byzantinismus zu kommen. Es war gewiß zum Teil Schuld des neudeutschen Regimes, zum Teil hatte es schwerer zu durchschauerte Gründe, daß die gute Kunst der letzten Jahrzehnte eher in Opposition zur staatlichen Idee stand, als ihr Träger war. Es wäre von Herzen zu hoffen, daß das jetzt anders würde. Denn die Mythen¬ bildung von einem Volke baut oft mehr auf der künstlerischen Darstellung auf als auf der Wirklichkeit. Ist das Bild vom Russen, das wir haben, nicht weit mehr auf der Lektüre Tolstoischer, Dostojewskischer, Gorkischer Bücher aufgebaut als auf einem Studium der Wirklichkeit? Man erwäge nur, wie wenig Deutsche verhältnismäßig nach Rußland reisten, in wieviel deutsche Häuser dagegen jene Bücher kamen. Überlegen wir noch weiter, daß die besten Leser dieser Bücher aber meist gerade jene Leute waren, die als Schriftsteller die öffentliche Meinung machten, so wird man verstehen, wie wichtig die Dichtung für das Zustande¬ kommen einer Mythe ist. Wir müssen mit dem Schaffen einer deutschen Mythe also bei uns selber beginnen, nicht mit aufdringlicher Propaganda das Ausland mit solchen Dingen belästigen. Mythos aber für den eigenen Gebrauch ist gleichbedeutend mit „Ideal". Und damit komme ich auf das Wesentliche. Was wir brauchen, ist ein neues, klarformuliertes Ideal vom Deutschen. Das der letzten Jahrzehnte, wenn es überhaupt ein echtes Ideal war, ist zerschellt. Der „schneidige" Deutsche, der smarte Machtverehrer, der zwar nicht der Volkswirklichkeit entsprach, aber vielen doch als Ideal vorschwebte, ist am 9. November 1913 begraben, und es sind ihm Totenopfer genug geschlachtet worden. Wir brauchen einen neuen Helden I Und darauf wird es ankommen, ob es gelingt, einen solchen zu gestalten. Nur so, von innen heraus, wird jenes mythische Gespenst der andern überwunden werden. Nur indem wir eine geistige Macht diesem Gespenst entgegensetzen, können wir es überwinden. Und echter Geist ist von jeher das beste Mittel gewesen, um Gespenster aus der Welt zu schaffen!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/241
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/241>, abgerufen am 14.05.2024.