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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Verantwortung für die Weltlage

I. Die oberschlesische Lage, besonders wenn dieses Gebiet oder ein wichtiger
Teil davon, von Deutschland genommen wird.

II. Die sogenannten Sanktionen.

III. Die jährliche Wiedergutmachungszahlung in Verbindung mit der
26 Prozent Ausfuhrabgabe.

IV. Die Besetzung deutschen Gebietes durch die Alliierten, besonders durch
die Franzosen.

Jeder dieser vier Sätze, welche sich aus dem Versailler Friedensvertrag direkt
oder indirekt ergeben haben, muß noch einmal im einzelnen durchgesprochen
werden, aber hier mag gesagt sein,

erstens, daß der Verlust Oberschlesiens Deutschland wenigstens 10 Prozent
des dürftigen Kohlengewinnes, der nur für "den eigenen Verbrauch verfügbar ist,
entzieht, und daß die bloße Möglichkeit seines Verlustes Deutschlands politische,
ökonomische und soziale Lage gefährlich verschlechtert hat,

zweitens, daß die sogenannten Sanktionen das ökonomische Leben eines
der bevölkertsten und günstigsten Teile Deutschlands ernstlich geschädigt haben
(nämlich den Landstrich westlich vom Rhein), Deutschlands Innenhandel und die
Industrien östlich vom Rhein zu zerrütten drohen und Deutschlands Außen¬
handel stören,

drittens, daß Deutschlands jährliche Reparationszahlungen (die Höhe seiner
Ausfuhr) zusammen mit 26 Prozent Steuern (durch welche, wie wir sehen werden,
eine handellähmende Ungewißheit besteht) eine unheilvolle Minderung des Exports,
ein anwachsendes Unvermögen, Reparationen in Gold oder Gleichwertigem zu
bezahlen, eine mathematisch fortschreitende Inflation des Papiergeldes und den
schließlichen Zusammenbruch des Reiches herbeizuführen drohen,

viertens, daß die Okkupation des linken Rheinufers nicht nur zu einer
jährlichen Ausgabe von Billionen von Mark zu rein unproduktiven Zwecken
(Okkupationsarmee) verpflichtet, welche Ausgabe viel besser zur Neparationsrechnung
getan werden könnte, sondern auch ein verstärktes Haß- und Revanchegefühl er¬
zeugt, gegen das, wenn die Haltung sich noch länger fortsetzt, kein gesunder Ge¬
danke mehr fähig sein wird, die Oberhand zu behalten.

Um uns die vorhergesagter Zustände zu vergegenwärtigen, laßt sie uns auf
amerikanische Verhältnisse übertragen.

Angenommen, daß bei einigen wirklich undenkbaren Verbindungen von Um¬
ständen der Vereinigten Staaten einem Tatsachenbestand wie dem folgenden gegen¬
überstanden, und daß wir als Amerikaner das Gleichwertige dieser zehn vorher
beschriebenen Sätze der Deutschen heutigen Tages auf uns in Anwendung brächten,
dann würden wir diese Lage haben:

I. Setzen wir Texasöl an Stelle von oberschlesischer Kohle, so würden wir die
Texas und Neu Mexikanischen Olgebiete von den Truppen fremder Mächte be¬
setzt sehen, die "Zreasors" dieser Bezirke in Aufruhr und versuchend den ameri¬
kanischen Besitzer der Ölquellen zu enteignen und außerdem die Möglichkeit, die
Gebiete im ganzen oder einen Teil an Mexiko zu verlieren, wir würden ver¬
pflichtet sein zu jährlichen Lieferungen von unbearbeitetem Öl an unsere Eroberer
entsprechend 5 Prozent unserer ganzen jährlichen Gewinnung von unbearbeitetem
Öl einschließlich der früheren Gewinnung, der Texas und Neu Mexikanischen Ol-


Verantwortung für die Weltlage

I. Die oberschlesische Lage, besonders wenn dieses Gebiet oder ein wichtiger
Teil davon, von Deutschland genommen wird.

II. Die sogenannten Sanktionen.

III. Die jährliche Wiedergutmachungszahlung in Verbindung mit der
26 Prozent Ausfuhrabgabe.

IV. Die Besetzung deutschen Gebietes durch die Alliierten, besonders durch
die Franzosen.

Jeder dieser vier Sätze, welche sich aus dem Versailler Friedensvertrag direkt
oder indirekt ergeben haben, muß noch einmal im einzelnen durchgesprochen
werden, aber hier mag gesagt sein,

erstens, daß der Verlust Oberschlesiens Deutschland wenigstens 10 Prozent
des dürftigen Kohlengewinnes, der nur für "den eigenen Verbrauch verfügbar ist,
entzieht, und daß die bloße Möglichkeit seines Verlustes Deutschlands politische,
ökonomische und soziale Lage gefährlich verschlechtert hat,

zweitens, daß die sogenannten Sanktionen das ökonomische Leben eines
der bevölkertsten und günstigsten Teile Deutschlands ernstlich geschädigt haben
(nämlich den Landstrich westlich vom Rhein), Deutschlands Innenhandel und die
Industrien östlich vom Rhein zu zerrütten drohen und Deutschlands Außen¬
handel stören,

drittens, daß Deutschlands jährliche Reparationszahlungen (die Höhe seiner
Ausfuhr) zusammen mit 26 Prozent Steuern (durch welche, wie wir sehen werden,
eine handellähmende Ungewißheit besteht) eine unheilvolle Minderung des Exports,
ein anwachsendes Unvermögen, Reparationen in Gold oder Gleichwertigem zu
bezahlen, eine mathematisch fortschreitende Inflation des Papiergeldes und den
schließlichen Zusammenbruch des Reiches herbeizuführen drohen,

viertens, daß die Okkupation des linken Rheinufers nicht nur zu einer
jährlichen Ausgabe von Billionen von Mark zu rein unproduktiven Zwecken
(Okkupationsarmee) verpflichtet, welche Ausgabe viel besser zur Neparationsrechnung
getan werden könnte, sondern auch ein verstärktes Haß- und Revanchegefühl er¬
zeugt, gegen das, wenn die Haltung sich noch länger fortsetzt, kein gesunder Ge¬
danke mehr fähig sein wird, die Oberhand zu behalten.

Um uns die vorhergesagter Zustände zu vergegenwärtigen, laßt sie uns auf
amerikanische Verhältnisse übertragen.

Angenommen, daß bei einigen wirklich undenkbaren Verbindungen von Um¬
ständen der Vereinigten Staaten einem Tatsachenbestand wie dem folgenden gegen¬
überstanden, und daß wir als Amerikaner das Gleichwertige dieser zehn vorher
beschriebenen Sätze der Deutschen heutigen Tages auf uns in Anwendung brächten,
dann würden wir diese Lage haben:

I. Setzen wir Texasöl an Stelle von oberschlesischer Kohle, so würden wir die
Texas und Neu Mexikanischen Olgebiete von den Truppen fremder Mächte be¬
setzt sehen, die „Zreasors" dieser Bezirke in Aufruhr und versuchend den ameri¬
kanischen Besitzer der Ölquellen zu enteignen und außerdem die Möglichkeit, die
Gebiete im ganzen oder einen Teil an Mexiko zu verlieren, wir würden ver¬
pflichtet sein zu jährlichen Lieferungen von unbearbeitetem Öl an unsere Eroberer
entsprechend 5 Prozent unserer ganzen jährlichen Gewinnung von unbearbeitetem
Öl einschließlich der früheren Gewinnung, der Texas und Neu Mexikanischen Ol-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/16>, abgerufen am 14.05.2024.