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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Das Deutschamerikanertum

künftiges Verhältnis, in dem es viel mehr als früher heißen muß: Treue um
um Treue! Wir können einander nicht entbehren, wir geben und nehmen gegen¬
seitig. Der Reichsdeutsche, der die deutschen und amerikanischen Beziehungen
wieder Pflegen möchte, braucht sehr oft deutschamerikanische Beratung und Ver>
mittlung und übermittelt dafür seinerseits geistige Güter; man braucht nur an die
deutschamerikanischen Kirchen, Zeitungen und Vereine zu erinnern. Die gemeinsame
deutsche Sprache erleichtert den Verkehr, auch wo sie nur noch verstanden, nicht mehr
gesprochen wird. Was an Kulturaustausch möglich gemacht werden kann, muß an
altes neu anknüpfen. Kein Deutscher, der zum Beispiel in der Union Vorträge ge¬
halten hat, wird jemals des New Aorkers vergessen, in dessen Hand viele Fäden
zusammenliefen, der unermüdlich neue Berührungen schuf und ein lebendiger
Mittelpunkt für das deutsch amerikanische Geistesleben zu werden versprach, als er
zu früh starb; ich meine den genialen Sohn eines wackeren deutschamerikanischen
Kämpfers, Rudolf Tombo jr., den Direktor des einstmals Deutschen Hauses von
der Kolumbia-Universität. Ähnliches vollbrachten andere im geschäftlichen Leben,
in der Industrie, in der Presse, für das Theater und die Musik, im gesamten
Erziehungswesen der Vereinigten Staaten. Die Stadt Chicago wäre hier auch
noch besonders aufzuführen, wo sich ein ständiges deutsches Theater die ganzen
Kriegsjahre über gehalten hat. Manche gute alte deutschamerikanische Einrichtung
ist dem Kriege zum Opfer gefallen, hat sich aufgeben oder amerikanisieren müssen.
Einiges davon wird wieder aufgebaut werden, wenn auch langsam, und anderes
wird ganz neu erstehen, und vielleicht viel besser, als wir heute anzunehmen
wagen; denn der Geist läßt sich ebensowenig im Deutschamerikanertum wie im
deutschen Volk ersticken. Die englisch und französisch verblendeten Amerikaner
dürften noch einmal enttäuscht werden, die heute mit Schadenfreude feststellen,
daß die Deutschamerikaner "endgültig erledigt" seien. So leicht sind die Deutschen
in der Welt nicht unterzukriegen, weil sie eine viel zu große Lebensnacht dar¬
stellen. Sie sind auch viel zäher, als ihre Feinde annehmen. Die deutsche
Geduld und Friedfertigkeit, die heute wie bloße Schwäche aussieht, ist zu innerst
eine Stärke, die auf die Dauer ohne Kriege siegen wird. Und diese uralte
Zähigkeit, gepaart mit deutschem Freiheitssinn, wird den Deutschamerikanern
helfen, aus sich heraus zu erstarken und in neuer Festigkeit manches Verlorene
wiederzugewinnen. Sie haben schon etwas Luft bekommen, es wird sich noch
viel mehr regen, übertriebenen Hoffnungen wollen wir uns deshalb nicht hin¬
geben, aber wir dürfen sicher annehmen, daß sich gerade die besten Volksteile,
die wie anderswo auch in der Stille wirken und warten, durchsetzen werden,
sobald ihre Zeit da ist. Gerade die großen schlichten Volks kreise, die in Hand¬
werker-, Turner- und sonstigen Vereinen und Logen zusammengeschlossen sind,
haben im Kriege viel weniger aufgegeben und aufzugeben brauchen, als die Ge¬
bildeten; sie haben sich schon beim Hilfswerk stark und treu gezeigt, sie werden
sich auch bei solcher inneren amerikanischen "Rekonstruktion" bewähren, zu ihrem
wie unserem eigensten Besten.




Das Deutschamerikanertum

künftiges Verhältnis, in dem es viel mehr als früher heißen muß: Treue um
um Treue! Wir können einander nicht entbehren, wir geben und nehmen gegen¬
seitig. Der Reichsdeutsche, der die deutschen und amerikanischen Beziehungen
wieder Pflegen möchte, braucht sehr oft deutschamerikanische Beratung und Ver>
mittlung und übermittelt dafür seinerseits geistige Güter; man braucht nur an die
deutschamerikanischen Kirchen, Zeitungen und Vereine zu erinnern. Die gemeinsame
deutsche Sprache erleichtert den Verkehr, auch wo sie nur noch verstanden, nicht mehr
gesprochen wird. Was an Kulturaustausch möglich gemacht werden kann, muß an
altes neu anknüpfen. Kein Deutscher, der zum Beispiel in der Union Vorträge ge¬
halten hat, wird jemals des New Aorkers vergessen, in dessen Hand viele Fäden
zusammenliefen, der unermüdlich neue Berührungen schuf und ein lebendiger
Mittelpunkt für das deutsch amerikanische Geistesleben zu werden versprach, als er
zu früh starb; ich meine den genialen Sohn eines wackeren deutschamerikanischen
Kämpfers, Rudolf Tombo jr., den Direktor des einstmals Deutschen Hauses von
der Kolumbia-Universität. Ähnliches vollbrachten andere im geschäftlichen Leben,
in der Industrie, in der Presse, für das Theater und die Musik, im gesamten
Erziehungswesen der Vereinigten Staaten. Die Stadt Chicago wäre hier auch
noch besonders aufzuführen, wo sich ein ständiges deutsches Theater die ganzen
Kriegsjahre über gehalten hat. Manche gute alte deutschamerikanische Einrichtung
ist dem Kriege zum Opfer gefallen, hat sich aufgeben oder amerikanisieren müssen.
Einiges davon wird wieder aufgebaut werden, wenn auch langsam, und anderes
wird ganz neu erstehen, und vielleicht viel besser, als wir heute anzunehmen
wagen; denn der Geist läßt sich ebensowenig im Deutschamerikanertum wie im
deutschen Volk ersticken. Die englisch und französisch verblendeten Amerikaner
dürften noch einmal enttäuscht werden, die heute mit Schadenfreude feststellen,
daß die Deutschamerikaner „endgültig erledigt" seien. So leicht sind die Deutschen
in der Welt nicht unterzukriegen, weil sie eine viel zu große Lebensnacht dar¬
stellen. Sie sind auch viel zäher, als ihre Feinde annehmen. Die deutsche
Geduld und Friedfertigkeit, die heute wie bloße Schwäche aussieht, ist zu innerst
eine Stärke, die auf die Dauer ohne Kriege siegen wird. Und diese uralte
Zähigkeit, gepaart mit deutschem Freiheitssinn, wird den Deutschamerikanern
helfen, aus sich heraus zu erstarken und in neuer Festigkeit manches Verlorene
wiederzugewinnen. Sie haben schon etwas Luft bekommen, es wird sich noch
viel mehr regen, übertriebenen Hoffnungen wollen wir uns deshalb nicht hin¬
geben, aber wir dürfen sicher annehmen, daß sich gerade die besten Volksteile,
die wie anderswo auch in der Stille wirken und warten, durchsetzen werden,
sobald ihre Zeit da ist. Gerade die großen schlichten Volks kreise, die in Hand¬
werker-, Turner- und sonstigen Vereinen und Logen zusammengeschlossen sind,
haben im Kriege viel weniger aufgegeben und aufzugeben brauchen, als die Ge¬
bildeten; sie haben sich schon beim Hilfswerk stark und treu gezeigt, sie werden
sich auch bei solcher inneren amerikanischen „Rekonstruktion" bewähren, zu ihrem
wie unserem eigensten Besten.




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[0028] Das Deutschamerikanertum künftiges Verhältnis, in dem es viel mehr als früher heißen muß: Treue um um Treue! Wir können einander nicht entbehren, wir geben und nehmen gegen¬ seitig. Der Reichsdeutsche, der die deutschen und amerikanischen Beziehungen wieder Pflegen möchte, braucht sehr oft deutschamerikanische Beratung und Ver> mittlung und übermittelt dafür seinerseits geistige Güter; man braucht nur an die deutschamerikanischen Kirchen, Zeitungen und Vereine zu erinnern. Die gemeinsame deutsche Sprache erleichtert den Verkehr, auch wo sie nur noch verstanden, nicht mehr gesprochen wird. Was an Kulturaustausch möglich gemacht werden kann, muß an altes neu anknüpfen. Kein Deutscher, der zum Beispiel in der Union Vorträge ge¬ halten hat, wird jemals des New Aorkers vergessen, in dessen Hand viele Fäden zusammenliefen, der unermüdlich neue Berührungen schuf und ein lebendiger Mittelpunkt für das deutsch amerikanische Geistesleben zu werden versprach, als er zu früh starb; ich meine den genialen Sohn eines wackeren deutschamerikanischen Kämpfers, Rudolf Tombo jr., den Direktor des einstmals Deutschen Hauses von der Kolumbia-Universität. Ähnliches vollbrachten andere im geschäftlichen Leben, in der Industrie, in der Presse, für das Theater und die Musik, im gesamten Erziehungswesen der Vereinigten Staaten. Die Stadt Chicago wäre hier auch noch besonders aufzuführen, wo sich ein ständiges deutsches Theater die ganzen Kriegsjahre über gehalten hat. Manche gute alte deutschamerikanische Einrichtung ist dem Kriege zum Opfer gefallen, hat sich aufgeben oder amerikanisieren müssen. Einiges davon wird wieder aufgebaut werden, wenn auch langsam, und anderes wird ganz neu erstehen, und vielleicht viel besser, als wir heute anzunehmen wagen; denn der Geist läßt sich ebensowenig im Deutschamerikanertum wie im deutschen Volk ersticken. Die englisch und französisch verblendeten Amerikaner dürften noch einmal enttäuscht werden, die heute mit Schadenfreude feststellen, daß die Deutschamerikaner „endgültig erledigt" seien. So leicht sind die Deutschen in der Welt nicht unterzukriegen, weil sie eine viel zu große Lebensnacht dar¬ stellen. Sie sind auch viel zäher, als ihre Feinde annehmen. Die deutsche Geduld und Friedfertigkeit, die heute wie bloße Schwäche aussieht, ist zu innerst eine Stärke, die auf die Dauer ohne Kriege siegen wird. Und diese uralte Zähigkeit, gepaart mit deutschem Freiheitssinn, wird den Deutschamerikanern helfen, aus sich heraus zu erstarken und in neuer Festigkeit manches Verlorene wiederzugewinnen. Sie haben schon etwas Luft bekommen, es wird sich noch viel mehr regen, übertriebenen Hoffnungen wollen wir uns deshalb nicht hin¬ geben, aber wir dürfen sicher annehmen, daß sich gerade die besten Volksteile, die wie anderswo auch in der Stille wirken und warten, durchsetzen werden, sobald ihre Zeit da ist. Gerade die großen schlichten Volks kreise, die in Hand¬ werker-, Turner- und sonstigen Vereinen und Logen zusammengeschlossen sind, haben im Kriege viel weniger aufgegeben und aufzugeben brauchen, als die Ge¬ bildeten; sie haben sich schon beim Hilfswerk stark und treu gezeigt, sie werden sich auch bei solcher inneren amerikanischen „Rekonstruktion" bewähren, zu ihrem wie unserem eigensten Besten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/28>, abgerufen am 14.05.2024.