Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.Anna "Anna" Selten sah man, fast nie, die alte Frau Schwarztopp, sie zählteGorhart Hauptmann von Aus dem l.H> Gesang*) neunzig Jahr, und es war eine Pflegerin um sie beschäftigt. Heute ward sie herab, wie gesagt, in den Garten geleitet. Sei es nun, weil die Wärme des Maitags sie lockte, vielleicht auch, weil so still und verlassen das Haus, was im Herzen der Greisin heute grade, der Wunsch entkeimt, sich ins Freie zu wagen. Schön geschmückt mit bebänderter Haube, im seidenen Kleide, schwarz, mit Spitzen verbrämt, saß die freundliche Greisin im Lehnstuhl, den die Magd in die Laube gestellt, etwas seitlich zum Tische. Und es dampfte bereits auf dem Tische der Kaffee, die fette Sahne, eben geschöpft, stand dabei, frische Butter und Honig. Auch die silberne Dose mit Zucker und freundlich geblümtes Porzellan, wie der Wohlstand des Schwarzkoppschen Hauses es darbot. Bald nun saß man zu drein um deu Tisch in der Laube, es hatte sich die Pflegerin gern ein wenig beurlaubt, um einmal aufzuatmen vom Zwange des Dicnsts. Unterm Blicke der Greisin saßen Anna und Luz: und es war ein unsagbarer Zauber allverstehender Milde darin, der sie beide durchwärmte. Wenig sprach sie, die hochehrwürdige Alte. Sie schien fast nicht aus irdischem Stoff, oder aus Amiant, unverbrcnnlich, seidig weiß, nur von Güte beseelt und von Liebe zum Menschen. Zärtlich ruhte auf Luz das lächelnde Auge der Mutter Onkel Schwarzkopps, und wissend umfing es zugleich die Elevin: und es war wie ein lächelnder Segen, den beide empfanden. Ja, er schmolz sie zusammen, die Seelen. Wie Eisblock und Eisblock eine Flut wird, so wurden sie eins in der Wärme des Anhauchs. Wollt ihr zögern, die Stunde versäumen? so schien sie zu fragen. Liebt euch, traut meinen: Segen, traut, Kinderchen, eurer Patronin. Köstlich ist's, euch zu sehen, eure tauige Jugend und Schönheit! Schon der Abglanz erfüllt meinen Abend mit Strahlen von Frühlicht. Zögere nicht, ach, und fürchtet euch uicht! Laßt euch sagen, Gott will es! Euch betrügt, wer es anders euch sagt, und die Stunde verrinnt euch: sie verrinnt, und ihr ringt eure Hände umsonst nach dein Flüchtling, ruft vergeblich nach ihm und schicket vergeblich die Träume eurer Sehnsucht zurück, gleich nächtlich umirrendeu Schatten, nach den Stätten umher "zu wittern, wo einstens der Dämon euch bewog, euch selbst um das köstlichste Gut zu bestehlen. Und allmächtig ergriff der werdende Sommer den Frühling heut, es brannte die Sonne herab aus blauglühender Wölbung in den Garten. Tief tönte die Luft vom Gesumm der Insekten, Hummeln brausten im Baß und mit zornigen Flug durch die Laube. Skarabäen, so blau wie Stahl, wagten brummende Flüge, grünlich rannte der Käfer, voll Raubbegier, über den Kiesweg. Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags S. Fischer-Berlin, dem demnächst er
scheinende!-, neuen Merk Gerhart Hauptmanns: "Anna", ein ländliches Liebesgedichl, ent iwmmen. Anna „Anna" Selten sah man, fast nie, die alte Frau Schwarztopp, sie zählteGorhart Hauptmann von Aus dem l.H> Gesang*) neunzig Jahr, und es war eine Pflegerin um sie beschäftigt. Heute ward sie herab, wie gesagt, in den Garten geleitet. Sei es nun, weil die Wärme des Maitags sie lockte, vielleicht auch, weil so still und verlassen das Haus, was im Herzen der Greisin heute grade, der Wunsch entkeimt, sich ins Freie zu wagen. Schön geschmückt mit bebänderter Haube, im seidenen Kleide, schwarz, mit Spitzen verbrämt, saß die freundliche Greisin im Lehnstuhl, den die Magd in die Laube gestellt, etwas seitlich zum Tische. Und es dampfte bereits auf dem Tische der Kaffee, die fette Sahne, eben geschöpft, stand dabei, frische Butter und Honig. Auch die silberne Dose mit Zucker und freundlich geblümtes Porzellan, wie der Wohlstand des Schwarzkoppschen Hauses es darbot. Bald nun saß man zu drein um deu Tisch in der Laube, es hatte sich die Pflegerin gern ein wenig beurlaubt, um einmal aufzuatmen vom Zwange des Dicnsts. Unterm Blicke der Greisin saßen Anna und Luz: und es war ein unsagbarer Zauber allverstehender Milde darin, der sie beide durchwärmte. Wenig sprach sie, die hochehrwürdige Alte. Sie schien fast nicht aus irdischem Stoff, oder aus Amiant, unverbrcnnlich, seidig weiß, nur von Güte beseelt und von Liebe zum Menschen. Zärtlich ruhte auf Luz das lächelnde Auge der Mutter Onkel Schwarzkopps, und wissend umfing es zugleich die Elevin: und es war wie ein lächelnder Segen, den beide empfanden. Ja, er schmolz sie zusammen, die Seelen. Wie Eisblock und Eisblock eine Flut wird, so wurden sie eins in der Wärme des Anhauchs. Wollt ihr zögern, die Stunde versäumen? so schien sie zu fragen. Liebt euch, traut meinen: Segen, traut, Kinderchen, eurer Patronin. Köstlich ist's, euch zu sehen, eure tauige Jugend und Schönheit! Schon der Abglanz erfüllt meinen Abend mit Strahlen von Frühlicht. Zögere nicht, ach, und fürchtet euch uicht! Laßt euch sagen, Gott will es! Euch betrügt, wer es anders euch sagt, und die Stunde verrinnt euch: sie verrinnt, und ihr ringt eure Hände umsonst nach dein Flüchtling, ruft vergeblich nach ihm und schicket vergeblich die Träume eurer Sehnsucht zurück, gleich nächtlich umirrendeu Schatten, nach den Stätten umher "zu wittern, wo einstens der Dämon euch bewog, euch selbst um das köstlichste Gut zu bestehlen. Und allmächtig ergriff der werdende Sommer den Frühling heut, es brannte die Sonne herab aus blauglühender Wölbung in den Garten. Tief tönte die Luft vom Gesumm der Insekten, Hummeln brausten im Baß und mit zornigen Flug durch die Laube. Skarabäen, so blau wie Stahl, wagten brummende Flüge, grünlich rannte der Käfer, voll Raubbegier, über den Kiesweg. Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags S. Fischer-Berlin, dem demnächst er
scheinende!-, neuen Merk Gerhart Hauptmanns: „Anna", ein ländliches Liebesgedichl, ent iwmmen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0358" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339907"/> <fw type="header" place="top"> Anna</fw><lb/> <lg xml:id="POEMID_18" type="poem"> <head> „Anna"<lb/><note type="byline"> Gorhart Hauptmann</note> von<lb/> Aus dem l.H> Gesang*)</head> <l> Selten sah man, fast nie, die alte Frau Schwarztopp, sie zählte<lb/> neunzig Jahr, und es war eine Pflegerin um sie beschäftigt.<lb/> Heute ward sie herab, wie gesagt, in den Garten geleitet.<lb/> Sei es nun, weil die Wärme des Maitags sie lockte, vielleicht auch,<lb/> weil so still und verlassen das Haus, was im Herzen der Greisin<lb/> heute grade, der Wunsch entkeimt, sich ins Freie zu wagen. Schön geschmückt mit bebänderter Haube, im seidenen Kleide,<lb/> schwarz, mit Spitzen verbrämt, saß die freundliche Greisin im Lehnstuhl,<lb/> den die Magd in die Laube gestellt, etwas seitlich zum Tische.<lb/> Und es dampfte bereits auf dem Tische der Kaffee, die fette<lb/> Sahne, eben geschöpft, stand dabei, frische Butter und Honig.<lb/> Auch die silberne Dose mit Zucker und freundlich geblümtes<lb/> Porzellan, wie der Wohlstand des Schwarzkoppschen Hauses es darbot.<lb/> Bald nun saß man zu drein um deu Tisch in der Laube, es hatte<lb/> sich die Pflegerin gern ein wenig beurlaubt, um einmal<lb/> aufzuatmen vom Zwange des Dicnsts. Unterm Blicke der Greisin<lb/> saßen Anna und Luz: und es war ein unsagbarer Zauber<lb/> allverstehender Milde darin, der sie beide durchwärmte.<lb/> Wenig sprach sie, die hochehrwürdige Alte. Sie schien fast<lb/> nicht aus irdischem Stoff, oder aus Amiant, unverbrcnnlich,<lb/> seidig weiß, nur von Güte beseelt und von Liebe zum Menschen.<lb/> Zärtlich ruhte auf Luz das lächelnde Auge der Mutter<lb/> Onkel Schwarzkopps, und wissend umfing es zugleich die Elevin:<lb/> und es war wie ein lächelnder Segen, den beide empfanden.<lb/> Ja, er schmolz sie zusammen, die Seelen. Wie Eisblock und Eisblock<lb/> eine Flut wird, so wurden sie eins in der Wärme des Anhauchs.<lb/> Wollt ihr zögern, die Stunde versäumen? so schien sie zu fragen.<lb/> Liebt euch, traut meinen: Segen, traut, Kinderchen, eurer Patronin.<lb/> Köstlich ist's, euch zu sehen, eure tauige Jugend und Schönheit!<lb/> Schon der Abglanz erfüllt meinen Abend mit Strahlen von Frühlicht.<lb/> Zögere nicht, ach, und fürchtet euch uicht! Laßt euch sagen, Gott will es!<lb/> Euch betrügt, wer es anders euch sagt, und die Stunde verrinnt euch:<lb/> sie verrinnt, und ihr ringt eure Hände umsonst nach dein Flüchtling,<lb/> ruft vergeblich nach ihm und schicket vergeblich die Träume<lb/> eurer Sehnsucht zurück, gleich nächtlich umirrendeu Schatten,<lb/> nach den Stätten umher "zu wittern, wo einstens der Dämon<lb/> euch bewog, euch selbst um das köstlichste Gut zu bestehlen. Und allmächtig ergriff der werdende Sommer den Frühling<lb/> heut, es brannte die Sonne herab aus blauglühender Wölbung<lb/> in den Garten. Tief tönte die Luft vom Gesumm der Insekten,<lb/> Hummeln brausten im Baß und mit zornigen Flug durch die Laube.<lb/> Skarabäen, so blau wie Stahl, wagten brummende Flüge,<lb/> grünlich rannte der Käfer, voll Raubbegier, über den Kiesweg. </l> </lg><lb/> <note xml:id="FID_58" place="foot"> Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags S. Fischer-Berlin, dem demnächst er<lb/> scheinende!-, neuen Merk Gerhart Hauptmanns: „Anna", ein ländliches Liebesgedichl, ent<lb/> iwmmen.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0358]
Anna
„Anna"
Gorhart Hauptmann von
Aus dem l.H> Gesang*) Selten sah man, fast nie, die alte Frau Schwarztopp, sie zählte
neunzig Jahr, und es war eine Pflegerin um sie beschäftigt.
Heute ward sie herab, wie gesagt, in den Garten geleitet.
Sei es nun, weil die Wärme des Maitags sie lockte, vielleicht auch,
weil so still und verlassen das Haus, was im Herzen der Greisin
heute grade, der Wunsch entkeimt, sich ins Freie zu wagen. Schön geschmückt mit bebänderter Haube, im seidenen Kleide,
schwarz, mit Spitzen verbrämt, saß die freundliche Greisin im Lehnstuhl,
den die Magd in die Laube gestellt, etwas seitlich zum Tische.
Und es dampfte bereits auf dem Tische der Kaffee, die fette
Sahne, eben geschöpft, stand dabei, frische Butter und Honig.
Auch die silberne Dose mit Zucker und freundlich geblümtes
Porzellan, wie der Wohlstand des Schwarzkoppschen Hauses es darbot.
Bald nun saß man zu drein um deu Tisch in der Laube, es hatte
sich die Pflegerin gern ein wenig beurlaubt, um einmal
aufzuatmen vom Zwange des Dicnsts. Unterm Blicke der Greisin
saßen Anna und Luz: und es war ein unsagbarer Zauber
allverstehender Milde darin, der sie beide durchwärmte.
Wenig sprach sie, die hochehrwürdige Alte. Sie schien fast
nicht aus irdischem Stoff, oder aus Amiant, unverbrcnnlich,
seidig weiß, nur von Güte beseelt und von Liebe zum Menschen.
Zärtlich ruhte auf Luz das lächelnde Auge der Mutter
Onkel Schwarzkopps, und wissend umfing es zugleich die Elevin:
und es war wie ein lächelnder Segen, den beide empfanden.
Ja, er schmolz sie zusammen, die Seelen. Wie Eisblock und Eisblock
eine Flut wird, so wurden sie eins in der Wärme des Anhauchs.
Wollt ihr zögern, die Stunde versäumen? so schien sie zu fragen.
Liebt euch, traut meinen: Segen, traut, Kinderchen, eurer Patronin.
Köstlich ist's, euch zu sehen, eure tauige Jugend und Schönheit!
Schon der Abglanz erfüllt meinen Abend mit Strahlen von Frühlicht.
Zögere nicht, ach, und fürchtet euch uicht! Laßt euch sagen, Gott will es!
Euch betrügt, wer es anders euch sagt, und die Stunde verrinnt euch:
sie verrinnt, und ihr ringt eure Hände umsonst nach dein Flüchtling,
ruft vergeblich nach ihm und schicket vergeblich die Träume
eurer Sehnsucht zurück, gleich nächtlich umirrendeu Schatten,
nach den Stätten umher "zu wittern, wo einstens der Dämon
euch bewog, euch selbst um das köstlichste Gut zu bestehlen. Und allmächtig ergriff der werdende Sommer den Frühling
heut, es brannte die Sonne herab aus blauglühender Wölbung
in den Garten. Tief tönte die Luft vom Gesumm der Insekten,
Hummeln brausten im Baß und mit zornigen Flug durch die Laube.
Skarabäen, so blau wie Stahl, wagten brummende Flüge,
grünlich rannte der Käfer, voll Raubbegier, über den Kiesweg.
Mit freundlicher Erlaubnis des Verlags S. Fischer-Berlin, dem demnächst er
scheinende!-, neuen Merk Gerhart Hauptmanns: „Anna", ein ländliches Liebesgedichl, ent
iwmmen.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |