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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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vom Filu

[Beginn Spaltensatz]

banal, hier und da reichlich pedantisch,
um nicht zu sagen langweilig ... als
Ganzes betrachtet dilettantisch unsicher,
am Ziel vorbeilaufend, über das Ziel
hinausschießend: Eine Blinddarmope¬
ration ... bitte, wen soll das belehren?
Doch hoffentlich nicht den Mediziner?!
Ich sehe, wie ein Säugling gewickelt
werden soll. Wen belebt das? Doch
nicht hoffentlich die junge Mutter oder
die Pflegerin, die aus dem Filu lernen
soll, wie man ein kleines Kind hält?
Etwas weniger wäre mehr: Anstatt
3000 Filme 300. dann aber solche, die
die Zähigkeit des Stoffes nicht durch
Witzchen, novellistisches Beiwerk schmack¬
haft zu machen versuchen, sondern solche,
aus denen der Begriff Lehre zu einer
Heilswahrheit, zu Andacht, zu einem
Überschwang des Gefühls wird. Der
einzige, erste gute Lehrfilm in Deutsch¬
land ist der Schneeschuhfilm. Amerika,
habe ich mir sagen lassen, hat heut¬
zutage bereits hundert solche Filme.


[Spaltenumbruch]

angesehen, liegt hier nicht das Ent¬
scheidende: Auf Deutschlands Bühnen
werden jährlich zwei-, dreihundert neue
Theaterstücke aufgeführt, die mit Kunst
nichts zu tun haben, die dilettantisches
Machwerk, Stammelnde Versuche sein
mögen. Darauf kommt es an, ob im
Jahr ein "Peter Breuer", ein "Prinz
Louis Ferdinand", eine "Belinde" er¬
scheinen; darauf kommt es an, ob eine
"Hochzeit des Figaro", ein "Roseu-
kavalier" mustergültig aufgeführt werden
wird. Darauf kommt es an, ob deutsche
Schauspielkunst und deutsche Musik noch
die große Tradition und die Fort¬
entwicklung dieser Tradition besitzt wie
früher, daraus kommt es an, ob das
Ausland in seinen Arbeiten uns über¬
legen wird oder nicht.

Der deutsche Spielfilm hat von
Jahr zu Jahr mit großen und glücklichen
neuen Arbeiten fortschreitend sich ent¬
wickelt. Die Glanzleistungen unserer
Filme sind als mustergültig auch in
jenen Ländern in diesem Jahr aner¬
kannt, denen deutsches Wesen und deutsche
Art noch genau so verhaßt ist wie
ehedem. Ob diese Glanzleistungen des
deutschen Films deutsches Wesen und
deutsche Art freilich auch nur annähernd
widerspiegeln, ob diese Leistungen nicht
noch vielfach übertrumpft werden können,
wenn diese Leistungen ihr internationales
Gepräge ausgeben und sich auf deutsche
Eigenart zu beschränken versuchen, das
wird die Arbeit für eine Zukunft sein,
in der nicht nur der deutsche Filu,
sondern auch Deutschland weniger von
Sorgen gequält sein wird als in diesen
Zeiten.

[Ende Spaltensatz]

ausgaben. Vom Standpunkt der Kunst




vom Filu

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banal, hier und da reichlich pedantisch,
um nicht zu sagen langweilig ... als
Ganzes betrachtet dilettantisch unsicher,
am Ziel vorbeilaufend, über das Ziel
hinausschießend: Eine Blinddarmope¬
ration ... bitte, wen soll das belehren?
Doch hoffentlich nicht den Mediziner?!
Ich sehe, wie ein Säugling gewickelt
werden soll. Wen belebt das? Doch
nicht hoffentlich die junge Mutter oder
die Pflegerin, die aus dem Filu lernen
soll, wie man ein kleines Kind hält?
Etwas weniger wäre mehr: Anstatt
3000 Filme 300. dann aber solche, die
die Zähigkeit des Stoffes nicht durch
Witzchen, novellistisches Beiwerk schmack¬
haft zu machen versuchen, sondern solche,
aus denen der Begriff Lehre zu einer
Heilswahrheit, zu Andacht, zu einem
Überschwang des Gefühls wird. Der
einzige, erste gute Lehrfilm in Deutsch¬
land ist der Schneeschuhfilm. Amerika,
habe ich mir sagen lassen, hat heut¬
zutage bereits hundert solche Filme.


[Spaltenumbruch]

angesehen, liegt hier nicht das Ent¬
scheidende: Auf Deutschlands Bühnen
werden jährlich zwei-, dreihundert neue
Theaterstücke aufgeführt, die mit Kunst
nichts zu tun haben, die dilettantisches
Machwerk, Stammelnde Versuche sein
mögen. Darauf kommt es an, ob im
Jahr ein „Peter Breuer", ein „Prinz
Louis Ferdinand", eine „Belinde" er¬
scheinen; darauf kommt es an, ob eine
„Hochzeit des Figaro", ein „Roseu-
kavalier" mustergültig aufgeführt werden
wird. Darauf kommt es an, ob deutsche
Schauspielkunst und deutsche Musik noch
die große Tradition und die Fort¬
entwicklung dieser Tradition besitzt wie
früher, daraus kommt es an, ob das
Ausland in seinen Arbeiten uns über¬
legen wird oder nicht.

Der deutsche Spielfilm hat von
Jahr zu Jahr mit großen und glücklichen
neuen Arbeiten fortschreitend sich ent¬
wickelt. Die Glanzleistungen unserer
Filme sind als mustergültig auch in
jenen Ländern in diesem Jahr aner¬
kannt, denen deutsches Wesen und deutsche
Art noch genau so verhaßt ist wie
ehedem. Ob diese Glanzleistungen des
deutschen Films deutsches Wesen und
deutsche Art freilich auch nur annähernd
widerspiegeln, ob diese Leistungen nicht
noch vielfach übertrumpft werden können,
wenn diese Leistungen ihr internationales
Gepräge ausgeben und sich auf deutsche
Eigenart zu beschränken versuchen, das
wird die Arbeit für eine Zukunft sein,
in der nicht nur der deutsche Filu,
sondern auch Deutschland weniger von
Sorgen gequält sein wird als in diesen
Zeiten.

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ausgaben. Vom Standpunkt der Kunst




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[0399] vom Filu banal, hier und da reichlich pedantisch, um nicht zu sagen langweilig ... als Ganzes betrachtet dilettantisch unsicher, am Ziel vorbeilaufend, über das Ziel hinausschießend: Eine Blinddarmope¬ ration ... bitte, wen soll das belehren? Doch hoffentlich nicht den Mediziner?! Ich sehe, wie ein Säugling gewickelt werden soll. Wen belebt das? Doch nicht hoffentlich die junge Mutter oder die Pflegerin, die aus dem Filu lernen soll, wie man ein kleines Kind hält? Etwas weniger wäre mehr: Anstatt 3000 Filme 300. dann aber solche, die die Zähigkeit des Stoffes nicht durch Witzchen, novellistisches Beiwerk schmack¬ haft zu machen versuchen, sondern solche, aus denen der Begriff Lehre zu einer Heilswahrheit, zu Andacht, zu einem Überschwang des Gefühls wird. Der einzige, erste gute Lehrfilm in Deutsch¬ land ist der Schneeschuhfilm. Amerika, habe ich mir sagen lassen, hat heut¬ zutage bereits hundert solche Filme. angesehen, liegt hier nicht das Ent¬ scheidende: Auf Deutschlands Bühnen werden jährlich zwei-, dreihundert neue Theaterstücke aufgeführt, die mit Kunst nichts zu tun haben, die dilettantisches Machwerk, Stammelnde Versuche sein mögen. Darauf kommt es an, ob im Jahr ein „Peter Breuer", ein „Prinz Louis Ferdinand", eine „Belinde" er¬ scheinen; darauf kommt es an, ob eine „Hochzeit des Figaro", ein „Roseu- kavalier" mustergültig aufgeführt werden wird. Darauf kommt es an, ob deutsche Schauspielkunst und deutsche Musik noch die große Tradition und die Fort¬ entwicklung dieser Tradition besitzt wie früher, daraus kommt es an, ob das Ausland in seinen Arbeiten uns über¬ legen wird oder nicht. Der deutsche Spielfilm hat von Jahr zu Jahr mit großen und glücklichen neuen Arbeiten fortschreitend sich ent¬ wickelt. Die Glanzleistungen unserer Filme sind als mustergültig auch in jenen Ländern in diesem Jahr aner¬ kannt, denen deutsches Wesen und deutsche Art noch genau so verhaßt ist wie ehedem. Ob diese Glanzleistungen des deutschen Films deutsches Wesen und deutsche Art freilich auch nur annähernd widerspiegeln, ob diese Leistungen nicht noch vielfach übertrumpft werden können, wenn diese Leistungen ihr internationales Gepräge ausgeben und sich auf deutsche Eigenart zu beschränken versuchen, das wird die Arbeit für eine Zukunft sein, in der nicht nur der deutsche Filu, sondern auch Deutschland weniger von Sorgen gequält sein wird als in diesen Zeiten. ausgaben. Vom Standpunkt der Kunst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/399>, abgerufen am 16.05.2024.