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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche buchstaben. schlußbem.
hat geredet:ledet (troj. 93a 160a) vgl. redete (Nib. 5445.
M. S. 1, 38a etc.) --
4) die vorige bemerkung betraf veränderungen, welche
im ganzen die zeit allmälig hervorgebracht hatte. Es
fragt sich aber auch nach den örtlichen einflüßen der
dialecte auf die verschiedenen mittelh. denkmäler.
Diese verschiedenheiten sind lange nicht so in das auge
fallend, als bei den alth quellen (ja man hat bisher
alles unter dem namen schwäbischer sprache zus. ge-
worfen) immer aber sichtbar. Von dem was sich ent-
schiedner an die niederd. mundart schließt, wird dort
die rede seyn. Hier mögen einzelne züge, insoweit
sie aus der buchstabenlehre hervorgehen, zus. gestellt
werden. An der äußersten grenze von oberdeutschland,
in steiermark, erscheint Ottocar (dichter der langen
reimchronik bei Pez) der zwar erst dem schließenden
13. und beginnenden 14. jahrh. angehört, aber man-
ches alterthümliche bewahrt hat. Tieftonige silben
(s. 367-370.) welche die meisten dichter des 13. jahrh.
aufgeben, behaupten sich noch bei ihm. Häufig reimt
er formen wie traurigen, saeligen, listigen, lebendigen,
beinzigen (singulatim st. bi einzigen) etc. auf ligen,
verzigen; lebendic (lebndic, im gedruckten text steht
lemptig):sic (victoria), ferner das comparative - er
(als lenger) auf entwer, das superl. -ist (tiurist, lie-
bist) auf frist; vertigt (neuh. abfertigt) im reim auf
sigt, ligt u. a. m. Auch die eigenthümlichkeit einiger
ausdrücke (z. b. urlaebe st. urloup) zeugen für die be-
sonderheit des dialects. Darf man ihm das mehrbe-
sprochene bairische oder oestreichische au, eu, ai, ei
für ou, au, in, ei, i und das anlautende p. t. k für
b. d g zugestehn? Die hss. des 15. jahrh. aus denen
er abgedruckt worden ist, geben ihm jene vocale; von
den cons. nur p, nicht t und k, schreiben aber an-
dere, zumahl geminierte so barbarisch (namentlich cz
für z, slz für ß, kch für k etc.) daß wenn man sie
für nicht nothwendig steirisch hält, auch an den übri-
gen zweifeln darf. Kein reim beweist für ai, ei, au,
überall ist auflösung in ei, ei, ou oder au anwendbar,
d. h. was letzteren diphth. betrifft, zuweilen reimen
au und ou aufeinander, wie bei andern dichtern mehr
(s. 355, 356.). Ich finde auf:houf; haugen (hugonem :
tougen; hause:pouse (pausa, niederd. pose) laut:maut
(telonium, aus dem mittellat. muta, nicht aus dem
I. mittelhochdeutſche buchſtaben. ſchlußbem.
hat geredet:ledet (troj. 93a 160a) vgl. redete (Nib. 5445.
M. S. 1, 38a etc.) —
4) die vorige bemerkung betraf veränderungen, welche
im ganzen die zeit allmälig hervorgebracht hatte. Es
fragt ſich aber auch nach den örtlichen einflüßen der
dialecte auf die verſchiedenen mittelh. denkmäler.
Dieſe verſchiedenheiten ſind lange nicht ſo in das auge
fallend, als bei den alth quellen (ja man hat bisher
alles unter dem namen ſchwäbiſcher ſprache zuſ. ge-
worfen) immer aber ſichtbar. Von dem was ſich ent-
ſchiedner an die niederd. mundart ſchließt, wird dort
die rede ſeyn. Hier mögen einzelne züge, inſoweit
ſie aus der buchſtabenlehre hervorgehen, zuſ. geſtellt
werden. An der äußerſten grenze von oberdeutſchland,
in ſteiermark, erſcheint Ottocar (dichter der langen
reimchronik bei Pez) der zwar erſt dem ſchließenden
13. und beginnenden 14. jahrh. angehört, aber man-
ches alterthümliche bewahrt hat. Tieftonige ſilben
(ſ. 367-370.) welche die meiſten dichter des 13. jahrh.
aufgeben, behaupten ſich noch bei ihm. Häufig reimt
er formen wie trûrìgen, ſælìgen, liſtìgen, lëbendìgen,
beinzìgen (ſingulatim ſt. bì einzìgen) etc. auf ligen,
verzigen; lëbendìc (lëbndìc, im gedruckten text ſteht
lemptig):ſic (victoria), ferner das comparative - èr
(als lengër) auf entwër, das ſuperl. -ìſt (tiurìſt, lie-
bìſt) auf friſt; vertìgt (neuh. abfertigt) im reim auf
ſigt, ligt u. a. m. Auch die eigenthümlichkeit einiger
ausdrücke (z. b. urlæbe ſt. urloup) zeugen für die be-
ſonderheit des dialects. Darf man ihm das mehrbe-
ſprochene bairiſche oder oeſtreichiſche au, eu, ai, ei
für ou, û, in, ei, ì und das anlautende p. t. k für
b. d g zugeſtehn? Die hſſ. des 15. jahrh. aus denen
er abgedruckt worden iſt, geben ihm jene vocale; von
den conſ. nur p, nicht t und k, ſchreiben aber an-
dere, zumahl geminierte ſo barbariſch (namentlich cz
für z, ſlz für Ʒ, kch für k etc.) daß wenn man ſie
für nicht nothwendig ſteiriſch hält, auch an den übri-
gen zweifeln darf. Kein reim beweiſt für ai, ei, au,
überall iſt auflöſung in ei, î, ou oder û anwendbar,
d. h. was letzteren diphth. betrifft, zuweilen reimen
û und ou aufeinander, wie bei andern dichtern mehr
(ſ. 355, 356.). Ich finde ûf:houf; hûgen (hugonem :
tougen; hûſe:pouſe (pauſa, niederd. pôſe) lût:mût
(telonium, aus dem mittellat. muta, nicht aus dem
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[447/0473] I. mittelhochdeutſche buchſtaben. ſchlußbem. hat geredet:ledet (troj. 93a 160a) vgl. redete (Nib. 5445. M. S. 1, 38a etc.) — 4) die vorige bemerkung betraf veränderungen, welche im ganzen die zeit allmälig hervorgebracht hatte. Es fragt ſich aber auch nach den örtlichen einflüßen der dialecte auf die verſchiedenen mittelh. denkmäler. Dieſe verſchiedenheiten ſind lange nicht ſo in das auge fallend, als bei den alth quellen (ja man hat bisher alles unter dem namen ſchwäbiſcher ſprache zuſ. ge- worfen) immer aber ſichtbar. Von dem was ſich ent- ſchiedner an die niederd. mundart ſchließt, wird dort die rede ſeyn. Hier mögen einzelne züge, inſoweit ſie aus der buchſtabenlehre hervorgehen, zuſ. geſtellt werden. An der äußerſten grenze von oberdeutſchland, in ſteiermark, erſcheint Ottocar (dichter der langen reimchronik bei Pez) der zwar erſt dem ſchließenden 13. und beginnenden 14. jahrh. angehört, aber man- ches alterthümliche bewahrt hat. Tieftonige ſilben (ſ. 367-370.) welche die meiſten dichter des 13. jahrh. aufgeben, behaupten ſich noch bei ihm. Häufig reimt er formen wie trûrìgen, ſælìgen, liſtìgen, lëbendìgen, beinzìgen (ſingulatim ſt. bì einzìgen) etc. auf ligen, verzigen; lëbendìc (lëbndìc, im gedruckten text ſteht lemptig):ſic (victoria), ferner das comparative - èr (als lengër) auf entwër, das ſuperl. -ìſt (tiurìſt, lie- bìſt) auf friſt; vertìgt (neuh. abfertigt) im reim auf ſigt, ligt u. a. m. Auch die eigenthümlichkeit einiger ausdrücke (z. b. urlæbe ſt. urloup) zeugen für die be- ſonderheit des dialects. Darf man ihm das mehrbe- ſprochene bairiſche oder oeſtreichiſche au, eu, ai, ei für ou, û, in, ei, ì und das anlautende p. t. k für b. d g zugeſtehn? Die hſſ. des 15. jahrh. aus denen er abgedruckt worden iſt, geben ihm jene vocale; von den conſ. nur p, nicht t und k, ſchreiben aber an- dere, zumahl geminierte ſo barbariſch (namentlich cz für z, ſlz für Ʒ, kch für k etc.) daß wenn man ſie für nicht nothwendig ſteiriſch hält, auch an den übri- gen zweifeln darf. Kein reim beweiſt für ai, ei, au, überall iſt auflöſung in ei, î, ou oder û anwendbar, d. h. was letzteren diphth. betrifft, zuweilen reimen û und ou aufeinander, wie bei andern dichtern mehr (ſ. 355, 356.). Ich finde ûf:houf; hûgen (hugonem : tougen; hûſe:pouſe (pauſa, niederd. pôſe) lût:mût (telonium, aus dem mittellat. muta, nicht aus dem

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/473>, abgerufen am 17.06.2024.