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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelniederländische consonanten. labiales.

(V) als anlaut parallel dem goth. f und mittelh. v,
varen, viant, vlien, vrient etc. Inlautend hingegen dem
goth. b, mittelh. b und altsächs. bh, z. b. avont (vespe-
ra) raven (corvus) laven (reficere) teve (canis f.) ever
(aper) leven (vivere) beven (tremere) vive (quinque)
wive (femina) gaven (dabant) screven (scribebant) selver
(arg.) delven (fodere) sterven (mori) scuvaut (bubo Maerl.
2, 348. Rein. 350.) etc. Wird der dem v folgende voc.
ausgestoßen (gewöhnlich vor lingualen, zuweilen vor l,
wenn noch ein flexions-e zutritt) so wandelt sich v in
f, als left, screift, naefle (umbilico) aefs (obliquus) f.
levet, scrivet, navele, aves. Auslautend wird dies v
jederzeit zu f, es müste denn in das vocalische u schmel-
zen, was sich doch nur höchst selten, etwan in frem-
den wörtern zutragen wird. Ich finde bailliu (franz.
baillif) gen. baillius, paeus f. paves ist vorhin angeführt,
der gewöhnliche reim auf paves lautet aves (obliquus)
Maerl. 3, 65. Stoke 2, 458.

(W) anlautend vor allen vocalen, doch kaum vor
u, weil sich dieses meistens in o verwandelt hat, daher
wolf, worp (jactus) worst, worm etc. In der verbin-
dung wr, nicht aber in wl. dauert die spirans fort. Von
tw. dw. sw. qw. unten bei den verbindungen. -- Das
inlautende w. in der flexion unbedenklich (varuwe co-
lor, wedewe vidua etc.) scheint in den wurzeln, wie
im mittelh., ein überflüßiges u vor sich zu entwickeln.
Hierher folgende formen 1) auw, schwankend in ouw,
als vrouwe (femina) mouwe (manica) Maerl. 2, 292. rou-
wen (dolere) Rein. 325. rouwe (dolor) bouwen (aedifi-
care) donouwe (danubius) scouwen (videre) blouwen
(flagellare) trouwen (confidere) getrouwe (fidelis) hou-
wen (caedere). In Rein. sind alle diese mit auw, in
Maerl. mit onw geschrieben. 2) aeuw triphthongisch
und nicht auf die vorigen auw reimend; nur: claeuwe
(ungula) braeuwe (supercilium) graeuwe (cani) blaeuwe
(lividi) raeuwe (crudi) zweifelhaft bin ich wegen naeuwe
(angustus, tenax) daeuwen (rorescere) kaeuwen (rumi-
nare, perpendere Stoke 3, 73.) und paeuwel (paulus)
die zwar mit auw, aber bei solchen geschrieben wer-
den, denen sonst ouw gilt. Auch heißt es neuniederl.
naauw wie graauw. 3) euw, nur: leuwe (leo) euwe
(seculum) sneuwe (nive) seuwe (lacu) Rein. 375. ist ewe
geschrieben. 4) ieuw, das einzige nienwe (novus) Maerl.
1, 134. 403. 437. und dazu in nauwe schwankend, vgl.
nauwe:spauwe (sputum) nauwen:verdauwen (digerere, op-

I. mittelniederländiſche conſonanten. labiales.

(V) als anlaut parallel dem goth. f und mittelh. v,
varen, viant, vlien, vrient etc. Inlautend hingegen dem
goth. b, mittelh. b und altſächſ. bh, z. b. avont (veſpe-
ra) raven (corvus) laven (reficere) tëve (canis f.) ëver
(aper) lëven (vivere) bëven (tremere) vive (quinque)
wive (feminâ) gaven (dabant) ſcrëven (ſcribebant) ſëlver
(arg.) dëlven (fodere) ſterven (mori) ſcuvût (bubo Maerl.
2, 348. Rein. 350.) etc. Wird der dem v folgende voc.
ausgeſtoßen (gewöhnlich vor lingualen, zuweilen vor l,
wenn noch ein flexions-e zutritt) ſo wandelt ſich v in
f, als lêft, ſcrîft, naefle (umbilico) aefs (obliquus) f.
lëvet, ſcrivet, navele, aves. Auslautend wird dies v
jederzeit zu f, es müſte denn in das vocaliſche u ſchmel-
zen, was ſich doch nur höchſt ſelten, etwan in frem-
den wörtern zutragen wird. Ich finde bailliu (franz.
baillif) gen. baillius, paeus f. paves iſt vorhin angeführt,
der gewöhnliche reim auf paves lautet aves (obliquus)
Maerl. 3, 65. Stoke 2, 458.

(W) anlautend vor allen vocalen, doch kaum vor
u, weil ſich dieſes meiſtens in o verwandelt hat, daher
wolf, worp (jactus) worſt, worm etc. In der verbin-
dung wr, nicht aber in wl. dauert die ſpirans fort. Von
tw. dw. ſw. qw. unten bei den verbindungen. — Das
inlautende w. in der flexion unbedenklich (varuwe co-
lor, wëdewe vidua etc.) ſcheint in den wurzeln, wie
im mittelh., ein überflüßiges u vor ſich zu entwickeln.
Hierher folgende formen 1) auw, ſchwankend in ouw,
als vrouwe (femina) mouwe (manica) Maerl. 2, 292. rou-
wen (dolere) Rein. 325. rouwe (dolor) bouwen (aedifi-
care) donouwe (danubius) ſcouwen (videre) blouwen
(flagellare) trouwen (confidere) getrouwe (fidelis) hou-
wen (caedere). In Rein. ſind alle dieſe mit auw, in
Maerl. mit onw geſchrieben. 2) aeuw triphthongiſch
und nicht auf die vorigen auw reimend; nur: claeuwe
(ungula) braeuwe (ſupercilium) graeuwe (cani) blaeuwe
(lividi) raeuwe (crudi) zweifelhaft bin ich wegen naeuwe
(anguſtus, tenax) daeuwen (roreſcere) kaeuwen (rumi-
nare, perpendere Stoke 3, 73.) und paeuwel (paulus)
die zwar mit auw, aber bei ſolchen geſchrieben wer-
den, denen ſonſt ouw gilt. Auch heißt es neuniederl.
naauw wie graauw. 3) êuw, nur: lêuwe (leo) êuwe
(ſeculum) ſnêuwe (nive) ſêuwe (lacu) Rein. 375. iſt êwe
geſchrieben. 4) ieuw, das einzige nienwe (novus) Maerl.
1, 134. 403. 437. und dazu in nûwe ſchwankend, vgl.
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[491/0517] I. mittelniederländiſche conſonanten. labiales. (V) als anlaut parallel dem goth. f und mittelh. v, varen, viant, vlien, vrient etc. Inlautend hingegen dem goth. b, mittelh. b und altſächſ. bh, z. b. avont (veſpe- ra) raven (corvus) laven (reficere) tëve (canis f.) ëver (aper) lëven (vivere) bëven (tremere) vive (quinque) wive (feminâ) gaven (dabant) ſcrëven (ſcribebant) ſëlver (arg.) dëlven (fodere) ſterven (mori) ſcuvût (bubo Maerl. 2, 348. Rein. 350.) etc. Wird der dem v folgende voc. ausgeſtoßen (gewöhnlich vor lingualen, zuweilen vor l, wenn noch ein flexions-e zutritt) ſo wandelt ſich v in f, als lêft, ſcrîft, naefle (umbilico) aefs (obliquus) f. lëvet, ſcrivet, navele, aves. Auslautend wird dies v jederzeit zu f, es müſte denn in das vocaliſche u ſchmel- zen, was ſich doch nur höchſt ſelten, etwan in frem- den wörtern zutragen wird. Ich finde bailliu (franz. baillif) gen. baillius, paeus f. paves iſt vorhin angeführt, der gewöhnliche reim auf paves lautet aves (obliquus) Maerl. 3, 65. Stoke 2, 458. (W) anlautend vor allen vocalen, doch kaum vor u, weil ſich dieſes meiſtens in o verwandelt hat, daher wolf, worp (jactus) worſt, worm etc. In der verbin- dung wr, nicht aber in wl. dauert die ſpirans fort. Von tw. dw. ſw. qw. unten bei den verbindungen. — Das inlautende w. in der flexion unbedenklich (varuwe co- lor, wëdewe vidua etc.) ſcheint in den wurzeln, wie im mittelh., ein überflüßiges u vor ſich zu entwickeln. Hierher folgende formen 1) auw, ſchwankend in ouw, als vrouwe (femina) mouwe (manica) Maerl. 2, 292. rou- wen (dolere) Rein. 325. rouwe (dolor) bouwen (aedifi- care) donouwe (danubius) ſcouwen (videre) blouwen (flagellare) trouwen (confidere) getrouwe (fidelis) hou- wen (caedere). In Rein. ſind alle dieſe mit auw, in Maerl. mit onw geſchrieben. 2) aeuw triphthongiſch und nicht auf die vorigen auw reimend; nur: claeuwe (ungula) braeuwe (ſupercilium) graeuwe (cani) blaeuwe (lividi) raeuwe (crudi) zweifelhaft bin ich wegen naeuwe (anguſtus, tenax) daeuwen (roreſcere) kaeuwen (rumi- nare, perpendere Stoke 3, 73.) und paeuwel (paulus) die zwar mit auw, aber bei ſolchen geſchrieben wer- den, denen ſonſt ouw gilt. Auch heißt es neuniederl. naauw wie graauw. 3) êuw, nur: lêuwe (leo) êuwe (ſeculum) ſnêuwe (nive) ſêuwe (lacu) Rein. 375. iſt êwe geſchrieben. 4) ieuw, das einzige nienwe (novus) Maerl. 1, 134. 403. 437. und dazu in nûwe ſchwankend, vgl. nûwe:ſpûwe (ſputum) nûwen:verdûwen (digerere, op-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/517>, abgerufen am 13.05.2024.