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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. uergleichung fremder buchstaben.
socer; upo, sub; sas, sa (sanskr. is, ea) gr. o, e, goth.
sa, so; als, sal; sasa (sanskr. lepus) haso etc.; auch fällt
der anlautende spiritus ganz ab, z. b. das lat. anser steht
f. hanser (sanskr. hamsa, cignus) odium f. hodium (goth.
hatis) ear lat. ver, und das gr. idmen (sanskr. vidmas,
lat. videmus, goth. vitum) hatte früher ein digamma
vor sich. Am seltensten tauschen v und s, vgl. sinister
mit winster.

Noch merkwürdiger als die einstimmung der liq.
und spir. ist die abweichung der lippen- zungen- und
kehllaute nicht allein von der gothischen, sondern auch
der alth. einrichtung. Nämlich genau wie das alth. in
allen drei graden von der goth. ordnung eine stufe ab-
wärts gesunken ist, war bereits das goth. selbst eine
stufe von der lateinischen (griech. indischen) herabge-
wichen. Das goth. verhält sich zum lat. gerade wie
das alth. zum goth. Die ganze für geschichte der
sprache und strenge der etymologie folgenreiche zwei-
fache lautverschiebung stellt sich tabellarisch so dar:

griech. P. B. F.T. D. TH.K. G. CH.
goth. F. P. B.TH. T. D... K. G.
alth. B(V) F. P.D. Z. T.G. CH. K.
oder anders aufgefaßt:
gr. goth. alth.gr. goth. alth.gr. goth. alth.
P F B(V)T TH DK .. G
B P FD T ZG K CH
F B PTH D TCH G K
Hieraus ergibt sich nunmehr, wie der Gothe die durch
abgang der kehlasp. entspringende lücke deckt: er be-
dient sich anlautend statt ch des spiritus h, in- und
auslautend zuweilen des h, häufig aber auch der med. g.
Im alth. stünde hier die med. g überall consequent und
dem b. d der andern reihen analog; es mag aber ein
überrest der früheren lauteinrichtung seyn, daß auch
alth. der goth. anlaut h, weil man ihn für eine spirans
und nicht asp. nahm, fortgalt. Nur zuweilen erscheint
g daneben. Diese verwendung des h für ch findet be-
merkenswerth gerade auch im lat. anlaut statt, so daß sich
die gutturales näher bestimmt folgendergestalt ausnehmen:
griech.lat.goth.alth.
kch, gh, g
ggkch
khhgk

I. uergleichung fremder buchſtaben.
ſocer; ὑπὸ, ſub; ſas, ſâ (ſanſkr. is, ea) gr. ὁ, ἡ, goth.
ſa, ſô; ἅλς, ſal; ſaſa (ſanſkr. lepus) haſo etc.; auch fällt
der anlautende ſpiritus ganz ab, z. b. das lat. anſer ſteht
f. hanſer (ſanſkr. hamſa, cignus) odium f. hodium (goth.
hatis) ἐαρ lat. ver, und das gr. ἴδμεν (ſanſkr. vidmas,
lat. videmus, goth. vitum) hatte früher ein digamma
vor ſich. Am ſeltenſten tauſchen v und ſ, vgl. ſiniſter
mit winſter.

Noch merkwürdiger als die einſtimmung der liq.
und ſpir. iſt die abweichung der lippen- zungen- und
kehllaute nicht allein von der gothiſchen, ſondern auch
der alth. einrichtung. Nämlich genau wie das alth. in
allen drei graden von der goth. ordnung eine ſtufe ab-
wärts geſunken iſt, war bereits das goth. ſelbſt eine
ſtufe von der lateiniſchen (griech. indiſchen) herabge-
wichen. Das goth. verhält ſich zum lat. gerade wie
das alth. zum goth. Die ganze für geſchichte der
ſprache und ſtrenge der etymologie folgenreiche zwei-
fache lautverſchiebung ſtellt ſich tabellariſch ſo dar:

griech. P. B. F.T. D. TH.K. G. CH.
goth. F. P. B.TH. T. D.‥ K. G.
alth. B(V) F. P.D. Z. T.G. CH. K.
oder anders aufgefaßt:
gr. goth. alth.gr. goth. alth.gr. goth. alth.
P F B(V)T TH DK ‥ G
B P FD T ZG K CH
F B PTH D TCH G K
Hieraus ergibt ſich nunmehr, wie der Gothe die durch
abgang der kehlaſp. entſpringende lücke deckt: er be-
dient ſich anlautend ſtatt ch des ſpiritus h, in- und
auslautend zuweilen des h, häufig aber auch der med. g.
Im alth. ſtünde hier die med. g überall conſequent und
dem b. d der andern reihen analog; es mag aber ein
überreſt der früheren lauteinrichtung ſeyn, daß auch
alth. der goth. anlaut h, weil man ihn für eine ſpirans
und nicht aſp. nahm, fortgalt. Nur zuweilen erſcheint
g daneben. Dieſe verwendung des h für ch findet be-
merkenswerth gerade auch im lat. anlaut ſtatt, ſo daß ſich
die gutturales näher beſtimmt folgendergeſtalt ausnehmen:
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[584/0610] I. uergleichung fremder buchſtaben. ſocer; ὑπὸ, ſub; ſas, ſâ (ſanſkr. is, ea) gr. ὁ, ἡ, goth. ſa, ſô; ἅλς, ſal; ſaſa (ſanſkr. lepus) haſo etc.; auch fällt der anlautende ſpiritus ganz ab, z. b. das lat. anſer ſteht f. hanſer (ſanſkr. hamſa, cignus) odium f. hodium (goth. hatis) ἐαρ lat. ver, und das gr. ἴδμεν (ſanſkr. vidmas, lat. videmus, goth. vitum) hatte früher ein digamma vor ſich. Am ſeltenſten tauſchen v und ſ, vgl. ſiniſter mit winſter. Noch merkwürdiger als die einſtimmung der liq. und ſpir. iſt die abweichung der lippen- zungen- und kehllaute nicht allein von der gothiſchen, ſondern auch der alth. einrichtung. Nämlich genau wie das alth. in allen drei graden von der goth. ordnung eine ſtufe ab- wärts geſunken iſt, war bereits das goth. ſelbſt eine ſtufe von der lateiniſchen (griech. indiſchen) herabge- wichen. Das goth. verhält ſich zum lat. gerade wie das alth. zum goth. Die ganze für geſchichte der ſprache und ſtrenge der etymologie folgenreiche zwei- fache lautverſchiebung ſtellt ſich tabellariſch ſo dar: griech. P. B. F. T. D. TH. K. G. CH. goth. F. P. B. TH. T. D. ‥ K. G. alth. B(V) F. P. D. Z. T. G. CH. K. oder anders aufgefaßt: gr. goth. alth. gr. goth. alth. gr. goth. alth. P F B(V) T TH D K ‥ G B P F D T Z G K CH F B P TH D T CH G K Hieraus ergibt ſich nunmehr, wie der Gothe die durch abgang der kehlaſp. entſpringende lücke deckt: er be- dient ſich anlautend ſtatt ch des ſpiritus h, in- und auslautend zuweilen des h, häufig aber auch der med. g. Im alth. ſtünde hier die med. g überall conſequent und dem b. d der andern reihen analog; es mag aber ein überreſt der früheren lauteinrichtung ſeyn, daß auch alth. der goth. anlaut h, weil man ihn für eine ſpirans und nicht aſp. nahm, fortgalt. Nur zuweilen erſcheint g daneben. Dieſe verwendung des h für ch findet be- merkenswerth gerade auch im lat. anlaut ſtatt, ſo daß ſich die gutturales näher beſtimmt folgendergeſtalt ausnehmen: griech. lat. goth. alth. κ c h, g h, g γ g k ch χ h g k

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/610>, abgerufen am 16.06.2024.