Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite
I. vergleichung fremder buchstaben.
3) wörter, welche die eine oder die andere sprache
nicht besitzt, ließen sich für die neun cons. verhält-
nisse leicht herstellen, nicht aber in den elementen
der vocale, liquiden und spiranten. Alles rathen bleibt
also unfruchtbar; wir dürften höchstens behaupten,
daß z. b. daphne im goth. t-b, im hochd. z-p; phuton
goth. b-th, hochd. p-d haben müste. Jene neun re-
geln sind nur prüfftein für vorhandene wörter. Zu
neuen schöpfungen reicht insgemein keine analogie
aus, weil alles lebendige unberechenbar ist und die
gesetze der theorie mit den ausnahmen der praxis
verschmelzt.
4) solche ausnahmen, d. h. fälle, wo die aufgestellten
gleichungen fehlschlagen, treten ein
a) bei übergängen der ten. med. oder asp. in ten. med.
asp. einer andern reihe. Wie oft wechseln p. t. k.
(taos, pavo; pente, aeol. pempe; poios, jon. koios)
b. d. g. (obelos, dor. odelos; ge dor. de; vgl. oben
s. 445. 446.) ph. th. ch (beispiele vorhin s. 587.)
b) wegen unvollkommenheit der aspirationen in den
meisten sprachen und daraus entspringender mischung
mit der verwandten spirans und media. Das sanfkrit
aspiriert ten. und med. jedes organs, so daß bh. ph;
dh. th; gh. kh vorhanden sind. Davon zeigen sich
in den übrigen vermengte trümmer. Der Grieche
besitzt ph. th. ch.; der Lateiner nur ersteres (und
modificiert, sein f nähert sich dem bh); th wird
ihm zu f; ch zu h. Auch die litth. und lett. sprache
ermangeln beide des f, th und ch (ja selbst der ein-
fachen spirans h); die goth. etc. des ch, welches
sie durch h und g ersetzt. In andern deutschen dia-
lecten deutliche spuren des bh. dh. gh. die sich viel-
leicht künftig klarer auffaßen laßen werden, als es
in meiner darstellung geschehen konnte. Der man-
gel des anlautenden goth. p hochd. ph (f) unter
diesem gesichtspunct erscheint minder auffallend.
Da im gr. und lat. die lippenlaute schwanken, z. b.
kephale, caput; nephos, neele, nubes, nebula; so
rechtfertigt sich jedwede der deutschen formen, das
goth. haubith neben gibla und das sächs. heafod und
ob das alth. houbit oder houpit, nepal oder nebal vor-
zug verdiene, muß allgemeinbetrachtet unentschieden
bleiben. Der Lateiner liebt inlautende med. (habeo,
nobilis, mobilis, fabula, cibus, hebes, scabies etc.;
die abkunft von v offenbar in novisse, movere etc.)
I. vergleichung fremder buchſtaben.
3) wörter, welche die eine oder die andere ſprache
nicht beſitzt, ließen ſich für die neun conſ. verhält-
niſſe leicht herſtellen, nicht aber in den elementen
der vocale, liquiden und ſpiranten. Alles rathen bleibt
alſo unfruchtbar; wir dürften höchſtens behaupten,
daß z. b. δάφνη im goth. t-b, im hochd. z-p; φυτὸν
goth. b-þ, hochd. p-d haben müſte. Jene neun re-
geln ſind nur prüfftein für vorhandene wörter. Zu
neuen ſchöpfungen reicht insgemein keine analogie
aus, weil alles lebendige unberechenbar iſt und die
geſetze der theorie mit den ausnahmen der praxis
verſchmelzt.
4) ſolche ausnahmen, d. h. fälle, wo die aufgeſtellten
gleichungen fehlſchlagen, treten ein
a) bei übergängen der ten. med. oder aſp. in ten. med.
aſp. einer andern reihe. Wie oft wechſeln p. t. k.
(ταὼς, pavo; πέντε, aeol. πέμπε; ποῖος, jon. κοῖος)
b. d. g. (ὀβελός, dor. ὀδελος; γῆ dor. δῆ; vgl. oben
ſ. 445. 446.) ph. th. ch (beiſpiele vorhin ſ. 587.)
b) wegen unvollkommenheit der aſpirationen in den
meiſten ſprachen und daraus entſpringender miſchung
mit der verwandten ſpirans und media. Das ſanfkrit
aſpiriert ten. und med. jedes organs, ſo daß bh. ph;
dh. th; gh. kh vorhanden ſind. Davon zeigen ſich
in den übrigen vermengte trümmer. Der Grieche
beſitzt ph. th. ch.; der Lateiner nur erſteres (und
modificiert, ſein f nähert ſich dem bh); th wird
ihm zu f; ch zu h. Auch die litth. und lett. ſprache
ermangeln beide des f, th und ch (ja ſelbſt der ein-
fachen ſpirans h); die goth. etc. des ch, welches
ſie durch h und g erſetzt. In andern deutſchen dia-
lecten deutliche ſpuren des bh. dh. gh. die ſich viel-
leicht künftig klarer auffaßen laßen werden, als es
in meiner darſtellung geſchehen konnte. Der man-
gel des anlautenden goth. p hochd. ph (f) unter
dieſem geſichtspunct erſcheint minder auffallend.
Da im gr. und lat. die lippenlaute ſchwanken, z. b.
κεφαλὴ, caput; νέφος, νεέλη, nubes, nebula; ſo
rechtfertigt ſich jedwede der deutſchen formen, das
goth. háubiþ neben gibla und das ſächſ. heáfod und
ob das alth. houbit oder houpit, nëpal oder nëbal vor-
zug verdiene, muß allgemeinbetrachtet unentſchieden
bleiben. Der Lateiner liebt inlautende med. (habeo,
nobilis, mobilis, fabula, cibus, hebes, ſcabies etc.;
die abkunft von v offenbar in noviſſe, movere etc.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <list>
            <pb facs="#f0615" n="589"/>
            <fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">vergleichung fremder buch&#x017F;taben.</hi></fw><lb/>
            <item>3) wörter, welche die eine oder die andere &#x017F;prache<lb/>
nicht be&#x017F;itzt, ließen &#x017F;ich für die neun con&#x017F;. verhält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e leicht her&#x017F;tellen, nicht aber in den elementen<lb/>
der vocale, liquiden und &#x017F;piranten. Alles rathen bleibt<lb/>
al&#x017F;o unfruchtbar; wir dürften höch&#x017F;tens behaupten,<lb/>
daß z. b. <hi rendition="#i">&#x03B4;&#x03AC;&#x03C6;&#x03BD;&#x03B7;</hi> im goth. t-b, im hochd. z-p; <hi rendition="#i">&#x03C6;&#x03C5;&#x03C4;&#x1F78;&#x03BD;</hi><lb/>
goth. b-þ, hochd. p-d haben mü&#x017F;te. Jene neun re-<lb/>
geln &#x017F;ind nur prüfftein für vorhandene wörter. Zu<lb/>
neuen &#x017F;chöpfungen reicht insgemein keine analogie<lb/>
aus, weil alles lebendige unberechenbar i&#x017F;t und die<lb/>
ge&#x017F;etze der theorie mit den ausnahmen der praxis<lb/>
ver&#x017F;chmelzt.</item><lb/>
            <item>4) &#x017F;olche ausnahmen, d. h. fälle, wo die aufge&#x017F;tellten<lb/>
gleichungen fehl&#x017F;chlagen, treten ein<lb/><list><item>a) bei übergängen der ten. med. oder a&#x017F;p. in ten. med.<lb/>
a&#x017F;p. einer andern reihe. Wie oft wech&#x017F;eln p. t. k.<lb/>
(<hi rendition="#i">&#x03C4;&#x03B1;&#x1F7C;&#x03C2;</hi>, pavo; <hi rendition="#i">&#x03C0;&#x03AD;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B5;</hi>, aeol. <hi rendition="#i">&#x03C0;&#x03AD;&#x03BC;&#x03C0;&#x03B5;</hi>; <hi rendition="#i">&#x03C0;&#x03BF;&#x1FD6;&#x03BF;&#x03C2;</hi>, jon. <hi rendition="#i">&#x03BA;&#x03BF;&#x1FD6;&#x03BF;&#x03C2;</hi>)<lb/>
b. d. g. (<hi rendition="#i">&#x1F40;&#x03B2;&#x03B5;&#x03BB;&#x03CC;&#x03C2;</hi>, dor. <hi rendition="#i">&#x1F40;&#x03B4;&#x03B5;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C2;</hi>; <hi rendition="#i">&#x03B3;&#x1FC6;</hi> dor. <hi rendition="#i">&#x03B4;&#x1FC6;</hi>; vgl. oben<lb/>
&#x017F;. 445. 446.) ph. th. ch (bei&#x017F;piele vorhin &#x017F;. 587.)</item><lb/><item>b) wegen unvollkommenheit der a&#x017F;pirationen in den<lb/>
mei&#x017F;ten &#x017F;prachen und daraus ent&#x017F;pringender mi&#x017F;chung<lb/>
mit der verwandten &#x017F;pirans und media. Das &#x017F;anfkrit<lb/>
a&#x017F;piriert ten. und med. jedes organs, &#x017F;o daß bh. ph;<lb/>
dh. th; gh. kh vorhanden &#x017F;ind. Davon zeigen &#x017F;ich<lb/>
in den übrigen vermengte trümmer. Der Grieche<lb/>
be&#x017F;itzt ph. th. ch.; der Lateiner nur er&#x017F;teres (und<lb/>
modificiert, &#x017F;ein f nähert &#x017F;ich dem bh); th wird<lb/>
ihm zu f; ch zu h. Auch die litth. und lett. &#x017F;prache<lb/>
ermangeln beide des f, th und ch (ja &#x017F;elb&#x017F;t der ein-<lb/>
fachen &#x017F;pirans h); die goth. etc. des ch, welches<lb/>
&#x017F;ie durch h und g er&#x017F;etzt. In andern deut&#x017F;chen dia-<lb/>
lecten deutliche &#x017F;puren des bh. dh. gh. die &#x017F;ich viel-<lb/>
leicht künftig klarer auffaßen laßen werden, als es<lb/>
in meiner dar&#x017F;tellung ge&#x017F;chehen konnte. Der man-<lb/>
gel des anlautenden goth. p hochd. ph (f) unter<lb/>
die&#x017F;em ge&#x017F;ichtspunct er&#x017F;cheint minder auffallend.<lb/>
Da im gr. und lat. die lippenlaute &#x017F;chwanken, z. b.<lb/><hi rendition="#i">&#x03BA;&#x03B5;&#x03C6;&#x03B1;&#x03BB;&#x1F74;</hi>, caput; <hi rendition="#i">&#x03BD;&#x03AD;&#x03C6;&#x03BF;&#x03C2;, &#x03BD;&#x03B5;&#x03AD;&#x03BB;&#x03B7;</hi>, nubes, nebula; &#x017F;o<lb/>
rechtfertigt &#x017F;ich jedwede der deut&#x017F;chen formen, das<lb/>
goth. háubiþ neben gibla und das &#x017F;äch&#x017F;. heáfod und<lb/>
ob das alth. houbit oder houpit, nëpal oder nëbal vor-<lb/>
zug verdiene, muß allgemeinbetrachtet unent&#x017F;chieden<lb/>
bleiben. Der Lateiner liebt inlautende med. (habeo,<lb/>
nobilis, mobilis, fabula, cibus, hebes, &#x017F;cabies etc.;<lb/>
die abkunft von v offenbar in novi&#x017F;&#x017F;e, movere etc.)</item><lb/></list></item>
          </list>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[589/0615] I. vergleichung fremder buchſtaben. 3) wörter, welche die eine oder die andere ſprache nicht beſitzt, ließen ſich für die neun conſ. verhält- niſſe leicht herſtellen, nicht aber in den elementen der vocale, liquiden und ſpiranten. Alles rathen bleibt alſo unfruchtbar; wir dürften höchſtens behaupten, daß z. b. δάφνη im goth. t-b, im hochd. z-p; φυτὸν goth. b-þ, hochd. p-d haben müſte. Jene neun re- geln ſind nur prüfftein für vorhandene wörter. Zu neuen ſchöpfungen reicht insgemein keine analogie aus, weil alles lebendige unberechenbar iſt und die geſetze der theorie mit den ausnahmen der praxis verſchmelzt. 4) ſolche ausnahmen, d. h. fälle, wo die aufgeſtellten gleichungen fehlſchlagen, treten ein a) bei übergängen der ten. med. oder aſp. in ten. med. aſp. einer andern reihe. Wie oft wechſeln p. t. k. (ταὼς, pavo; πέντε, aeol. πέμπε; ποῖος, jon. κοῖος) b. d. g. (ὀβελός, dor. ὀδελος; γῆ dor. δῆ; vgl. oben ſ. 445. 446.) ph. th. ch (beiſpiele vorhin ſ. 587.) b) wegen unvollkommenheit der aſpirationen in den meiſten ſprachen und daraus entſpringender miſchung mit der verwandten ſpirans und media. Das ſanfkrit aſpiriert ten. und med. jedes organs, ſo daß bh. ph; dh. th; gh. kh vorhanden ſind. Davon zeigen ſich in den übrigen vermengte trümmer. Der Grieche beſitzt ph. th. ch.; der Lateiner nur erſteres (und modificiert, ſein f nähert ſich dem bh); th wird ihm zu f; ch zu h. Auch die litth. und lett. ſprache ermangeln beide des f, th und ch (ja ſelbſt der ein- fachen ſpirans h); die goth. etc. des ch, welches ſie durch h und g erſetzt. In andern deutſchen dia- lecten deutliche ſpuren des bh. dh. gh. die ſich viel- leicht künftig klarer auffaßen laßen werden, als es in meiner darſtellung geſchehen konnte. Der man- gel des anlautenden goth. p hochd. ph (f) unter dieſem geſichtspunct erſcheint minder auffallend. Da im gr. und lat. die lippenlaute ſchwanken, z. b. κεφαλὴ, caput; νέφος, νεέλη, nubes, nebula; ſo rechtfertigt ſich jedwede der deutſchen formen, das goth. háubiþ neben gibla und das ſächſ. heáfod und ob das alth. houbit oder houpit, nëpal oder nëbal vor- zug verdiene, muß allgemeinbetrachtet unentſchieden bleiben. Der Lateiner liebt inlautende med. (habeo, nobilis, mobilis, fabula, cibus, hebes, ſcabies etc.; die abkunft von v offenbar in noviſſe, movere etc.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/615
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/615>, abgerufen am 16.06.2024.