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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. allg. vergleichung der declination.
beiderlei entwickelung nachweisen läßt. Das altn.
starke nafn. nafns; vatn, vatns entspräche einem goth.
namn, namnis; vatn, vatnis; lantet aber schwach
namo, namins; vato, vatins, obgleich der pl. die ano-
malie namna, vatna wirklich zeigt (s. 609.); alth. ent-
spräche waßan, waßanes; naman, naman, namanes; für jenes
gilt die gleichbedeutige starke bildung -ar: waßar,
waßares; für dieses die schwache form: namo, na-
min. Übertritte können durch einzelne, in beiden
formen zus. treffende casus, wie den acc. sg. und pl.
masc. (vgl. thiudan mit bloman, d. i. blom -an) ge-
bahnt worden seyn. Besonders lehrreich wird die
vergleichung der starkschwachen decl. des wortes man-
na
(s. 610. 611.); der alth. gen. man (s. 630.) verhält
sich zum goth. mans wie alth. hanin zum goth. hanins.
Das spätere schwanken zwischen starker und schwa-
cher decl. (s. 674. 685) gehört nur halb hierher, da
die mischung abgeschliffener formen, welche keinen
andern vocal hören laßen, als ein unbetontes e. dem
früheren schweben einzelner wörter, bei vollem und
wechselndem vocal, aus form in form nicht gerade
gleichgilt. Weshalb ich auch die uralte sonderung
und festsetzung einer deutschen schwachen decl. [ge-
bührlich scheint die benennung, weil das eigentliche
flexionsprincip geschwächt, beinahe aufgehoben wird]
keineswegs unorganisch heiße, die neuh. verwirrung
des schwachen -en mit dem -en starker bildung
(s. 703. 704.) ist unorganisch, da sie kaum in der ah-
nung ansänglicher einheit beider grundsätze beruhen
mag, und nicht allein starke subst. in schwache ver-
wandelt, sondern auch umgekehrt schwache zurück
in starke. Das letzte ist wider die natur der sprache;
es gibt hier keine rückkehren.
12) für unorganisch gelten auch einmischungen schwa-
cher form in einzelue casus starker wörter (vgl. anm. 40.
zur starken decl.) dergleichen die heutige deutsche
volkssprache noch mehrere darbietet (Schmeller §. 810.
845.). Und wer möchte die allmählige ausdehnung
schwacher form auf den ganzen pl., die wiedereinwei-
sung starker in den sing. (mittelniederl. s. 689. 692;
neuniederl. 705. 707. 708.) dem ursprung und gang
unserer sprache angemeßen halten? Während das neuh,
und niederl. durch falsche anwendungen schwacher
flexion die menge gleichtöniger ausgänge -en fast ins
übermaß steigerte, gieng in der abgeschliffenen engli-
II. allg. vergleichung der declination.
beiderlei entwickelung nachweiſen läßt. Das altn.
ſtarke nafn. nafns; vatn, vatns entſpräche einem goth.
namn, namnis; vatn, vatnis; lantet aber ſchwach
namô, namins; vatô, vatins, obgleich der pl. die ano-
malie namna, vatna wirklich zeigt (ſ. 609.); alth. ent-
ſpräche waƷan, waƷanes; naman, naman, namanes; für jenes
gilt die gleichbedeutige ſtarke bildung -ar: waƷar,
waƷares; für dieſes die ſchwache form: namo, na-
min. Übertritte können durch einzelne, in beiden
formen zuſ. treffende caſus, wie den acc. ſg. und pl.
maſc. (vgl. þiudan mit blôman, d. i. blôm -an) ge-
bahnt worden ſeyn. Beſonders lehrreich wird die
vergleichung der ſtarkſchwachen decl. des wortes man-
na
(ſ. 610. 611.); der alth. gen. man (ſ. 630.) verhält
ſich zum goth. mans wie alth. hanin zum goth. hanins.
Das ſpätere ſchwanken zwiſchen ſtarker und ſchwa-
cher decl. (ſ. 674. 685) gehört nur halb hierher, da
die miſchung abgeſchliffener formen, welche keinen
andern vocal hören laßen, als ein unbetontes e. dem
früheren ſchweben einzelner wörter, bei vollem und
wechſelndem vocal, aus form in form nicht gerade
gleichgilt. Weshalb ich auch die uralte ſonderung
und feſtſetzung einer deutſchen ſchwachen decl. [ge-
bührlich ſcheint die benennung, weil das eigentliche
flexionsprincip geſchwächt, beinahe aufgehoben wird]
keineswegs unorganiſch heiße, die neuh. verwirrung
des ſchwachen -en mit dem -en ſtarker bildung
(ſ. 703. 704.) iſt unorganiſch, da ſie kaum in der ah-
nung anſänglicher einheit beider grundſätze beruhen
mag, und nicht allein ſtarke ſubſt. in ſchwache ver-
wandelt, ſondern auch umgekehrt ſchwache zurück
in ſtarke. Das letzte iſt wider die natur der ſprache;
es gibt hier keine rückkehren.
12) für unorganiſch gelten auch einmiſchungen ſchwa-
cher form in einzelue caſus ſtarker wörter (vgl. anm. 40.
zur ſtarken decl.) dergleichen die heutige deutſche
volksſprache noch mehrere darbietet (Schmeller §. 810.
845.). Und wer möchte die allmählige ausdehnung
ſchwacher form auf den ganzen pl., die wiedereinwei-
ſung ſtarker in den ſing. (mittelniederl. ſ. 689. 692;
neuniederl. 705. 707. 708.) dem urſprung und gang
unſerer ſprache angemeßen halten? Während das neuh,
und niederl. durch falſche anwendungen ſchwacher
flexion die menge gleichtöniger ausgänge -en faſt ins
übermaß ſteigerte, gieng in der abgeſchliffenen engli-
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[822/0848] II. allg. vergleichung der declination. beiderlei entwickelung nachweiſen läßt. Das altn. ſtarke nafn. nafns; vatn, vatns entſpräche einem goth. namn, namnis; vatn, vatnis; lantet aber ſchwach namô, namins; vatô, vatins, obgleich der pl. die ano- malie namna, vatna wirklich zeigt (ſ. 609.); alth. ent- ſpräche waƷan, waƷanes; naman, naman, namanes; für jenes gilt die gleichbedeutige ſtarke bildung -ar: waƷar, waƷares; für dieſes die ſchwache form: namo, na- min. Übertritte können durch einzelne, in beiden formen zuſ. treffende caſus, wie den acc. ſg. und pl. maſc. (vgl. þiudan mit blôman, d. i. blôm -an) ge- bahnt worden ſeyn. Beſonders lehrreich wird die vergleichung der ſtarkſchwachen decl. des wortes man- na (ſ. 610. 611.); der alth. gen. man (ſ. 630.) verhält ſich zum goth. mans wie alth. hanin zum goth. hanins. Das ſpätere ſchwanken zwiſchen ſtarker und ſchwa- cher decl. (ſ. 674. 685) gehört nur halb hierher, da die miſchung abgeſchliffener formen, welche keinen andern vocal hören laßen, als ein unbetontes e. dem früheren ſchweben einzelner wörter, bei vollem und wechſelndem vocal, aus form in form nicht gerade gleichgilt. Weshalb ich auch die uralte ſonderung und feſtſetzung einer deutſchen ſchwachen decl. [ge- bührlich ſcheint die benennung, weil das eigentliche flexionsprincip geſchwächt, beinahe aufgehoben wird] keineswegs unorganiſch heiße, die neuh. verwirrung des ſchwachen -en mit dem -en ſtarker bildung (ſ. 703. 704.) iſt unorganiſch, da ſie kaum in der ah- nung anſänglicher einheit beider grundſätze beruhen mag, und nicht allein ſtarke ſubſt. in ſchwache ver- wandelt, ſondern auch umgekehrt ſchwache zurück in ſtarke. Das letzte iſt wider die natur der ſprache; es gibt hier keine rückkehren. 12) für unorganiſch gelten auch einmiſchungen ſchwa- cher form in einzelue caſus ſtarker wörter (vgl. anm. 40. zur ſtarken decl.) dergleichen die heutige deutſche volksſprache noch mehrere darbietet (Schmeller §. 810. 845.). Und wer möchte die allmählige ausdehnung ſchwacher form auf den ganzen pl., die wiedereinwei- ſung ſtarker in den ſing. (mittelniederl. ſ. 689. 692; neuniederl. 705. 707. 708.) dem urſprung und gang unſerer ſprache angemeßen halten? Während das neuh, und niederl. durch falſche anwendungen ſchwacher flexion die menge gleichtöniger ausgänge -en faſt ins übermaß ſteigerte, gieng in der abgeſchliffenen engli-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 822. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/848>, abgerufen am 12.05.2024.