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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. allg. vergleichung der declination.
schen das princip völlig unter; eine glücklichere hal-
tung aber behaupteten nordische decl.
13) bisher bloß vom schwachen subst., an dem adjectiv
scheint die ganze erklärungsweise zu scheitern. Das
deutsche adj. hat außer der ihm mit fremden spra-
chen gemeinen eigenschaft, drei geschlechter zu ent-
falten, die (jenen gebrechende) besondere: jede wur-
zel, für alle geschlechter, beides der starken und schwa-
chen form zu unterwerfen. Das subst. fisks erstreckt
sich nicht über die eine männl. decl.; im gegentheil
das adj. blind bringt es zu sechsen: blinds, blinda,
blindata; blinda, blindo, blindo.
14) die adjectivische schwache decl. ist nun der subst.
schwachen gänzlich gleich, müste sich folglich ebenso
entwickeln laßen. Wie aber vermag das zu gesche-
hen, da die adj. starke flexion von der substantivischen
abweicht? Wie könnte aus blindaizos ein blindons,
aus blindamma blindin, aus blindai blindans, aus blin-
daize blindane durch bloße einwirkung des bilden-
den -n erklärt werden? Es bleibt kein andrer aus-
weg, als: die schwache form des adjectivs erscheint,
wenn schon in uralter zeit, bis wohin unsere quel-
len längst nicht mehr reichen, vorhanden, dennoch
der mangelhafteren substantivdeclination nachgeahmt,
also gewissermaßen unursprünglich; sie scheint wenig-
stens zuerst auf eine reihe von adj. beschränkt, zu-
letzt typus für alle geworden. Für diese ansicht
spricht theils der abgang einer so allgemeinen doppel-
form in verwandten älteren sprachen, theils die häu-
fig unverkennbare substantivische construction und be-
deutsamkeit des schwachen adjectivs. Daher sich die
wahre adj. flexion ibns, ibnis, ibnaizos etc. von blinda,
blindins, blindons durchaus entfernt, obgleich in
beiden die bildung -n regsam war.
15) nachdem sich die geschwächte form einmahl indivi-
duell gesetzt und den schein wirklicher flexion ange-
nommen hatte, folgten viele subst. und adj. der ana-
logie und die masse wuchs durch sich selbst. Denn
die anzahl schwach flectierter wörter ist schon im
goth. und alth. ansehnlich und nimmt mehr raum ein,
als sonst dem bloßen bildungsmittel -n zugestanden
werden dürfte.
16) die beschränkung des comparativs auf schwache decl.
darf hierbei nicht übersehen werden; das mittel der
II. allg. vergleichung der declination.
ſchen das princip völlig unter; eine glücklichere hal-
tung aber behaupteten nordiſche decl.
13) bisher bloß vom ſchwachen ſubſt., an dem adjectiv
ſcheint die ganze erklärungsweiſe zu ſcheitern. Das
deutſche adj. hat außer der ihm mit fremden ſpra-
chen gemeinen eigenſchaft, drei geſchlechter zu ent-
falten, die (jenen gebrechende) beſondere: jede wur-
zel, für alle geſchlechter, beides der ſtarken und ſchwa-
chen form zu unterwerfen. Das ſubſt. fiſks erſtreckt
ſich nicht über die eine männl. decl.; im gegentheil
das adj. blind bringt es zu ſechſen: blinds, blinda,
blindata; blinda, blindô, blindô.
14) die adjectiviſche ſchwache decl. iſt nun der ſubſt.
ſchwachen gänzlich gleich, müſte ſich folglich ebenſo
entwickeln laßen. Wie aber vermag das zu geſche-
hen, da die adj. ſtarke flexion von der ſubſtantiviſchen
abweicht? Wie könnte aus blindáizôs ein blindôns,
aus blindamma blindin, aus blindái blindans, aus blin-
dáizê blindanê durch bloße einwirkung des bilden-
den -n erklärt werden? Es bleibt kein andrer aus-
weg, als: die ſchwache form des adjectivs erſcheint,
wenn ſchon in uralter zeit, bis wohin unſere quel-
len längſt nicht mehr reichen, vorhanden, dennoch
der mangelhafteren ſubſtantivdeclination nachgeahmt,
alſo gewiſſermaßen unurſprünglich; ſie ſcheint wenig-
ſtens zuerſt auf eine reihe von adj. beſchränkt, zu-
letzt typus für alle geworden. Für dieſe anſicht
ſpricht theils der abgang einer ſo allgemeinen doppel-
form in verwandten älteren ſprachen, theils die häu-
fig unverkennbare ſubſtantiviſche conſtruction und be-
deutſamkeit des ſchwachen adjectivs. Daher ſich die
wahre adj. flexion ïbns, ïbnis, ïbnaizôs etc. von blinda,
blindins, blindôns durchaus entfernt, obgleich in
beiden die bildung -n regſam war.
15) nachdem ſich die geſchwächte form einmahl indivi-
duell geſetzt und den ſchein wirklicher flexion ange-
nommen hatte, folgten viele ſubſt. und adj. der ana-
logie und die maſſe wuchs durch ſich ſelbſt. Denn
die anzahl ſchwach flectierter wörter iſt ſchon im
goth. und alth. anſehnlich und nimmt mehr raum ein,
als ſonſt dem bloßen bildungsmittel -n zugeſtanden
werden dürfte.
16) die beſchränkung des comparativs auf ſchwache decl.
darf hierbei nicht überſehen werden; das mittel der
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[823/0849] II. allg. vergleichung der declination. ſchen das princip völlig unter; eine glücklichere hal- tung aber behaupteten nordiſche decl. 13) bisher bloß vom ſchwachen ſubſt., an dem adjectiv ſcheint die ganze erklärungsweiſe zu ſcheitern. Das deutſche adj. hat außer der ihm mit fremden ſpra- chen gemeinen eigenſchaft, drei geſchlechter zu ent- falten, die (jenen gebrechende) beſondere: jede wur- zel, für alle geſchlechter, beides der ſtarken und ſchwa- chen form zu unterwerfen. Das ſubſt. fiſks erſtreckt ſich nicht über die eine männl. decl.; im gegentheil das adj. blind bringt es zu ſechſen: blinds, blinda, blindata; blinda, blindô, blindô. 14) die adjectiviſche ſchwache decl. iſt nun der ſubſt. ſchwachen gänzlich gleich, müſte ſich folglich ebenſo entwickeln laßen. Wie aber vermag das zu geſche- hen, da die adj. ſtarke flexion von der ſubſtantiviſchen abweicht? Wie könnte aus blindáizôs ein blindôns, aus blindamma blindin, aus blindái blindans, aus blin- dáizê blindanê durch bloße einwirkung des bilden- den -n erklärt werden? Es bleibt kein andrer aus- weg, als: die ſchwache form des adjectivs erſcheint, wenn ſchon in uralter zeit, bis wohin unſere quel- len längſt nicht mehr reichen, vorhanden, dennoch der mangelhafteren ſubſtantivdeclination nachgeahmt, alſo gewiſſermaßen unurſprünglich; ſie ſcheint wenig- ſtens zuerſt auf eine reihe von adj. beſchränkt, zu- letzt typus für alle geworden. Für dieſe anſicht ſpricht theils der abgang einer ſo allgemeinen doppel- form in verwandten älteren ſprachen, theils die häu- fig unverkennbare ſubſtantiviſche conſtruction und be- deutſamkeit des ſchwachen adjectivs. Daher ſich die wahre adj. flexion ïbns, ïbnis, ïbnaizôs etc. von blinda, blindins, blindôns durchaus entfernt, obgleich in beiden die bildung -n regſam war. 15) nachdem ſich die geſchwächte form einmahl indivi- duell geſetzt und den ſchein wirklicher flexion ange- nommen hatte, folgten viele ſubſt. und adj. der ana- logie und die maſſe wuchs durch ſich ſelbſt. Denn die anzahl ſchwach flectierter wörter iſt ſchon im goth. und alth. anſehnlich und nimmt mehr raum ein, als ſonſt dem bloßen bildungsmittel -n zugeſtanden werden dürfte. 16) die beſchränkung des comparativs auf ſchwache decl. darf hierbei nicht überſehen werden; das mittel der

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 823. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/849>, abgerufen am 28.04.2024.