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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. verbale composition. -- participiale.
gleich verbale natur und das element ihrer flexion als
ein hindernis dazwischen. Ulfilas bietet überhaupt kein
einziges beispiel dar.

I. das participium praes. bindet sich durchaus nur
mit abstracten zweiten wörtern und zwar

a) mit subst. äußerst selten. Ich kenne bloß das ahd.
wißent-heit (scientia) N. Cap. 41. 129. unwißent-heit (in-
scitia) N. Boeth. 191; aus dem mhd. vermag ich sie nicht
nachzuweisen, doch werden sie fortgedauert haben, weil
noch heute im nhd. allwißen-heit und unwißen-heit ge-
sagt wird, im 16. 17. jahrh. auch das positive wißen-heit
(certificatio, notitia). Auf gleiche weise muß das nhd.
wißen-schaft, nnl. weten-schap, schwed. vetenskap, dän.
veden-skab zurückgeführt werden auf ein ahd. wißant-
scaf, mhd. wißen-schaft, die ich nie gelesen habe; und
selbst das (oben s. 552. unorganisch genannte) nhd. leiden-
schaft erklärt sich jetzt aus einem freilich ebensowenig
nachzuweisenden ahd. leidant-scaf. Halben beweis führen
die parallel laufenden adj. mit wißen- und leiden-. Nicht aber
stehet eigen-schaft f. eigent-sch., obschon eigent-lich gilt. Ist
das mhd. dagent-schaft (silentium) am. 4b richtig?

b) von adj. kommen -haft und -lich in betracht,
bei ersterem mangeln mir alte belege. Scherz 532b gibt
aus Keisersp. leiden-haft (mhd. leiden-haft?) und Oberl.
wißent-haft (notorius); livl. 72a findet sich wagen-haft
(mobilis, vacillans), aber 19a wage-haft (von wagen, mo-
veri). Dafür ist die zus. setzung mit -lich uralt und aus-
gebreitet.

Ahd. unkitholent-leih (intolerabilis) ker. 170; unchun-
dent-l. (intestabilis) hrab. 967b; zefarant-l. (transitorius)
K. 22a unarfarant-l. (impenetrabilis) hrab. 967b; ingrauent-
l. (horridus) hrab. 953a; pihaltant-l. (attentus) ker. 25;
heilant-l. (salubris) hrab. 974a; kiheißant-l. (spontaneus) ker.
259; helfant-l. (sub suppellectile) ker. 256; hiufant-l. (luc-
tuosus) ker. 138; ungahaorent-l. (inexaudibilis) hrab. 968a;
ungahrorent-l. (immobilis) hrab. 967a; eilant-l. (festinans) K.
60a; unarlaupant-l. (illicitus) K. 20a ker. 171. hrab. 968a
glossiert in allen drei stellen das adjectivisch genommene
subst. illecebrae; farleihant-l. (accommodatus) hrab. 954b;
minneont-l. (amans) ker. 38. minnont-l. hrab. 954a; unar-
nesant-l. (inevitabilis) mons. 410; parrent-l. (rigidus) jun. 181.
von parren (erigere, extendere); perant-l. (fructuosus) ker.
286; unarpittent-l. (inexorabilis) hrab. 967b; kipiukant-l.
(flexuosus) ker. 253; unpauant-l. (inhabitabilis) hrab. 967b;

III. verbale compoſition. — participiale.
gleich verbale natur und das element ihrer flexion als
ein hindernis dazwiſchen. Ulfilas bietet überhaupt kein
einziges beiſpiel dar.

I. das participium praeſ. bindet ſich durchaus nur
mit abſtracten zweiten wörtern und zwar

α) mit ſubſt. äußerſt ſelten. Ich kenne bloß das ahd.
wiƷent-heit (ſcientia) N. Cap. 41. 129. unwiƷent-heit (in-
ſcitia) N. Boeth. 191; aus dem mhd. vermag ich ſie nicht
nachzuweiſen, doch werden ſie fortgedauert haben, weil
noch heute im nhd. allwißen-heit und unwißen-heit ge-
ſagt wird, im 16. 17. jahrh. auch das poſitive wißen-heit
(certificatio, notitia). Auf gleiche weiſe muß das nhd.
wißen-ſchaft, nnl. weten-ſchap, ſchwed. vetenſkap, dän.
veden-ſkab zurückgeführt werden auf ein ahd. wiƷant-
ſcaf, mhd. wiƷƷen-ſchaft, die ich nie geleſen habe; und
ſelbſt das (oben ſ. 552. unorganiſch genannte) nhd. leiden-
ſchaft erklärt ſich jetzt aus einem freilich ebenſowenig
nachzuweiſenden ahd. lîdant-ſcaf. Halben beweis führen
die parallel laufenden adj. mit wiƷen- und lîden-. Nicht aber
ſtehet eigen-ſchaft f. eigent-ſch., obſchon eigent-lich gilt. Iſt
das mhd. dagent-ſchaft (ſilentium) am. 4b richtig?

β) von adj. kommen -haft und -lich in betracht,
bei erſterem mangeln mir alte belege. Scherz 532b gibt
aus Keiſersp. leiden-haft (mhd. lîden-haft?) und Oberl.
wißent-haft (notorius); livl. 72a findet ſich wagen-haft
(mobilis, vacillans), aber 19a wage-haft (von wagen, mo-
veri). Dafür iſt die zuſ. ſetzung mit -lich uralt und aus-
gebreitet.

Ahd. unkitholênt-lîh (intolerabilis) ker. 170; unchun-
dent-l. (inteſtabilis) hrab. 967b; zefarant-l. (tranſitorius)
K. 22a unarfarant-l. (impenetrabilis) hrab. 967b; ingrûênt-
l. (horridus) hrab. 953a; pihaltant-l. (attentus) ker. 25;
heilant-l. (ſalubris) hrab. 974a; kiheiƷant-l. (ſpontaneus) ker.
259; hëlfant-l. (ſub ſuppellectile) ker. 256; hiufant-l. (luc-
tuoſus) ker. 138; ungahaorent-l. (inexaudibilis) hrab. 968a;
ungahrôrent-l. (immobilis) hrab. 967a; îlant-l. (feſtinans) K.
60a; unarlaupant-l. (illicitus) K. 20a ker. 171. hrab. 968a
gloſſiert in allen drei ſtellen das adjectiviſch genommene
ſubſt. illecebrae; farlîhant-l. (accommodatus) hrab. 954b;
minnëônt-l. (amans) ker. 38. minnônt-l. hrab. 954a; unar-
nëſant-l. (inevitabilis) monſ. 410; parrent-l. (rigidus) jun. 181.
von parren (erigere, extendere); përant-l. (fructuoſus) ker.
286; unarpittent-l. (inexorabilis) hrab. 967b; kipiukant-l.
(flexuoſus) ker. 253; unpûant-l. (inhabitabilis) hrab. 967b;

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[688/0706] III. verbale compoſition. — participiale. gleich verbale natur und das element ihrer flexion als ein hindernis dazwiſchen. Ulfilas bietet überhaupt kein einziges beiſpiel dar. I. das participium praeſ. bindet ſich durchaus nur mit abſtracten zweiten wörtern und zwar α) mit ſubſt. äußerſt ſelten. Ich kenne bloß das ahd. wiƷent-heit (ſcientia) N. Cap. 41. 129. unwiƷent-heit (in- ſcitia) N. Boeth. 191; aus dem mhd. vermag ich ſie nicht nachzuweiſen, doch werden ſie fortgedauert haben, weil noch heute im nhd. allwißen-heit und unwißen-heit ge- ſagt wird, im 16. 17. jahrh. auch das poſitive wißen-heit (certificatio, notitia). Auf gleiche weiſe muß das nhd. wißen-ſchaft, nnl. weten-ſchap, ſchwed. vetenſkap, dän. veden-ſkab zurückgeführt werden auf ein ahd. wiƷant- ſcaf, mhd. wiƷƷen-ſchaft, die ich nie geleſen habe; und ſelbſt das (oben ſ. 552. unorganiſch genannte) nhd. leiden- ſchaft erklärt ſich jetzt aus einem freilich ebenſowenig nachzuweiſenden ahd. lîdant-ſcaf. Halben beweis führen die parallel laufenden adj. mit wiƷen- und lîden-. Nicht aber ſtehet eigen-ſchaft f. eigent-ſch., obſchon eigent-lich gilt. Iſt das mhd. dagent-ſchaft (ſilentium) am. 4b richtig? β) von adj. kommen -haft und -lich in betracht, bei erſterem mangeln mir alte belege. Scherz 532b gibt aus Keiſersp. leiden-haft (mhd. lîden-haft?) und Oberl. wißent-haft (notorius); livl. 72a findet ſich wagen-haft (mobilis, vacillans), aber 19a wage-haft (von wagen, mo- veri). Dafür iſt die zuſ. ſetzung mit -lich uralt und aus- gebreitet. Ahd. unkitholênt-lîh (intolerabilis) ker. 170; unchun- dent-l. (inteſtabilis) hrab. 967b; zefarant-l. (tranſitorius) K. 22a unarfarant-l. (impenetrabilis) hrab. 967b; ingrûênt- l. (horridus) hrab. 953a; pihaltant-l. (attentus) ker. 25; heilant-l. (ſalubris) hrab. 974a; kiheiƷant-l. (ſpontaneus) ker. 259; hëlfant-l. (ſub ſuppellectile) ker. 256; hiufant-l. (luc- tuoſus) ker. 138; ungahaorent-l. (inexaudibilis) hrab. 968a; ungahrôrent-l. (immobilis) hrab. 967a; îlant-l. (feſtinans) K. 60a; unarlaupant-l. (illicitus) K. 20a ker. 171. hrab. 968a gloſſiert in allen drei ſtellen das adjectiviſch genommene ſubſt. illecebrae; farlîhant-l. (accommodatus) hrab. 954b; minnëônt-l. (amans) ker. 38. minnônt-l. hrab. 954a; unar- nëſant-l. (inevitabilis) monſ. 410; parrent-l. (rigidus) jun. 181. von parren (erigere, extendere); përant-l. (fructuoſus) ker. 286; unarpittent-l. (inexorabilis) hrab. 967b; kipiukant-l. (flexuoſus) ker. 253; unpûant-l. (inhabitabilis) hrab. 967b;

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 688. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/706>, abgerufen am 28.04.2024.