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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomp. -- untr. part. mit verb.
Dahin gehören die ahd. it-, un-, uo-, zur-, denn das ahd. ita-
rucchan jun. 223. 249. 388. et-ruchan W. 7, 9. ags. ed-recan,
mhd. it-rücken, bezieht sich auf das subst. ita-ruh, ed-roc
[it-poran (renatus) hymn. 5, 2. ist bloß participalisch]; das
goth. tuz-verjan, altn. tor-tryggja auf ein adj. -tuz-veris, tor-
tryggr; beispiele schwacher verba mit un- oben s. 781. --
Kennzeichen wirklicher zusammensetzung jener sechs
untrennbaren partikeln mit verbis sind 1) daß sie vor
starken oder schwachen in allen modis und ohne rück-
sicht auf die wortfügung des satzes haften, in diesem
stück vergleichbar den eigentlichen comp. mit missa-,
fulla-, wana-, epan- (s. 587. 670. 671.) 2) im part.
praet. niemahls ge- hinter der partikel und sehr
selten vor ihr annehmen. 3) daß mit ihnen zuweilen
und erst durch den act der composition aus nominibus
verba gezeugt werden, welche als einfache verba nicht
vorhanden sind, z. b. be-mannen, ent-mannen, er-man-
nen, ge-mannen, ver-nichten, zer-stücken aus mann,
nicht, stück; es gibt kein verbum mannen, nichten,
stücken. Solche wörter stehen zwischen eigentlicher und
uneigentlicher composition, die partikeln können hier
gar nicht als ursprünglich in loser stellung vor den ver-
bis gedacht werden, weil diese selbst nicht vorkommen.
Begreiflich sind es immer schwache verba. Sie scheinen
aber, weil sie sich auf eine verderbnis und größere ab-
straction der partikel gründen, der älteren sprache kaum
bekannt und erst später eingeschlichen.

[be-] hat meist verstärkende kraft, oft unmerkliche,
selten beraubende. 1) gewöhnlich drückt es die anwen-
dung
des begriffs des verbi auf einen gegenstand aus, der
dann im acc. steht. Das verhältnis müste, wenn ein un-
zusammengesetztes verbum gebraucht würde, durch man-
cherlei praepositionen oder mindestens einen andern ca-
sus bezeichnet werden. Den baum be-schneiden, die erde
be-sprengen, heißt ungefähr: von dem baum abschneiden
auf die erde sprengen, Kaum löst sich das compositum
auf in die heutige, ursprünglich dem be- identische praep.
bei, aber das goth. bi im sinne von circum trifft näher,
es liegt in dem be- die viel- oder allseitige einwirkung,
die ganze und volle bewältigung. Ich be-schneide den
baum noch nicht, wenn ich etwas davon abschneide,
sondern erst wenn ich es ringsherum thue, unter be-
sprengen ist die gesamte oberfläche gemeint. Alle solche
verba mit be- sind transitiva; gleichviel, ob das einfache
verb. intransitiv oder selbst schon transitiv (z. b. spren-

III. partikelcomp. — untr. part. mit verb.
Dahin gehören die ahd. it-, un-, uo-, zur-, denn das ahd. ita-
rucchan jun. 223. 249. 388. ët-ruchan W. 7, 9. agſ. ëd-rêcan,
mhd. it-rücken, bezieht ſich auf das ſubſt. ita-ruh, ëd-rôc
[it-poran (renatus) hymn. 5, 2. iſt bloß participaliſch]; das
goth. tuz-vêrjan, altn. tor-tryggja auf ein adj. -tuz-vêris, tor-
tryggr; beiſpiele ſchwacher verba mit un- oben ſ. 781. —
Kennzeichen wirklicher zuſammenſetzung jener ſechs
untrennbaren partikeln mit verbis ſind 1) daß ſie vor
ſtarken oder ſchwachen in allen modis und ohne rück-
ſicht auf die wortfügung des ſatzes haften, in dieſem
ſtück vergleichbar den eigentlichen comp. mit missa-,
fulla-, wana-, ëpan- (ſ. 587. 670. 671.) 2) im part.
praet. niemahls ge- hinter der partikel und ſehr
ſelten vor ihr annehmen. 3) daß mit ihnen zuweilen
und erſt durch den act der compoſition aus nominibus
verba gezeugt werden, welche als einfache verba nicht
vorhanden ſind, z. b. be-mannen, ent-mannen, er-man-
nen, ge-mannen, ver-nichten, zer-ſtücken aus mann,
nicht, ſtück; es gibt kein verbum mannen, nichten,
ſtücken. Solche wörter ſtehen zwiſchen eigentlicher und
uneigentlicher compoſition, die partikeln können hier
gar nicht als urſprünglich in loſer ſtellung vor den ver-
bis gedacht werden, weil dieſe ſelbſt nicht vorkommen.
Begreiflich ſind es immer ſchwache verba. Sie ſcheinen
aber, weil ſie ſich auf eine verderbnis und größere ab-
ſtraction der partikel gründen, der älteren ſprache kaum
bekannt und erſt ſpäter eingeſchlichen.

[be-] hat meiſt verſtärkende kraft, oft unmerkliche,
ſelten beraubende. 1) gewöhnlich drückt es die anwen-
dung
des begriffs des verbi auf einen gegenſtand aus, der
dann im acc. ſteht. Das verhältnis müſte, wenn ein un-
zuſammengeſetztes verbum gebraucht würde, durch man-
cherlei praepoſitionen oder mindeſtens einen andern ca-
ſus bezeichnet werden. Den baum be-ſchneiden, die erde
be-ſprengen, heißt ungefähr: von dem baum abſchneiden
auf die erde ſprengen, Kaum löſt ſich das compoſitum
auf in die heutige, urſprünglich dem be- identiſche praep.
bei, aber das goth. bi im ſinne von circum trifft näher,
es liegt in dem be- die viel- oder allſeitige einwirkung,
die ganze und volle bewältigung. Ich be-ſchneide den
baum noch nicht, wenn ich etwas davon abſchneide,
ſondern erſt wenn ich es ringsherum thue, unter be-
ſprengen iſt die geſamte oberfläche gemeint. Alle ſolche
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verb. intranſitiv oder ſelbſt ſchon tranſitiv (z. b. ſpren-

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[798/0816] III. partikelcomp. — untr. part. mit verb. Dahin gehören die ahd. it-, un-, uo-, zur-, denn das ahd. ita- rucchan jun. 223. 249. 388. ët-ruchan W. 7, 9. agſ. ëd-rêcan, mhd. it-rücken, bezieht ſich auf das ſubſt. ita-ruh, ëd-rôc [it-poran (renatus) hymn. 5, 2. iſt bloß participaliſch]; das goth. tuz-vêrjan, altn. tor-tryggja auf ein adj. -tuz-vêris, tor- tryggr; beiſpiele ſchwacher verba mit un- oben ſ. 781. — Kennzeichen wirklicher zuſammenſetzung jener ſechs untrennbaren partikeln mit verbis ſind 1) daß ſie vor ſtarken oder ſchwachen in allen modis und ohne rück- ſicht auf die wortfügung des ſatzes haften, in dieſem ſtück vergleichbar den eigentlichen comp. mit missa-, fulla-, wana-, ëpan- (ſ. 587. 670. 671.) 2) im part. praet. niemahls ge- hinter der partikel und ſehr ſelten vor ihr annehmen. 3) daß mit ihnen zuweilen und erſt durch den act der compoſition aus nominibus verba gezeugt werden, welche als einfache verba nicht vorhanden ſind, z. b. be-mannen, ent-mannen, er-man- nen, ge-mannen, ver-nichten, zer-ſtücken aus mann, nicht, ſtück; es gibt kein verbum mannen, nichten, ſtücken. Solche wörter ſtehen zwiſchen eigentlicher und uneigentlicher compoſition, die partikeln können hier gar nicht als urſprünglich in loſer ſtellung vor den ver- bis gedacht werden, weil dieſe ſelbſt nicht vorkommen. Begreiflich ſind es immer ſchwache verba. Sie ſcheinen aber, weil ſie ſich auf eine verderbnis und größere ab- ſtraction der partikel gründen, der älteren ſprache kaum bekannt und erſt ſpäter eingeſchlichen. [be-] hat meiſt verſtärkende kraft, oft unmerkliche, ſelten beraubende. 1) gewöhnlich drückt es die anwen- dung des begriffs des verbi auf einen gegenſtand aus, der dann im acc. ſteht. Das verhältnis müſte, wenn ein un- zuſammengeſetztes verbum gebraucht würde, durch man- cherlei praepoſitionen oder mindeſtens einen andern ca- ſus bezeichnet werden. Den baum be-ſchneiden, die erde be-ſprengen, heißt ungefähr: von dem baum abſchneiden auf die erde ſprengen, Kaum löſt ſich das compoſitum auf in die heutige, urſprünglich dem be- identiſche praep. bei, aber das goth. bi im ſinne von circum trifft näher, es liegt in dem be- die viel- oder allſeitige einwirkung, die ganze und volle bewältigung. Ich be-ſchneide den baum noch nicht, wenn ich etwas davon abſchneide, ſondern erſt wenn ich es ringsherum thue, unter be- ſprengen iſt die geſamte oberfläche gemeint. Alle ſolche verba mit be- ſind tranſitiva; gleichviel, ob das einfache verb. intranſitiv oder ſelbſt ſchon tranſitiv (z. b. ſpren-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 798. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/816>, abgerufen am 29.04.2024.