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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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der Blume berührte, ward von der Zauberei
frei; auch träumte er, er hätte seine Jorinde
dadurch wieder bekommen. Des Morgens, als
er erwachte, fing er an, durch Berg und Thal
zu suchen, ob er eine solche Blume fände; er
suchte bis an den neunten Tag, da fand er die
blutrothe Blume am Morgen früh. In der
Mitte war ein großer Thautropfe, so groß wie
die schönste Perle. Diese Blume trug er Tag
und Nacht bis zum Schloß. Wie er auf hun-
dert Schritt nahe zum Schloß kam, da wurd
er nicht fest, sondern ging fort bis ans Thor.
Joringel freute sich hoch, berührte die Pforte
mit der Blume, und sie sprang auf; er ging
hinein, durch den Hof, horchte, wo er die vie-
len Vögel vernähm. Endlich hört ers; er ging
und fand den Saal, darauf war die Zauberin,
und fütterte die Vögel in den sieben tausend Kör-
ben. Wie sie den Joringel sah, ward sie bös,
sehr bös, schalt, spie Gift und Galle gegen
ihn aus, aber sie konnt auf zwei Schritte nicht
an ihn kommen. Er kehrte sich nicht an sie,
und ging, besah die Körbe mit den Vögeln;
da waren aber viele hundert Nachtigallen; wie
sollte er nun seine Jorinde wieder finden? In-
dem er so zusah, merkte er, daß die Alte heimlich
ein Körbchen mit einem Vogel nimmt, und damit
nach der Thüre geht. Flugs sprang er hinzu,
berührte das Körbchen mit der Blume, und

der Blume beruͤhrte, ward von der Zauberei
frei; auch traͤumte er, er haͤtte ſeine Jorinde
dadurch wieder bekommen. Des Morgens, als
er erwachte, fing er an, durch Berg und Thal
zu ſuchen, ob er eine ſolche Blume faͤnde; er
ſuchte bis an den neunten Tag, da fand er die
blutrothe Blume am Morgen fruͤh. In der
Mitte war ein großer Thautropfe, ſo groß wie
die ſchoͤnſte Perle. Dieſe Blume trug er Tag
und Nacht bis zum Schloß. Wie er auf hun-
dert Schritt nahe zum Schloß kam, da wurd
er nicht feſt, ſondern ging fort bis ans Thor.
Joringel freute ſich hoch, beruͤhrte die Pforte
mit der Blume, und ſie ſprang auf; er ging
hinein, durch den Hof, horchte, wo er die vie-
len Voͤgel vernaͤhm. Endlich hoͤrt ers; er ging
und fand den Saal, darauf war die Zauberin,
und fuͤtterte die Voͤgel in den ſieben tauſend Koͤr-
ben. Wie ſie den Joringel ſah, ward ſie boͤs,
ſehr boͤs, ſchalt, ſpie Gift und Galle gegen
ihn aus, aber ſie konnt auf zwei Schritte nicht
an ihn kommen. Er kehrte ſich nicht an ſie,
und ging, beſah die Koͤrbe mit den Voͤgeln;
da waren aber viele hundert Nachtigallen; wie
ſollte er nun ſeine Jorinde wieder finden? In-
dem er ſo zuſah, merkte er, daß die Alte heimlich
ein Koͤrbchen mit einem Vogel nimmt, und damit
nach der Thuͤre geht. Flugs ſprang er hinzu,
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[331/0365] der Blume beruͤhrte, ward von der Zauberei frei; auch traͤumte er, er haͤtte ſeine Jorinde dadurch wieder bekommen. Des Morgens, als er erwachte, fing er an, durch Berg und Thal zu ſuchen, ob er eine ſolche Blume faͤnde; er ſuchte bis an den neunten Tag, da fand er die blutrothe Blume am Morgen fruͤh. In der Mitte war ein großer Thautropfe, ſo groß wie die ſchoͤnſte Perle. Dieſe Blume trug er Tag und Nacht bis zum Schloß. Wie er auf hun- dert Schritt nahe zum Schloß kam, da wurd er nicht feſt, ſondern ging fort bis ans Thor. Joringel freute ſich hoch, beruͤhrte die Pforte mit der Blume, und ſie ſprang auf; er ging hinein, durch den Hof, horchte, wo er die vie- len Voͤgel vernaͤhm. Endlich hoͤrt ers; er ging und fand den Saal, darauf war die Zauberin, und fuͤtterte die Voͤgel in den ſieben tauſend Koͤr- ben. Wie ſie den Joringel ſah, ward ſie boͤs, ſehr boͤs, ſchalt, ſpie Gift und Galle gegen ihn aus, aber ſie konnt auf zwei Schritte nicht an ihn kommen. Er kehrte ſich nicht an ſie, und ging, beſah die Koͤrbe mit den Voͤgeln; da waren aber viele hundert Nachtigallen; wie ſollte er nun ſeine Jorinde wieder finden? In- dem er ſo zuſah, merkte er, daß die Alte heimlich ein Koͤrbchen mit einem Vogel nimmt, und damit nach der Thuͤre geht. Flugs ſprang er hinzu, beruͤhrte das Koͤrbchen mit der Blume, und

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/365>, abgerufen am 29.04.2024.