Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.sterben. Draußen vor der Stadt ist ein hoher Berg, darauf wohnt ein Drache, der muß alle Jahr eine reine Jungfrau haben, sonst verwüstet er das ganze Land. Nun sind ihm schon alle Jungfrauen gegeben und ist niemand mehr übrig, als die Königstochter, dennoch ist keine Gnade, sie muß ihm überliefert werden; und das soll morgen geschehen." Sprach der Jäger: "warum wird der Drache nicht getödtet?" "Ach, antwortete der Wirth, so viele Ritter habens versucht, aber allesammt ihr Leben eingebüßt; der König hat dem, der den Drachen besiegt, seine Tochter zur Frau versprochen und daß er nach seinem Tode das Reich erben solle." Der Jäger sagte dazu weiter nichts, aber am andern Morgen nahm er seine Thiere und stieg mit ihnen auf den Drachenberg. Da fand er oben eine kleine Kirche und auf dem Altar standen drei gefüllte Becher und dabei war die Schrift: "wer die Becher austrinkt, wird der stärkste Mann auf Erden und wird das Schwert führen, das vor der Thürschwelle vergraben liegt." Der Jäger trank da nicht, ging hinaus und suchte das Schwert in der Erde, vermogte aber nicht es von der Stelle zu bewegen. Da ging er hin und trank die Becher aus und war nun stark genug das Schwert aufzunehmen und seine Hand konnte es leicht führen. Als die Stunde kam, wo die Königstochter dem Drachen sollte ausgeliefert werden, führte sie der König, der Marschall und die Hofleute hinaus. Sie sah von weitem den Jäger oben auf dem Drachenberg und meinte der Drache stände oben und erwartete sie und wollte nicht hinaufgehen, endlich aber, weil die ganze Stadt sterben. Draußen vor der Stadt ist ein hoher Berg, darauf wohnt ein Drache, der muß alle Jahr eine reine Jungfrau haben, sonst verwuͤstet er das ganze Land. Nun sind ihm schon alle Jungfrauen gegeben und ist niemand mehr uͤbrig, als die Koͤnigstochter, dennoch ist keine Gnade, sie muß ihm uͤberliefert werden; und das soll morgen geschehen.“ Sprach der Jaͤger: „warum wird der Drache nicht getoͤdtet?“ „Ach, antwortete der Wirth, so viele Ritter habens versucht, aber allesammt ihr Leben eingebuͤßt; der Koͤnig hat dem, der den Drachen besiegt, seine Tochter zur Frau versprochen und daß er nach seinem Tode das Reich erben solle.“ Der Jaͤger sagte dazu weiter nichts, aber am andern Morgen nahm er seine Thiere und stieg mit ihnen auf den Drachenberg. Da fand er oben eine kleine Kirche und auf dem Altar standen drei gefuͤllte Becher und dabei war die Schrift: „wer die Becher austrinkt, wird der staͤrkste Mann auf Erden und wird das Schwert fuͤhren, das vor der Thuͤrschwelle vergraben liegt.“ Der Jaͤger trank da nicht, ging hinaus und suchte das Schwert in der Erde, vermogte aber nicht es von der Stelle zu bewegen. Da ging er hin und trank die Becher aus und war nun stark genug das Schwert aufzunehmen und seine Hand konnte es leicht fuͤhren. Als die Stunde kam, wo die Koͤnigstochter dem Drachen sollte ausgeliefert werden, fuͤhrte sie der Koͤnig, der Marschall und die Hofleute hinaus. Sie sah von weitem den Jaͤger oben auf dem Drachenberg und meinte der Drache staͤnde oben und erwartete sie und wollte nicht hinaufgehen, endlich aber, weil die ganze Stadt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0381" n="317"/> sterben. Draußen vor der Stadt ist ein hoher Berg, darauf wohnt ein Drache, der muß alle Jahr eine reine Jungfrau haben, sonst verwuͤstet er das ganze Land. Nun sind ihm schon alle Jungfrauen gegeben und ist niemand mehr uͤbrig, als die Koͤnigstochter, dennoch ist keine Gnade, sie muß ihm uͤberliefert werden; und das soll morgen geschehen.“ Sprach der Jaͤger: „warum wird der Drache nicht getoͤdtet?“ „Ach, antwortete der Wirth, so viele Ritter habens versucht, aber allesammt ihr Leben eingebuͤßt; der Koͤnig hat dem, der den Drachen besiegt, seine Tochter zur Frau versprochen und daß er nach seinem Tode das Reich erben solle.“</p><lb/> <p>Der Jaͤger sagte dazu weiter nichts, aber am andern Morgen nahm er seine Thiere und stieg mit ihnen auf den Drachenberg. Da fand er oben eine kleine Kirche und auf dem Altar standen drei gefuͤllte Becher und dabei war die Schrift: „wer die Becher austrinkt, wird der staͤrkste Mann auf Erden und wird das Schwert fuͤhren, das vor der Thuͤrschwelle vergraben liegt.“ Der Jaͤger trank da nicht, ging hinaus und suchte das Schwert in der Erde, vermogte aber nicht es von der Stelle zu bewegen. Da ging er hin und trank die Becher aus und war nun stark genug das Schwert aufzunehmen und seine Hand konnte es leicht fuͤhren. Als die Stunde kam, wo die Koͤnigstochter dem Drachen sollte ausgeliefert werden, fuͤhrte sie der Koͤnig, der Marschall und die Hofleute hinaus. Sie sah von weitem den Jaͤger oben auf dem Drachenberg und meinte der Drache staͤnde oben und erwartete sie und wollte nicht hinaufgehen, endlich aber, weil die ganze Stadt </p> </div> </body> </text> </TEI> [317/0381]
sterben. Draußen vor der Stadt ist ein hoher Berg, darauf wohnt ein Drache, der muß alle Jahr eine reine Jungfrau haben, sonst verwuͤstet er das ganze Land. Nun sind ihm schon alle Jungfrauen gegeben und ist niemand mehr uͤbrig, als die Koͤnigstochter, dennoch ist keine Gnade, sie muß ihm uͤberliefert werden; und das soll morgen geschehen.“ Sprach der Jaͤger: „warum wird der Drache nicht getoͤdtet?“ „Ach, antwortete der Wirth, so viele Ritter habens versucht, aber allesammt ihr Leben eingebuͤßt; der Koͤnig hat dem, der den Drachen besiegt, seine Tochter zur Frau versprochen und daß er nach seinem Tode das Reich erben solle.“
Der Jaͤger sagte dazu weiter nichts, aber am andern Morgen nahm er seine Thiere und stieg mit ihnen auf den Drachenberg. Da fand er oben eine kleine Kirche und auf dem Altar standen drei gefuͤllte Becher und dabei war die Schrift: „wer die Becher austrinkt, wird der staͤrkste Mann auf Erden und wird das Schwert fuͤhren, das vor der Thuͤrschwelle vergraben liegt.“ Der Jaͤger trank da nicht, ging hinaus und suchte das Schwert in der Erde, vermogte aber nicht es von der Stelle zu bewegen. Da ging er hin und trank die Becher aus und war nun stark genug das Schwert aufzunehmen und seine Hand konnte es leicht fuͤhren. Als die Stunde kam, wo die Koͤnigstochter dem Drachen sollte ausgeliefert werden, fuͤhrte sie der Koͤnig, der Marschall und die Hofleute hinaus. Sie sah von weitem den Jaͤger oben auf dem Drachenberg und meinte der Drache staͤnde oben und erwartete sie und wollte nicht hinaufgehen, endlich aber, weil die ganze Stadt
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/381>, abgerufen am 16.06.2024. |