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Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ten, hoch überschuldet; auch von dem Verbrauch der Summen, die Juliens Mutter als Hypothek aufgenommen und dadurch ihr eigenes Besitzthum preisgegeben, waren keinerlei Nachweise zu finden. Trotz alledem traf den Herrn Heister doch nicht die ganze Schuld des Unglücks. Er verstand allerdings nicht viel vom Geschäft, er kaufte die Rohproducte zur Fabrication zur unrechten Zeit ein und bekümmerte sich wenig um deren Verwendung. Dann kamen bedeutende Diebstähle vor, die er theils aus falscher Furcht, sich lächerlich zu machen, theils aus falscher Humanität, Anderen nicht schaden zu wollen, verschwieg. Inwiefern der Kassier selbst mittelbar oder unmittelbar bei den letzten verzweifelten Finanzoperationen betheiligt war, ist nie zu Tage gekommen: gleich nach der Abreise Heister's war auch er unsichtbar geworden, und es läßt sich vermuthen, daß er sein Schäfchen längst vorher ins Trockene gebracht hat. Herr Aloys hatte außerdem oftmals Bürgschaft geleistet für lockere Zechbrüder; seine Güte war oft mißbraucht worden von allerlei Abenteurern und leichten Gesellen. Vielleicht hätte ihn die Bürgschaft des alten Generals und eine neue, überwachte Ordnung noch einmal herausreißen können, aber die moralische Bürgschaft fehlte vollkommen, daß Aloys jemals ein anderer Mensch werden könne. Es war ihm von Jugend auf zu gut gegangen, und das Feuer der Noth und Trübsal hatte ihn noch niemals stählen können. Genug, das Factum stand fest: er war ein Bettler geworden, und Frau Julia ward in denselben Abgrund mit hinunter-

ten, hoch überschuldet; auch von dem Verbrauch der Summen, die Juliens Mutter als Hypothek aufgenommen und dadurch ihr eigenes Besitzthum preisgegeben, waren keinerlei Nachweise zu finden. Trotz alledem traf den Herrn Heister doch nicht die ganze Schuld des Unglücks. Er verstand allerdings nicht viel vom Geschäft, er kaufte die Rohproducte zur Fabrication zur unrechten Zeit ein und bekümmerte sich wenig um deren Verwendung. Dann kamen bedeutende Diebstähle vor, die er theils aus falscher Furcht, sich lächerlich zu machen, theils aus falscher Humanität, Anderen nicht schaden zu wollen, verschwieg. Inwiefern der Kassier selbst mittelbar oder unmittelbar bei den letzten verzweifelten Finanzoperationen betheiligt war, ist nie zu Tage gekommen: gleich nach der Abreise Heister's war auch er unsichtbar geworden, und es läßt sich vermuthen, daß er sein Schäfchen längst vorher ins Trockene gebracht hat. Herr Aloys hatte außerdem oftmals Bürgschaft geleistet für lockere Zechbrüder; seine Güte war oft mißbraucht worden von allerlei Abenteurern und leichten Gesellen. Vielleicht hätte ihn die Bürgschaft des alten Generals und eine neue, überwachte Ordnung noch einmal herausreißen können, aber die moralische Bürgschaft fehlte vollkommen, daß Aloys jemals ein anderer Mensch werden könne. Es war ihm von Jugend auf zu gut gegangen, und das Feuer der Noth und Trübsal hatte ihn noch niemals stählen können. Genug, das Factum stand fest: er war ein Bettler geworden, und Frau Julia ward in denselben Abgrund mit hinunter-

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Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/36>, abgerufen am 26.04.2024.