Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

gerissen. Die Gläubiger belegten Alles mit Beschlag, soweit nicht der Compagnon Ansprüche erhob. So ging Alles verloren, und die Philister behielten vollständig Recht, die von Anfang an Unheil prophezeit hatten. Die arme Julia mußte aber noch froh sein, daß der alte Schnorrigl ihr ein Asyl auf dem Hofgut gab und sie als Waise zu sich nahm, als hilflose Waise, der man das Gnadenbrod giebt, ja, Vetterchen, das Gnadenbrod, das ist das Ende der sogenannten Poesie und der sogenannten Ideale!

Eine lange Weile saß der Herr Vetter Isidor wie versteinert, dann sagte er mit kleinlautem Ton:

Aber damit kann doch die Geschichte nicht zu Ende sein. Was ist denn aus dem Mann geworden?

Doch, die Geschichte ist zu Ende, Vetterchen, auf immer zu Ende. Eine Weile kamen aus dem Auslande noch flehende, bald drohende Briefe aus tiefster Noth heraus. Es hieß, er sei Apotheker geworden, nachher Commissionär, zuletzt Zettelträger und Colporteur; wer weiß, was Wahres daran ist. Zuerst verlangte er wiederholt, daß Julia zu ihm kommen solle, und auf jeden solcher Briefe fiel das arme Kind wieder in lebensgefährliche Krankheit. Zuletzt hieß es, er sei gestorben; seitdem ist sie ruhiger geworden und ergiebt sich in ihr trauriges Schicksal. --

Sie ist Wittwe? rief Vetter Isidor, mit Begeisterung aufspringend und mit langen Schritten das Gartenhäuschen durchmessend, warum haben Sie denn

gerissen. Die Gläubiger belegten Alles mit Beschlag, soweit nicht der Compagnon Ansprüche erhob. So ging Alles verloren, und die Philister behielten vollständig Recht, die von Anfang an Unheil prophezeit hatten. Die arme Julia mußte aber noch froh sein, daß der alte Schnorrigl ihr ein Asyl auf dem Hofgut gab und sie als Waise zu sich nahm, als hilflose Waise, der man das Gnadenbrod giebt, ja, Vetterchen, das Gnadenbrod, das ist das Ende der sogenannten Poesie und der sogenannten Ideale!

Eine lange Weile saß der Herr Vetter Isidor wie versteinert, dann sagte er mit kleinlautem Ton:

Aber damit kann doch die Geschichte nicht zu Ende sein. Was ist denn aus dem Mann geworden?

Doch, die Geschichte ist zu Ende, Vetterchen, auf immer zu Ende. Eine Weile kamen aus dem Auslande noch flehende, bald drohende Briefe aus tiefster Noth heraus. Es hieß, er sei Apotheker geworden, nachher Commissionär, zuletzt Zettelträger und Colporteur; wer weiß, was Wahres daran ist. Zuerst verlangte er wiederholt, daß Julia zu ihm kommen solle, und auf jeden solcher Briefe fiel das arme Kind wieder in lebensgefährliche Krankheit. Zuletzt hieß es, er sei gestorben; seitdem ist sie ruhiger geworden und ergiebt sich in ihr trauriges Schicksal. —

Sie ist Wittwe? rief Vetter Isidor, mit Begeisterung aufspringend und mit langen Schritten das Gartenhäuschen durchmessend, warum haben Sie denn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0037"/>
gerissen. Die                Gläubiger belegten Alles mit Beschlag, soweit nicht der Compagnon Ansprüche erhob. So                ging Alles verloren, und die Philister behielten vollständig Recht, die von Anfang an                Unheil prophezeit hatten. Die arme Julia mußte aber noch froh sein, daß der alte                Schnorrigl ihr ein Asyl auf dem Hofgut gab und sie als Waise zu sich nahm, als                hilflose Waise, der man das Gnadenbrod giebt, ja, Vetterchen, das Gnadenbrod, das ist                das Ende der sogenannten Poesie und der sogenannten Ideale!</p><lb/>
        <p>Eine lange Weile saß der Herr Vetter Isidor wie versteinert, dann sagte er mit                kleinlautem Ton:</p><lb/>
        <p>Aber damit kann doch die Geschichte nicht zu Ende sein. Was ist denn aus dem Mann                geworden?</p><lb/>
        <p>Doch, die Geschichte ist zu Ende, Vetterchen, auf immer zu Ende. Eine Weile kamen aus                dem Auslande noch flehende, bald drohende Briefe aus tiefster Noth heraus. Es hieß,                er sei Apotheker geworden, nachher Commissionär, zuletzt Zettelträger und Colporteur;                wer weiß, was Wahres daran ist. Zuerst verlangte er wiederholt, daß Julia zu ihm                kommen solle, und auf jeden solcher Briefe fiel das arme Kind wieder in                lebensgefährliche Krankheit. Zuletzt hieß es, er sei gestorben; seitdem ist sie                ruhiger geworden und ergiebt sich in ihr trauriges Schicksal. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Sie ist Wittwe? rief Vetter Isidor, mit Begeisterung aufspringend und mit langen                Schritten das Gartenhäuschen durchmessend, warum haben Sie denn<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] gerissen. Die Gläubiger belegten Alles mit Beschlag, soweit nicht der Compagnon Ansprüche erhob. So ging Alles verloren, und die Philister behielten vollständig Recht, die von Anfang an Unheil prophezeit hatten. Die arme Julia mußte aber noch froh sein, daß der alte Schnorrigl ihr ein Asyl auf dem Hofgut gab und sie als Waise zu sich nahm, als hilflose Waise, der man das Gnadenbrod giebt, ja, Vetterchen, das Gnadenbrod, das ist das Ende der sogenannten Poesie und der sogenannten Ideale! Eine lange Weile saß der Herr Vetter Isidor wie versteinert, dann sagte er mit kleinlautem Ton: Aber damit kann doch die Geschichte nicht zu Ende sein. Was ist denn aus dem Mann geworden? Doch, die Geschichte ist zu Ende, Vetterchen, auf immer zu Ende. Eine Weile kamen aus dem Auslande noch flehende, bald drohende Briefe aus tiefster Noth heraus. Es hieß, er sei Apotheker geworden, nachher Commissionär, zuletzt Zettelträger und Colporteur; wer weiß, was Wahres daran ist. Zuerst verlangte er wiederholt, daß Julia zu ihm kommen solle, und auf jeden solcher Briefe fiel das arme Kind wieder in lebensgefährliche Krankheit. Zuletzt hieß es, er sei gestorben; seitdem ist sie ruhiger geworden und ergiebt sich in ihr trauriges Schicksal. — Sie ist Wittwe? rief Vetter Isidor, mit Begeisterung aufspringend und mit langen Schritten das Gartenhäuschen durchmessend, warum haben Sie denn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:31:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/37
Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/37>, abgerufen am 26.04.2024.