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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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und dem eingeführten Range der Nazionen.
der Brüder nennen, einige als die Erstgebohrnen, die
übrigen aber als die Jüngern behandelt werden solten.
In der Voraussetzung, daß man blos die königliche
Würde in Betracht ziehe, das Alter, die Macht etc. hin-
gegen bey Seite setzen müsse, glaubte er, daß ihnen allen
einerley Rang gebühre.

Dermalen ist,

1] ausser dem römischen Kaiser, beinahe keine Frage
mehr vom Vorrange, sondern alle europäische Mächte
wollen, ienem Beispiel zu Folge, einander gleich behan-
delt werden. Nach Neyrons Meinung sollen sie auch,
bey Gelegenheit der Quadrupelallianz 1718, und Spa-
niens Beitritt zu derselben 1720, diese Regel im algemei-
nen festgesezt haben c]. Indes suchen der römische Kö-
nig, Frankreich, Spanien und Rußland immer noch
einigen Vorzug zu behaupten.

2] Jedoch gehen alle gekrönte ganz souveraine Häup-
ter allen Republiken und den halbsouverainen Regenten
ohne Widerrede vor.

Wenn gekrönte Häupter einander besuchen, läßt der
Wirth dem Gast gewönlich den Vorrang. Dies geschah
unter andern z. B. bey der Zusammenkunft der Könige
in Schweden und Dänemark zu Friedrichsburg 1658.
Der Könige von Spanien und Portugal zu Lissabon
1704. etc. d]

Nur der römische Kaiser will auch in seiner Behau-
sung keinem andern Monarchen die Oberhand geben, da-
her diese einen solennen Besuch bey ihm vermeiden e].
Aus diesem Grunde kamen Kaiser Leopold und König
Johann der III. von Polen 1683 auf freiem Felde im
Lager zu Pferde zusammen, erschien der Czaar Peter I.
incognito
zu Wien, und sprachen der Kaiser und König
von Preussen 1732 einander ohne solennes Ceremoniel
bey Carlsbad auf einer Landpartie.

Vor
S 3

und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
der Bruͤder nennen, einige als die Erſtgebohrnen, die
uͤbrigen aber als die Juͤngern behandelt werden ſolten.
In der Vorausſetzung, daß man blos die koͤnigliche
Wuͤrde in Betracht ziehe, das Alter, die Macht ꝛc. hin-
gegen bey Seite ſetzen muͤſſe, glaubte er, daß ihnen allen
einerley Rang gebuͤhre.

Dermalen iſt,

1] auſſer dem roͤmiſchen Kaiſer, beinahe keine Frage
mehr vom Vorrange, ſondern alle europaͤiſche Maͤchte
wollen, ienem Beiſpiel zu Folge, einander gleich behan-
delt werden. Nach Neyrons Meinung ſollen ſie auch,
bey Gelegenheit der Quadrupelallianz 1718, und Spa-
niens Beitritt zu derſelben 1720, dieſe Regel im algemei-
nen feſtgeſezt haben c]. Indes ſuchen der roͤmiſche Koͤ-
nig, Frankreich, Spanien und Rußland immer noch
einigen Vorzug zu behaupten.

2] Jedoch gehen alle gekroͤnte ganz ſouveraine Haͤup-
ter allen Republiken und den halbſouverainen Regenten
ohne Widerrede vor.

Wenn gekroͤnte Haͤupter einander beſuchen, laͤßt der
Wirth dem Gaſt gewoͤnlich den Vorrang. Dies geſchah
unter andern z. B. bey der Zuſammenkunft der Koͤnige
in Schweden und Daͤnemark zu Friedrichsburg 1658.
Der Koͤnige von Spanien und Portugal zu Liſſabon
1704. ꝛc. d]

Nur der roͤmiſche Kaiſer will auch in ſeiner Behau-
ſung keinem andern Monarchen die Oberhand geben, da-
her dieſe einen ſolennen Beſuch bey ihm vermeiden e].
Aus dieſem Grunde kamen Kaiſer Leopold und Koͤnig
Johann der III. von Polen 1683 auf freiem Felde im
Lager zu Pferde zuſammen, erſchien der Czaar Peter I.
incognito
zu Wien, und ſprachen der Kaiſer und Koͤnig
von Preuſſen 1732 einander ohne ſolennes Ceremoniel
bey Carlsbad auf einer Landpartie.

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[277/0303] und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen. der Bruͤder nennen, einige als die Erſtgebohrnen, die uͤbrigen aber als die Juͤngern behandelt werden ſolten. In der Vorausſetzung, daß man blos die koͤnigliche Wuͤrde in Betracht ziehe, das Alter, die Macht ꝛc. hin- gegen bey Seite ſetzen muͤſſe, glaubte er, daß ihnen allen einerley Rang gebuͤhre. Dermalen iſt, 1] auſſer dem roͤmiſchen Kaiſer, beinahe keine Frage mehr vom Vorrange, ſondern alle europaͤiſche Maͤchte wollen, ienem Beiſpiel zu Folge, einander gleich behan- delt werden. Nach Neyrons Meinung ſollen ſie auch, bey Gelegenheit der Quadrupelallianz 1718, und Spa- niens Beitritt zu derſelben 1720, dieſe Regel im algemei- nen feſtgeſezt haben c]. Indes ſuchen der roͤmiſche Koͤ- nig, Frankreich, Spanien und Rußland immer noch einigen Vorzug zu behaupten. 2] Jedoch gehen alle gekroͤnte ganz ſouveraine Haͤup- ter allen Republiken und den halbſouverainen Regenten ohne Widerrede vor. Wenn gekroͤnte Haͤupter einander beſuchen, laͤßt der Wirth dem Gaſt gewoͤnlich den Vorrang. Dies geſchah unter andern z. B. bey der Zuſammenkunft der Koͤnige in Schweden und Daͤnemark zu Friedrichsburg 1658. Der Koͤnige von Spanien und Portugal zu Liſſabon 1704. ꝛc. d] Nur der roͤmiſche Kaiſer will auch in ſeiner Behau- ſung keinem andern Monarchen die Oberhand geben, da- her dieſe einen ſolennen Beſuch bey ihm vermeiden e]. Aus dieſem Grunde kamen Kaiſer Leopold und Koͤnig Johann der III. von Polen 1683 auf freiem Felde im Lager zu Pferde zuſammen, erſchien der Czaar Peter I. incognito zu Wien, und ſprachen der Kaiſer und Koͤnig von Preuſſen 1732 einander ohne ſolennes Ceremoniel bey Carlsbad auf einer Landpartie. Vor S 3

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/303>, abgerufen am 29.04.2024.