Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Armand Carrel.
die auch seiner Positivität voran gehen müssen; er
schiebt nichts auf die Bank einer künftigen Berathung,
er schildert das Neue weder so, wie es gewesen ist,
noch als etwas Unerhörtes, wovor die Menschheit er¬
schrecken könnte, sondern als einen Zustand, in welchem
wir uns Alle so gleich stehen, wie jetzt, in welchem
wir unsre kleinen Neigungen befriedigen mögen, wie
immer und vom Leben alle die Vortheile ziehen, die
uns mit dem Schöpfer versöhnen, wenn wir oft nicht
begreifen können, warum wir sind.

Sogar die tägliche Opposition des National, dieser
ewige Widerspruch, der sich an jede halbe Maaßregel
der Regierung, an jeden Verrath der Vaterlandsehre,
an die ganze Tagesordnung in Paris anknüpft, ist nie
ohne Position; jedem Ungeschick werden die Handgriffe
vorgemacht, wie sie die Zukunft, wenn sie schon ihre
Rechte hätte, zeigen würde: nicht aus einer weiten Ab¬
straktion, aus einem idealen Jenseits, für welches es
keine Brücke gibt zum heutigen Leibgericht des Bürgers
und zur guten Hoffnung seiner Ehehälfte, winkt der
Vorwurf mit nebelhaften Contouren, sondern der Na¬
tional ist überall gegenwärtig, ist unterrichtet, ist
Staatsmann auf eigne Hand, ist anständig und zu¬
lässig in gute Gesellschaft: er hat die Präcedentien des

Armand Carrel.
die auch ſeiner Poſitivitaͤt voran gehen muͤſſen; er
ſchiebt nichts auf die Bank einer kuͤnftigen Berathung,
er ſchildert das Neue weder ſo, wie es geweſen iſt,
noch als etwas Unerhoͤrtes, wovor die Menſchheit er¬
ſchrecken koͤnnte, ſondern als einen Zuſtand, in welchem
wir uns Alle ſo gleich ſtehen, wie jetzt, in welchem
wir unſre kleinen Neigungen befriedigen moͤgen, wie
immer und vom Leben alle die Vortheile ziehen, die
uns mit dem Schoͤpfer verſoͤhnen, wenn wir oft nicht
begreifen koͤnnen, warum wir ſind.

Sogar die taͤgliche Oppoſition des National, dieſer
ewige Widerſpruch, der ſich an jede halbe Maaßregel
der Regierung, an jeden Verrath der Vaterlandsehre,
an die ganze Tagesordnung in Paris anknuͤpft, iſt nie
ohne Poſition; jedem Ungeſchick werden die Handgriffe
vorgemacht, wie ſie die Zukunft, wenn ſie ſchon ihre
Rechte haͤtte, zeigen wuͤrde: nicht aus einer weiten Ab¬
ſtraktion, aus einem idealen Jenſeits, fuͤr welches es
keine Bruͤcke gibt zum heutigen Leibgericht des Buͤrgers
und zur guten Hoffnung ſeiner Ehehaͤlfte, winkt der
Vorwurf mit nebelhaften Contouren, ſondern der Na¬
tional iſt uͤberall gegenwaͤrtig, iſt unterrichtet, iſt
Staatsmann auf eigne Hand, iſt anſtaͤndig und zu¬
laͤſſig in gute Geſellſchaft: er hat die Praͤcedentien des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0252" n="234"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Armand Carrel</hi>.<lb/></fw> die auch &#x017F;einer Po&#x017F;itivita&#x0364;t voran gehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en; er<lb/>
&#x017F;chiebt nichts auf die Bank einer ku&#x0364;nftigen Berathung,<lb/>
er &#x017F;childert das Neue weder &#x017F;o, wie es gewe&#x017F;en i&#x017F;t,<lb/>
noch als etwas Unerho&#x0364;rtes, wovor die Men&#x017F;chheit er¬<lb/>
&#x017F;chrecken ko&#x0364;nnte, &#x017F;ondern als einen Zu&#x017F;tand, in welchem<lb/>
wir uns Alle &#x017F;o gleich &#x017F;tehen, wie jetzt, in welchem<lb/>
wir un&#x017F;re kleinen Neigungen befriedigen mo&#x0364;gen, wie<lb/>
immer und vom Leben alle die Vortheile ziehen, die<lb/>
uns mit dem Scho&#x0364;pfer ver&#x017F;o&#x0364;hnen, wenn wir oft nicht<lb/>
begreifen ko&#x0364;nnen, warum wir &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Sogar die ta&#x0364;gliche Oppo&#x017F;ition des National, die&#x017F;er<lb/>
ewige Wider&#x017F;pruch, der &#x017F;ich an jede halbe Maaßregel<lb/>
der Regierung, an jeden Verrath der Vaterlandsehre,<lb/>
an die ganze Tagesordnung in Paris anknu&#x0364;pft, i&#x017F;t nie<lb/>
ohne Po&#x017F;ition; jedem Unge&#x017F;chick werden die Handgriffe<lb/>
vorgemacht, wie &#x017F;ie die Zukunft, wenn &#x017F;ie &#x017F;chon ihre<lb/>
Rechte ha&#x0364;tte, zeigen wu&#x0364;rde: nicht aus einer weiten Ab¬<lb/>
&#x017F;traktion, aus einem idealen Jen&#x017F;eits, fu&#x0364;r welches es<lb/>
keine Bru&#x0364;cke gibt zum heutigen Leibgericht des Bu&#x0364;rgers<lb/>
und zur guten Hoffnung &#x017F;einer Eheha&#x0364;lfte, winkt der<lb/>
Vorwurf mit nebelhaften Contouren, &#x017F;ondern der Na¬<lb/>
tional i&#x017F;t u&#x0364;berall gegenwa&#x0364;rtig, i&#x017F;t unterrichtet, i&#x017F;t<lb/>
Staatsmann auf eigne Hand, i&#x017F;t an&#x017F;ta&#x0364;ndig und zu¬<lb/>
la&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig in gute Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft: er hat die Pra&#x0364;cedentien des<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0252] Armand Carrel. die auch ſeiner Poſitivitaͤt voran gehen muͤſſen; er ſchiebt nichts auf die Bank einer kuͤnftigen Berathung, er ſchildert das Neue weder ſo, wie es geweſen iſt, noch als etwas Unerhoͤrtes, wovor die Menſchheit er¬ ſchrecken koͤnnte, ſondern als einen Zuſtand, in welchem wir uns Alle ſo gleich ſtehen, wie jetzt, in welchem wir unſre kleinen Neigungen befriedigen moͤgen, wie immer und vom Leben alle die Vortheile ziehen, die uns mit dem Schoͤpfer verſoͤhnen, wenn wir oft nicht begreifen koͤnnen, warum wir ſind. Sogar die taͤgliche Oppoſition des National, dieſer ewige Widerſpruch, der ſich an jede halbe Maaßregel der Regierung, an jeden Verrath der Vaterlandsehre, an die ganze Tagesordnung in Paris anknuͤpft, iſt nie ohne Poſition; jedem Ungeſchick werden die Handgriffe vorgemacht, wie ſie die Zukunft, wenn ſie ſchon ihre Rechte haͤtte, zeigen wuͤrde: nicht aus einer weiten Ab¬ ſtraktion, aus einem idealen Jenſeits, fuͤr welches es keine Bruͤcke gibt zum heutigen Leibgericht des Buͤrgers und zur guten Hoffnung ſeiner Ehehaͤlfte, winkt der Vorwurf mit nebelhaften Contouren, ſondern der Na¬ tional iſt uͤberall gegenwaͤrtig, iſt unterrichtet, iſt Staatsmann auf eigne Hand, iſt anſtaͤndig und zu¬ laͤſſig in gute Geſellſchaft: er hat die Praͤcedentien des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/252
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/252>, abgerufen am 14.05.2024.