Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Ancillon
roen, dichtete Chansons, und kannte keinen größern
Stolz, als eine Tragödie zu schreiben, welche mit Vol¬
taire wetteifern sollte, und die er, nach seinem Unglück
in Stettin, vielleicht wirklich Muße gehabt hat, zu vol¬
lenden.

Ueber alle diese Dinge sahe aber Frederic Ancillon
hinweg; er erhielt von seinem Vater, einem geistvollen
und gelehrten Manne, die trefflichste Erziehung, und
bildete sich für das geistliche Fach aus, das von seinen
Landsleuten noch jetzt immer für einen Lebensberuf ge¬
halten wird, den sie mit Wärme und Eifer bei den
Ihrigen unterstützen zu müssen glauben.

Man kann die Einrichtung des französischen Se¬
minars, in welchem die künftigen Lehrer der Kolonie
ihre Bildung erhalten, nicht von allen Seiten lobens¬
werth nennen. Sie schließt ihre Zöglinge von der leb¬
haften Theilnahme an dem wissenschaftlichen Progreß
des Landes, das jetzt ihre Heimath geworden ist, mehr
als billig aus; sie wacht über eine alte Tradition von
den theologischen Wissenschaften, die enger mit dem or¬
thodoxen Katheder von Genf zusammenhängt, als die
lange Entfernung der Zeit gut heißen möchte; man
kann nicht sagen, daß durch eine hinter verschlossenen

Ancillon
roen, dichtete Chanſons, und kannte keinen groͤßern
Stolz, als eine Tragoͤdie zu ſchreiben, welche mit Vol¬
taire wetteifern ſollte, und die er, nach ſeinem Ungluͤck
in Stettin, vielleicht wirklich Muße gehabt hat, zu vol¬
lenden.

Ueber alle dieſe Dinge ſahe aber Frédéric Ancillon
hinweg; er erhielt von ſeinem Vater, einem geiſtvollen
und gelehrten Manne, die trefflichſte Erziehung, und
bildete ſich fuͤr das geiſtliche Fach aus, das von ſeinen
Landsleuten noch jetzt immer fuͤr einen Lebensberuf ge¬
halten wird, den ſie mit Waͤrme und Eifer bei den
Ihrigen unterſtuͤtzen zu muͤſſen glauben.

Man kann die Einrichtung des franzoͤſiſchen Se¬
minars, in welchem die kuͤnftigen Lehrer der Kolonie
ihre Bildung erhalten, nicht von allen Seiten lobens¬
werth nennen. Sie ſchließt ihre Zoͤglinge von der leb¬
haften Theilnahme an dem wiſſenſchaftlichen Progreß
des Landes, das jetzt ihre Heimath geworden iſt, mehr
als billig aus; ſie wacht uͤber eine alte Tradition von
den theologiſchen Wiſſenſchaften, die enger mit dem or¬
thodoxen Katheder von Genf zuſammenhaͤngt, als die
lange Entfernung der Zeit gut heißen moͤchte; man
kann nicht ſagen, daß durch eine hinter verſchloſſenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0270" n="252"/><fw place="top" type="header">Ancillon<lb/></fw>roen, dichtete Chan&#x017F;ons, und kannte keinen gro&#x0364;ßern<lb/>
Stolz, als eine Trago&#x0364;die zu &#x017F;chreiben, welche mit Vol¬<lb/>
taire wetteifern &#x017F;ollte, und die er, nach &#x017F;einem Unglu&#x0364;ck<lb/>
in Stettin, vielleicht wirklich Muße gehabt hat, zu vol¬<lb/>
lenden.</p><lb/>
        <p>Ueber alle die&#x017F;e Dinge &#x017F;ahe aber Fr<hi rendition="#aq">é</hi>d<hi rendition="#aq">é</hi>ric Ancillon<lb/>
hinweg; er erhielt von &#x017F;einem Vater, einem gei&#x017F;tvollen<lb/>
und gelehrten Manne, die trefflich&#x017F;te Erziehung, und<lb/>
bildete &#x017F;ich fu&#x0364;r das gei&#x017F;tliche Fach aus, das von &#x017F;einen<lb/>
Landsleuten noch jetzt immer fu&#x0364;r einen Lebensberuf ge¬<lb/>
halten wird, den &#x017F;ie mit Wa&#x0364;rme und Eifer bei den<lb/>
Ihrigen unter&#x017F;tu&#x0364;tzen zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en glauben.</p><lb/>
        <p>Man kann die Einrichtung des franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Se¬<lb/>
minars, in welchem die ku&#x0364;nftigen Lehrer der Kolonie<lb/>
ihre Bildung erhalten, nicht von allen Seiten lobens¬<lb/>
werth nennen. Sie &#x017F;chließt ihre Zo&#x0364;glinge von der leb¬<lb/>
haften Theilnahme an dem wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Progreß<lb/>
des Landes, das jetzt ihre Heimath geworden i&#x017F;t, mehr<lb/>
als billig aus; &#x017F;ie wacht u&#x0364;ber eine alte Tradition von<lb/>
den theologi&#x017F;chen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, die enger mit dem or¬<lb/>
thodoxen Katheder von Genf zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngt, als die<lb/>
lange Entfernung der Zeit gut heißen mo&#x0364;chte; man<lb/>
kann nicht &#x017F;agen, daß durch eine hinter ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0270] Ancillon roen, dichtete Chanſons, und kannte keinen groͤßern Stolz, als eine Tragoͤdie zu ſchreiben, welche mit Vol¬ taire wetteifern ſollte, und die er, nach ſeinem Ungluͤck in Stettin, vielleicht wirklich Muße gehabt hat, zu vol¬ lenden. Ueber alle dieſe Dinge ſahe aber Frédéric Ancillon hinweg; er erhielt von ſeinem Vater, einem geiſtvollen und gelehrten Manne, die trefflichſte Erziehung, und bildete ſich fuͤr das geiſtliche Fach aus, das von ſeinen Landsleuten noch jetzt immer fuͤr einen Lebensberuf ge¬ halten wird, den ſie mit Waͤrme und Eifer bei den Ihrigen unterſtuͤtzen zu muͤſſen glauben. Man kann die Einrichtung des franzoͤſiſchen Se¬ minars, in welchem die kuͤnftigen Lehrer der Kolonie ihre Bildung erhalten, nicht von allen Seiten lobens¬ werth nennen. Sie ſchließt ihre Zoͤglinge von der leb¬ haften Theilnahme an dem wiſſenſchaftlichen Progreß des Landes, das jetzt ihre Heimath geworden iſt, mehr als billig aus; ſie wacht uͤber eine alte Tradition von den theologiſchen Wiſſenſchaften, die enger mit dem or¬ thodoxen Katheder von Genf zuſammenhaͤngt, als die lange Entfernung der Zeit gut heißen moͤchte; man kann nicht ſagen, daß durch eine hinter verſchloſſenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/270
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/270>, abgerufen am 14.05.2024.