Noch mehr aber, als die Philosophie, wirkte auf den jungen Geistlichen die Geschichte.
In welche stürmische Zeit fiel hier eine Jugend, welche so viel versprach! Die französische Revolution konnte für den aufgeklärten Theil Deutschlands nicht aus den Wolken fallen; schon ihre ersten Erscheinun¬ gen mußten ein höheres Interesse aufregen, als das einer bloßen Neuigkeit. Die Revolution war in ihren Prinzipien wahlverwandt mit jeder freien Ansicht des damaligen europäischen Staatssystemes, mit den Ah¬ nungen der Humanität. Sie riß die öffentliche Mei¬ nung von ganz Europa hin; und die stärksten und leb¬ hafteren Geister verfolgten sie auch da noch mit Erge¬ bung, als die Interessen sich in ihr schon so durchein¬ ander wirrten, daß nur die physische Gewalt der Lei¬ denschaft die ihrigen zu retten vermochte.
Nirgends herrschte so viel Sympathie für die Ideen, welche jenen großartigen Ereignissen zum Grunde la¬ gen, als in der Hauptstadt Preußens, wo selbst die hö¬ here Gewalt (ich erinnere nur an den Minister Hertz¬ berg) der Revolution mit Theilnahme folgte, ihrem Prinzipe huldigte, und selbst da noch, als der Schrek¬ ken statt des Gesetzes zu regieren anfing, diese blutigen
Ancillon.
Noch mehr aber, als die Philoſophie, wirkte auf den jungen Geiſtlichen die Geſchichte.
In welche ſtuͤrmiſche Zeit fiel hier eine Jugend, welche ſo viel verſprach! Die franzoͤſiſche Revolution konnte fuͤr den aufgeklaͤrten Theil Deutſchlands nicht aus den Wolken fallen; ſchon ihre erſten Erſcheinun¬ gen mußten ein hoͤheres Intereſſe aufregen, als das einer bloßen Neuigkeit. Die Revolution war in ihren Prinzipien wahlverwandt mit jeder freien Anſicht des damaligen europaͤiſchen Staatsſyſtemes, mit den Ah¬ nungen der Humanitaͤt. Sie riß die oͤffentliche Mei¬ nung von ganz Europa hin; und die ſtaͤrkſten und leb¬ hafteren Geiſter verfolgten ſie auch da noch mit Erge¬ bung, als die Intereſſen ſich in ihr ſchon ſo durchein¬ ander wirrten, daß nur die phyſiſche Gewalt der Lei¬ denſchaft die ihrigen zu retten vermochte.
Nirgends herrſchte ſo viel Sympathie fuͤr die Ideen, welche jenen großartigen Ereigniſſen zum Grunde la¬ gen, als in der Hauptſtadt Preußens, wo ſelbſt die hoͤ¬ here Gewalt (ich erinnere nur an den Miniſter Hertz¬ berg) der Revolution mit Theilnahme folgte, ihrem Prinzipe huldigte, und ſelbſt da noch, als der Schrek¬ ken ſtatt des Geſetzes zu regieren anfing, dieſe blutigen
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Ancillon.
Noch mehr aber, als die Philoſophie, wirkte auf
den jungen Geiſtlichen die Geſchichte.
In welche ſtuͤrmiſche Zeit fiel hier eine Jugend,
welche ſo viel verſprach! Die franzoͤſiſche Revolution
konnte fuͤr den aufgeklaͤrten Theil Deutſchlands nicht
aus den Wolken fallen; ſchon ihre erſten Erſcheinun¬
gen mußten ein hoͤheres Intereſſe aufregen, als das
einer bloßen Neuigkeit. Die Revolution war in ihren
Prinzipien wahlverwandt mit jeder freien Anſicht des
damaligen europaͤiſchen Staatsſyſtemes, mit den Ah¬
nungen der Humanitaͤt. Sie riß die oͤffentliche Mei¬
nung von ganz Europa hin; und die ſtaͤrkſten und leb¬
hafteren Geiſter verfolgten ſie auch da noch mit Erge¬
bung, als die Intereſſen ſich in ihr ſchon ſo durchein¬
ander wirrten, daß nur die phyſiſche Gewalt der Lei¬
denſchaft die ihrigen zu retten vermochte.
Nirgends herrſchte ſo viel Sympathie fuͤr die Ideen,
welche jenen großartigen Ereigniſſen zum Grunde la¬
gen, als in der Hauptſtadt Preußens, wo ſelbſt die hoͤ¬
here Gewalt (ich erinnere nur an den Miniſter Hertz¬
berg) der Revolution mit Theilnahme folgte, ihrem
Prinzipe huldigte, und ſelbſt da noch, als der Schrek¬
ken ſtatt des Geſetzes zu regieren anfing, dieſe blutigen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/273>, abgerufen am 14.05.2024.
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