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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Chateaubriand.
Hand gegeben hätte, der mit seiner ganzen schreckhaften
Einseitigkeit das Leben des Vicomte revolutionirte.

Es ist unerwiesen, wer ihm den ersten Anstoß zum
Christenthum gegeben hat, die Wälder Amerika's, die
Erinnerungen Pascals, oder eine Wiederholung jenes
Blitzstrahls, der einst auf dem Wege von Jerusalem
nach Damaskus ein so großes Wunder bewirkte?

Ich zweifle an allen diesen Erklärungen und be¬
gnüge mich mit des Vicomte alter Mutter, die ihren
Sohn in London zur Vermahnung zog, ihm das Gott¬
lose seiner Schrift über die Revolutionen vorwarf, an
die Kapelle von St. Malo und das vergoldete Gesang¬
buch, welches sie auf der Flucht dort hatten liegen las¬
sen, erinnerte, und damit eine Präcision der Tendenz
in ihren Sohn legte, die ihn anfangs selbst überraschen
mochte.

Jetzt hatte Chateaubriand eine Idee. Es war ein
muthiges kleines Steckenpferd, bunt bemalt, das er be¬
stieg: er galoppirte damit über Meere und ferne Län¬
derzonen, klatschte mit der Peitsche, pfiff, führte das
Thierchen an die Krippe von Bethlehem, als sollte es
da fressen, tränkte es im Jordan, und hörte noch nicht
auf zu courbettiren, als er schon in die Salons von
Paris zurückgekehrt war.

Chateaubriand.
Hand gegeben haͤtte, der mit ſeiner ganzen ſchreckhaften
Einſeitigkeit das Leben des Vicomte revolutionirte.

Es iſt unerwieſen, wer ihm den erſten Anſtoß zum
Chriſtenthum gegeben hat, die Waͤlder Amerika's, die
Erinnerungen Pascals, oder eine Wiederholung jenes
Blitzſtrahls, der einſt auf dem Wege von Jeruſalem
nach Damaskus ein ſo großes Wunder bewirkte?

Ich zweifle an allen dieſen Erklaͤrungen und be¬
gnuͤge mich mit des Vicomte alter Mutter, die ihren
Sohn in London zur Vermahnung zog, ihm das Gott¬
loſe ſeiner Schrift uͤber die Revolutionen vorwarf, an
die Kapelle von St. Malo und das vergoldete Geſang¬
buch, welches ſie auf der Flucht dort hatten liegen laſ¬
ſen, erinnerte, und damit eine Praͤciſion der Tendenz
in ihren Sohn legte, die ihn anfangs ſelbſt uͤberraſchen
mochte.

Jetzt hatte Chateaubriand eine Idee. Es war ein
muthiges kleines Steckenpferd, bunt bemalt, das er be¬
ſtieg: er galoppirte damit uͤber Meere und ferne Laͤn¬
derzonen, klatſchte mit der Peitſche, pfiff, fuͤhrte das
Thierchen an die Krippe von Bethlehem, als ſollte es
da freſſen, traͤnkte es im Jordan, und hoͤrte noch nicht
auf zu courbettiren, als er ſchon in die Salons von
Paris zuruͤckgekehrt war.

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[59/0077] Chateaubriand. Hand gegeben haͤtte, der mit ſeiner ganzen ſchreckhaften Einſeitigkeit das Leben des Vicomte revolutionirte. Es iſt unerwieſen, wer ihm den erſten Anſtoß zum Chriſtenthum gegeben hat, die Waͤlder Amerika's, die Erinnerungen Pascals, oder eine Wiederholung jenes Blitzſtrahls, der einſt auf dem Wege von Jeruſalem nach Damaskus ein ſo großes Wunder bewirkte? Ich zweifle an allen dieſen Erklaͤrungen und be¬ gnuͤge mich mit des Vicomte alter Mutter, die ihren Sohn in London zur Vermahnung zog, ihm das Gott¬ loſe ſeiner Schrift uͤber die Revolutionen vorwarf, an die Kapelle von St. Malo und das vergoldete Geſang¬ buch, welches ſie auf der Flucht dort hatten liegen laſ¬ ſen, erinnerte, und damit eine Praͤciſion der Tendenz in ihren Sohn legte, die ihn anfangs ſelbſt uͤberraſchen mochte. Jetzt hatte Chateaubriand eine Idee. Es war ein muthiges kleines Steckenpferd, bunt bemalt, das er be¬ ſtieg: er galoppirte damit uͤber Meere und ferne Laͤn¬ derzonen, klatſchte mit der Peitſche, pfiff, fuͤhrte das Thierchen an die Krippe von Bethlehem, als ſollte es da freſſen, traͤnkte es im Jordan, und hoͤrte noch nicht auf zu courbettiren, als er ſchon in die Salons von Paris zuruͤckgekehrt war.

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/77>, abgerufen am 13.05.2024.