Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Chateaubriand.
setzt, beginnt er aufs Neue seine schriftstellerische Choua¬
nerie, er heftet seinen Ruf an den Unterrock einer
Frau, er küßt die Fußstapfen der Herzogin von Berry,
und wird der geheimnißvolle Telegraph ihrer abenteuer¬
lichen Reisen.

Wir wissen, wie sich Alles in Skandal auflöste.
Die himmlische Glorie zertheilte sich, und mit gemei¬
nem Lächeln trat aus ihr die Hebamme hervor.

O das moderne Schicksal ist ein grausamer Hu¬
manist! Keine poetische Staffage mehr, der man trauen
dürfte: das Erhabene zeigt plötzlich einen Zopf, wie
das Heidelberger Faß einen Fuchsschwanz; das Mittel¬
alter erhält Hofrathspatente. Kein Kostüme ist regel¬
recht; die Schneider dieser Welt erlauben sich immer
etwas Lächerliches, und ich zweifle, ob uns je das
Schicksal einen Grafen Brühl unsrer historischer Ein¬
kleidung schicken wird.

Chateaubriand war zerknirrscht. Seinem Pilgrims¬
kleide entfiel ein Saugbeutel; auf dem goldnen Schilde
des letzten Kreuzfahrers war ein Gevatterbrief zu lesen:
er kam gerade zur rechten Zeit.

Doch was wollt Ihr? Chateaubriands Treue ging

Chateaubriand.
ſetzt, beginnt er aufs Neue ſeine ſchriftſtelleriſche Choua¬
nerie, er heftet ſeinen Ruf an den Unterrock einer
Frau, er kuͤßt die Fußſtapfen der Herzogin von Berry,
und wird der geheimnißvolle Telegraph ihrer abenteuer¬
lichen Reiſen.

Wir wiſſen, wie ſich Alles in Skandal aufloͤſte.
Die himmliſche Glorie zertheilte ſich, und mit gemei¬
nem Laͤcheln trat aus ihr die Hebamme hervor.

O das moderne Schickſal iſt ein grauſamer Hu¬
maniſt! Keine poetiſche Staffage mehr, der man trauen
duͤrfte: das Erhabene zeigt ploͤtzlich einen Zopf, wie
das Heidelberger Faß einen Fuchsſchwanz; das Mittel¬
alter erhaͤlt Hofrathspatente. Kein Koſtuͤme iſt regel¬
recht; die Schneider dieſer Welt erlauben ſich immer
etwas Laͤcherliches, und ich zweifle, ob uns je das
Schickſal einen Grafen Bruͤhl unſrer hiſtoriſcher Ein¬
kleidung ſchicken wird.

Chateaubriand war zerknirrſcht. Seinem Pilgrims¬
kleide entfiel ein Saugbeutel; auf dem goldnen Schilde
des letzten Kreuzfahrers war ein Gevatterbrief zu leſen:
er kam gerade zur rechten Zeit.

Doch was wollt Ihr? Chateaubriands Treue ging

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0098" n="80"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Chateaubriand</hi>.<lb/></fw>&#x017F;etzt, beginnt er aufs Neue &#x017F;eine &#x017F;chrift&#x017F;telleri&#x017F;che Choua¬<lb/>
nerie, er heftet &#x017F;einen Ruf an den Unterrock einer<lb/>
Frau, er ku&#x0364;ßt die Fuß&#x017F;tapfen der Herzogin von Berry,<lb/>
und wird der geheimnißvolle Telegraph ihrer abenteuer¬<lb/>
lichen Rei&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Wir wi&#x017F;&#x017F;en, wie &#x017F;ich Alles in Skandal auflo&#x0364;&#x017F;te.<lb/>
Die himmli&#x017F;che Glorie zertheilte &#x017F;ich, und mit gemei¬<lb/>
nem La&#x0364;cheln trat aus ihr die Hebamme hervor.</p><lb/>
        <p>O das moderne Schick&#x017F;al i&#x017F;t ein grau&#x017F;amer Hu¬<lb/>
mani&#x017F;t! Keine poeti&#x017F;che Staffage mehr, der man trauen<lb/>
du&#x0364;rfte: das Erhabene zeigt plo&#x0364;tzlich einen Zopf, wie<lb/>
das Heidelberger Faß einen Fuchs&#x017F;chwanz; das Mittel¬<lb/>
alter erha&#x0364;lt Hofrathspatente. Kein Ko&#x017F;tu&#x0364;me i&#x017F;t regel¬<lb/>
recht; die Schneider die&#x017F;er Welt erlauben &#x017F;ich immer<lb/>
etwas La&#x0364;cherliches, und ich zweifle, ob uns je das<lb/>
Schick&#x017F;al einen Grafen Bru&#x0364;hl un&#x017F;rer hi&#x017F;tori&#x017F;cher Ein¬<lb/>
kleidung &#x017F;chicken wird.</p><lb/>
        <p>Chateaubriand war zerknirr&#x017F;cht. Seinem Pilgrims¬<lb/>
kleide entfiel ein Saugbeutel; auf dem goldnen Schilde<lb/>
des letzten Kreuzfahrers war ein Gevatterbrief zu le&#x017F;en:<lb/>
er kam gerade zur rechten Zeit.</p><lb/>
        <p>Doch was wollt Ihr? Chateaubriands Treue ging<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0098] Chateaubriand. ſetzt, beginnt er aufs Neue ſeine ſchriftſtelleriſche Choua¬ nerie, er heftet ſeinen Ruf an den Unterrock einer Frau, er kuͤßt die Fußſtapfen der Herzogin von Berry, und wird der geheimnißvolle Telegraph ihrer abenteuer¬ lichen Reiſen. Wir wiſſen, wie ſich Alles in Skandal aufloͤſte. Die himmliſche Glorie zertheilte ſich, und mit gemei¬ nem Laͤcheln trat aus ihr die Hebamme hervor. O das moderne Schickſal iſt ein grauſamer Hu¬ maniſt! Keine poetiſche Staffage mehr, der man trauen duͤrfte: das Erhabene zeigt ploͤtzlich einen Zopf, wie das Heidelberger Faß einen Fuchsſchwanz; das Mittel¬ alter erhaͤlt Hofrathspatente. Kein Koſtuͤme iſt regel¬ recht; die Schneider dieſer Welt erlauben ſich immer etwas Laͤcherliches, und ich zweifle, ob uns je das Schickſal einen Grafen Bruͤhl unſrer hiſtoriſcher Ein¬ kleidung ſchicken wird. Chateaubriand war zerknirrſcht. Seinem Pilgrims¬ kleide entfiel ein Saugbeutel; auf dem goldnen Schilde des letzten Kreuzfahrers war ein Gevatterbrief zu leſen: er kam gerade zur rechten Zeit. Doch was wollt Ihr? Chateaubriands Treue ging

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/98
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/98>, abgerufen am 13.05.2024.