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[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

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auch die Beine einer Tänzerin mögen anatomiren lassen, so wissen wir doch mit den Fürsten zu gut, daß die Künstlerin außer jenem Gliede noch andere und ein fühlendes Herz hat, und daß sie nur den in ihre Arme schließen wird, der dieses gewonnen. Ich muß gestehen, gegen diese Theilnahme an der Kunst, in der man nur die liebt, die sie betreiben, sträubt sich meine Einsicht und in anderer Rücksicht mein weibliches Zartgefühl.

Wenn wir dem Tanze eine höhere Stufe in unserer Cultur einräumen, so denk' ich nicht an die wilden Völker, von denen wir freilich selten mehr hören, als daß sie schwarz oder braun oder gelb sind, Muscheln in der Nase tragen, sich das Gesicht zu einer blutigen Fleischmosaik schneiden, Menschenfleisch über Alles lieben, und endlich leidenschaftliche Tänzer sind. Das ist es eben: ich will die Begeisterung von der Leidenschaft reinigen und sie zur Besonnenheit zurückführen.

Die Griechen sind in allen Dingen meine Muster; auch über die Würde und Kunst des Tanzes können sie allein Aufschluß geben. Unter sanfter Begleitung einer lydischen Flöte tanzten sie auf dem Theater ihren tragischen Menuettreigen. Sie sprangen nicht; denn wie Jener, der aufgefordert wurde, einen Mann zu hören, der die Töne einer Nachtigall treffend nachahmen könne,

auch die Beine einer Tänzerin mögen anatomiren lassen, so wissen wir doch mit den Fürsten zu gut, daß die Künstlerin außer jenem Gliede noch andere und ein fühlendes Herz hat, und daß sie nur den in ihre Arme schließen wird, der dieses gewonnen. Ich muß gestehen, gegen diese Theilnahme an der Kunst, in der man nur die liebt, die sie betreiben, sträubt sich meine Einsicht und in anderer Rücksicht mein weibliches Zartgefühl.

Wenn wir dem Tanze eine höhere Stufe in unserer Cultur einräumen, so denk’ ich nicht an die wilden Völker, von denen wir freilich selten mehr hören, als daß sie schwarz oder braun oder gelb sind, Muscheln in der Nase tragen, sich das Gesicht zu einer blutigen Fleischmosaik schneiden, Menschenfleisch über Alles lieben, und endlich leidenschaftliche Tänzer sind. Das ist es eben: ich will die Begeisterung von der Leidenschaft reinigen und sie zur Besonnenheit zurückführen.

Die Griechen sind in allen Dingen meine Muster; auch über die Würde und Kunst des Tanzes können sie allein Aufschluß geben. Unter sanfter Begleitung einer lydischen Flöte tanzten sie auf dem Theater ihren tragischen Menuettreigen. Sie sprangen nicht; denn wie Jener, der aufgefordert wurde, einen Mann zu hören, der die Töne einer Nachtigall treffend nachahmen könne,

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[249/0262] auch die Beine einer Tänzerin mögen anatomiren lassen, so wissen wir doch mit den Fürsten zu gut, daß die Künstlerin außer jenem Gliede noch andere und ein fühlendes Herz hat, und daß sie nur den in ihre Arme schließen wird, der dieses gewonnen. Ich muß gestehen, gegen diese Theilnahme an der Kunst, in der man nur die liebt, die sie betreiben, sträubt sich meine Einsicht und in anderer Rücksicht mein weibliches Zartgefühl. Wenn wir dem Tanze eine höhere Stufe in unserer Cultur einräumen, so denk’ ich nicht an die wilden Völker, von denen wir freilich selten mehr hören, als daß sie schwarz oder braun oder gelb sind, Muscheln in der Nase tragen, sich das Gesicht zu einer blutigen Fleischmosaik schneiden, Menschenfleisch über Alles lieben, und endlich leidenschaftliche Tänzer sind. Das ist es eben: ich will die Begeisterung von der Leidenschaft reinigen und sie zur Besonnenheit zurückführen. Die Griechen sind in allen Dingen meine Muster; auch über die Würde und Kunst des Tanzes können sie allein Aufschluß geben. Unter sanfter Begleitung einer lydischen Flöte tanzten sie auf dem Theater ihren tragischen Menuettreigen. Sie sprangen nicht; denn wie Jener, der aufgefordert wurde, einen Mann zu hören, der die Töne einer Nachtigall treffend nachahmen könne,

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Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/262>, abgerufen am 14.05.2024.