Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

erwiederte, er könne ja die Sängerin des Haines selbst hören, so hätt' auch jeder Athener gesagt, Böcke könn' er am Ilissus viele springen sehen. Menschliches wollten die Griechen überall; denn sie wußten, daß wir beständig zum Thiere tendiren und der vollkommene Mensch der göttliche ist. So sahen sie in den abgemessenen Bewegungen nur die Ausdrücke der Liebe und des Hasses, der Verwunderung und des Entsetzens; sie wußten, ob der Tänzer weine, wenn er den Fuß dorthin, ob er lache, wenn er ihn hierher setzte. Selbst die Römer waren, wie in Allem, so auch hierin ernst. Ohne daß Roscius sprach, entlockte er ihnen Thränen, und Roscius war nicht einmal Tänzer. Genug, wir können dem Tanze keine höhere Ausbildung geben, als wenn wir ihn einmal mit der Pantomime verbinden, und um die höchste Gelenkigkeit zu erzielen, außer den Beinen auch den Armen die Knochen, dem Nacken das Genick brechen, sodann aber ihn mit der großen Sache Gottes und der Priester, mit der Religion, verbinden.

Eine Annäherung an diese Vollendung, bei der die Kunst und die Religion nur gewinnen können, findet sich bei den Bekennern des römischen Glaubens. Ich seh' oft in ihren Tempeln eine Feierlichkeit, die der Pantomime vollkommen gleich

erwiederte, er könne ja die Sängerin des Haines selbst hören, so hätt’ auch jeder Athener gesagt, Böcke könn’ er am Ilissus viele springen sehen. Menschliches wollten die Griechen überall; denn sie wußten, daß wir beständig zum Thiere tendiren und der vollkommene Mensch der göttliche ist. So sahen sie in den abgemessenen Bewegungen nur die Ausdrücke der Liebe und des Hasses, der Verwunderung und des Entsetzens; sie wußten, ob der Tänzer weine, wenn er den Fuß dorthin, ob er lache, wenn er ihn hierher setzte. Selbst die Römer waren, wie in Allem, so auch hierin ernst. Ohne daß Roscius sprach, entlockte er ihnen Thränen, und Roscius war nicht einmal Tänzer. Genug, wir können dem Tanze keine höhere Ausbildung geben, als wenn wir ihn einmal mit der Pantomime verbinden, und um die höchste Gelenkigkeit zu erzielen, außer den Beinen auch den Armen die Knochen, dem Nacken das Genick brechen, sodann aber ihn mit der großen Sache Gottes und der Priester, mit der Religion, verbinden.

Eine Annäherung an diese Vollendung, bei der die Kunst und die Religion nur gewinnen können, findet sich bei den Bekennern des römischen Glaubens. Ich seh’ oft in ihren Tempeln eine Feierlichkeit, die der Pantomime vollkommen gleich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0263" n="250"/>
erwiederte, er könne ja die Sängerin des Haines selbst hören, so hätt&#x2019; auch jeder Athener gesagt, Böcke könn&#x2019; er am Ilissus viele springen sehen. Menschliches wollten die Griechen überall; denn sie wußten, daß wir beständig zum Thiere tendiren und der vollkommene Mensch der göttliche ist. So sahen sie in den abgemessenen Bewegungen nur die Ausdrücke der Liebe und des Hasses, der Verwunderung und des Entsetzens; sie wußten, ob der Tänzer weine, wenn er den Fuß dorthin, ob er lache, wenn er ihn hierher setzte. Selbst die Römer waren, wie in Allem, so auch hierin ernst. Ohne daß Roscius sprach, entlockte er ihnen Thränen, und Roscius war nicht einmal Tänzer. Genug, wir können dem Tanze keine höhere Ausbildung geben, als wenn wir ihn einmal mit der Pantomime verbinden, und um die höchste Gelenkigkeit zu erzielen, außer den Beinen auch den Armen die Knochen, dem Nacken das Genick brechen, sodann aber ihn mit der großen Sache Gottes und der Priester, mit der Religion, verbinden.</p>
        <p>Eine Annäherung an diese Vollendung, bei der die Kunst und die Religion nur gewinnen können, findet sich bei den Bekennern des römischen Glaubens. Ich seh&#x2019; oft in ihren Tempeln eine Feierlichkeit, die der Pantomime vollkommen gleich
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0263] erwiederte, er könne ja die Sängerin des Haines selbst hören, so hätt’ auch jeder Athener gesagt, Böcke könn’ er am Ilissus viele springen sehen. Menschliches wollten die Griechen überall; denn sie wußten, daß wir beständig zum Thiere tendiren und der vollkommene Mensch der göttliche ist. So sahen sie in den abgemessenen Bewegungen nur die Ausdrücke der Liebe und des Hasses, der Verwunderung und des Entsetzens; sie wußten, ob der Tänzer weine, wenn er den Fuß dorthin, ob er lache, wenn er ihn hierher setzte. Selbst die Römer waren, wie in Allem, so auch hierin ernst. Ohne daß Roscius sprach, entlockte er ihnen Thränen, und Roscius war nicht einmal Tänzer. Genug, wir können dem Tanze keine höhere Ausbildung geben, als wenn wir ihn einmal mit der Pantomime verbinden, und um die höchste Gelenkigkeit zu erzielen, außer den Beinen auch den Armen die Knochen, dem Nacken das Genick brechen, sodann aber ihn mit der großen Sache Gottes und der Priester, mit der Religion, verbinden. Eine Annäherung an diese Vollendung, bei der die Kunst und die Religion nur gewinnen können, findet sich bei den Bekennern des römischen Glaubens. Ich seh’ oft in ihren Tempeln eine Feierlichkeit, die der Pantomime vollkommen gleich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/263
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl:] Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/263>, abgerufen am 14.05.2024.