innen und außen bei entzogener Luft weh wird. Ach, sie konnte Cäsar nicht vergessen: sie konnte jene begeisterte Miene des Freundes nicht ver¬ gessen, jene unschuldige Seligkeit, die sie an ihm noch nie gekannt hatte, und die er damals zeigte, als sie einige aus seinen zuckenden Lippen schleichende Worte mit so pedantischer, altkluger Entrüstung aufnahm. Schon im nächsten Au¬ genblicke, als sie gegangen war, war sie sich mit ihrer Tugend recht abgeschmackt vorgekommen.
Wally fühlte bald, daß Cäsar an das Unsittliche seines Antrags im Momente nicht gedacht hatte. Sie machte sich den Vorwurf, diese Ueberlegung an dem Manne nicht abge¬ wartet zu haben. Auch mußte sie sich geste¬ hen, daß Cäsar ihr vielleicht nie das Pre¬ käre der Situation eingeräumt haben würde. Jetzt wußte sie, worin der ganze Zauber liegt. Sie fühlte, daß das wahrhaft Poetische unwiderstehlich ist, daß das Poetische höher steht,
innen und außen bei entzogener Luft weh wird. Ach, ſie konnte Cäſar nicht vergeſſen: ſie konnte jene begeiſterte Miene des Freundes nicht ver¬ geſſen, jene unſchuldige Seligkeit, die ſie an ihm noch nie gekannt hatte, und die er damals zeigte, als ſie einige aus ſeinen zuckenden Lippen ſchleichende Worte mit ſo pedantiſcher, altkluger Entrüſtung aufnahm. Schon im nächſten Au¬ genblicke, als ſie gegangen war, war ſie ſich mit ihrer Tugend recht abgeſchmackt vorgekommen.
Wally fühlte bald, daß Cäſar an das Unſittliche ſeines Antrags im Momente nicht gedacht hatte. Sie machte ſich den Vorwurf, dieſe Ueberlegung an dem Manne nicht abge¬ wartet zu haben. Auch mußte ſie ſich geſte¬ hen, daß Cäſar ihr vielleicht nie das Pre¬ käre der Situation eingeräumt haben würde. Jetzt wußte ſie, worin der ganze Zauber liegt. Sie fühlte, daß das wahrhaft Poetiſche unwiderſtehlich iſt, daß das Poetiſche höher ſteht,
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innen und außen bei entzogener Luft weh wird.
Ach, ſie konnte Cäſar nicht vergeſſen: ſie konnte
jene begeiſterte Miene des Freundes nicht ver¬
geſſen, jene unſchuldige Seligkeit, die ſie an
ihm noch nie gekannt hatte, und die er damals
zeigte, als ſie einige aus ſeinen zuckenden Lippen
ſchleichende Worte mit ſo pedantiſcher, altkluger
Entrüſtung aufnahm. Schon im nächſten Au¬
genblicke, als ſie gegangen war, war ſie ſich mit
ihrer Tugend recht abgeſchmackt vorgekommen.
Wally fühlte bald, daß Cäſar an das
Unſittliche ſeines Antrags im Momente nicht
gedacht hatte. Sie machte ſich den Vorwurf,
dieſe Ueberlegung an dem Manne nicht abge¬
wartet zu haben. Auch mußte ſie ſich geſte¬
hen, daß Cäſar ihr vielleicht nie das Pre¬
käre der Situation eingeräumt haben würde.
Jetzt wußte ſie, worin der ganze Zauber
liegt. Sie fühlte, daß das wahrhaft Poetiſche
unwiderſtehlich iſt, daß das Poetiſche höher ſteht,
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Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/132>, abgerufen am 12.10.2024.
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