Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Jahreszeiten mit einander umkehren. Er beweist uns sogar in seiner Art die Möglichkeit, zwischen den Frühling und den Sommer den Winter einzuschalten, und kömmt dann gewöhnlich nach solchen unvernünftigen Behauptungen auf die moralische Phrase zurück, daß bei Gott nichts unmöglich wäre. Unsere großen Erfindungen gaben Sir Thomas nur das Recht, im Geiste noch weit größere zu machen. Ein Zeitalter, das die Dampfschiffe und Eisenbahnen, die Taubenposten und die Schnellposten erfunden hat, kann bei ihm Alles zu Stande bringen. Allein diese Manie ließe sich noch ertragen. Sie macht Sir Thomas nur lächerlich. Unerträglich wird sie aber für Jedermann, wenn er sie auch auf seine nächsten Verhältnisse anwendet. Jeden Auftrag, den man ihm gibt, richtet er anders aus, weil er die Absicht des Andern richtiger zu treffen glaubt, wenn er sie umkehrt. Es ist in keinem Ding Verlaß auf ihn. Sagt man ihm: Wollen Sie heute bei mir diniren? so lächelt er und sagt: Jch komme zum Abendessen; weil er nämlich glaubt, meine eigentliche Absicht errathen zu haben. Er hat die Gewohnheit, nichts einfach zu verstehen, sondern hinter Allem noch etwas Verstecktes anzunehmen, das zu errathen er sich für gescheut genug hält. Sagt man zu ihm: Guten Tag, Sir Thomas, so denkt er, man will ihm eine Falle legen, und fragt: Wie meinen Sie das? Kurz, dieser Mann ist sehr weise, sehr gescheut, ein großer Dialektiker, im Uebrigen aber unausstehlich.

Jahreszeiten mit einander umkehren. Er beweist uns sogar in seiner Art die Möglichkeit, zwischen den Frühling und den Sommer den Winter einzuschalten, und kömmt dann gewöhnlich nach solchen unvernünftigen Behauptungen auf die moralische Phrase zurück, daß bei Gott nichts unmöglich wäre. Unsere großen Erfindungen gaben Sir Thomas nur das Recht, im Geiste noch weit größere zu machen. Ein Zeitalter, das die Dampfschiffe und Eisenbahnen, die Taubenposten und die Schnellposten erfunden hat, kann bei ihm Alles zu Stande bringen. Allein diese Manie ließe sich noch ertragen. Sie macht Sir Thomas nur lächerlich. Unerträglich wird sie aber für Jedermann, wenn er sie auch auf seine nächsten Verhältnisse anwendet. Jeden Auftrag, den man ihm gibt, richtet er anders aus, weil er die Absicht des Andern richtiger zu treffen glaubt, wenn er sie umkehrt. Es ist in keinem Ding Verlaß auf ihn. Sagt man ihm: Wollen Sie heute bei mir diniren? so lächelt er und sagt: Jch komme zum Abendessen; weil er nämlich glaubt, meine eigentliche Absicht errathen zu haben. Er hat die Gewohnheit, nichts einfach zu verstehen, sondern hinter Allem noch etwas Verstecktes anzunehmen, das zu errathen er sich für gescheut genug hält. Sagt man zu ihm: Guten Tag, Sir Thomas, so denkt er, man will ihm eine Falle legen, und fragt: Wie meinen Sie das? Kurz, dieser Mann ist sehr weise, sehr gescheut, ein großer Dialektiker, im Uebrigen aber unausstehlich.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0124" n="96"/>
Jahreszeiten mit einander umkehren. Er beweist uns sogar in seiner Art die Möglichkeit, zwischen den Frühling und den Sommer den Winter einzuschalten, und kömmt dann gewöhnlich nach solchen unvernünftigen Behauptungen auf die moralische Phrase zurück, daß bei Gott nichts unmöglich wäre. Unsere großen Erfindungen gaben Sir Thomas nur das Recht, im Geiste noch weit größere zu machen. Ein Zeitalter, das die Dampfschiffe und Eisenbahnen, die Taubenposten und die Schnellposten erfunden hat, kann bei ihm Alles zu Stande bringen. Allein diese Manie ließe sich noch ertragen. Sie macht Sir Thomas nur lächerlich. Unerträglich wird sie aber für Jedermann, wenn er sie auch auf seine nächsten Verhältnisse anwendet. Jeden Auftrag, den man ihm gibt, richtet er anders aus, weil er die Absicht des Andern richtiger zu treffen glaubt, wenn er sie umkehrt. Es ist in keinem Ding Verlaß auf ihn. Sagt man ihm: Wollen Sie heute bei mir diniren? so lächelt er und sagt: Jch komme zum Abendessen; weil er nämlich glaubt, meine <hi rendition="#g">eigentliche</hi> Absicht errathen zu haben. Er hat die Gewohnheit, nichts einfach zu verstehen, sondern hinter Allem noch etwas Verstecktes anzunehmen, das zu errathen er sich für gescheut genug hält. Sagt man zu ihm: Guten Tag, Sir Thomas, so denkt er, man will ihm eine Falle legen, und fragt: Wie meinen Sie das? Kurz, dieser Mann ist sehr weise, sehr gescheut, ein großer Dialektiker, im Uebrigen aber unausstehlich.</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0124] Jahreszeiten mit einander umkehren. Er beweist uns sogar in seiner Art die Möglichkeit, zwischen den Frühling und den Sommer den Winter einzuschalten, und kömmt dann gewöhnlich nach solchen unvernünftigen Behauptungen auf die moralische Phrase zurück, daß bei Gott nichts unmöglich wäre. Unsere großen Erfindungen gaben Sir Thomas nur das Recht, im Geiste noch weit größere zu machen. Ein Zeitalter, das die Dampfschiffe und Eisenbahnen, die Taubenposten und die Schnellposten erfunden hat, kann bei ihm Alles zu Stande bringen. Allein diese Manie ließe sich noch ertragen. Sie macht Sir Thomas nur lächerlich. Unerträglich wird sie aber für Jedermann, wenn er sie auch auf seine nächsten Verhältnisse anwendet. Jeden Auftrag, den man ihm gibt, richtet er anders aus, weil er die Absicht des Andern richtiger zu treffen glaubt, wenn er sie umkehrt. Es ist in keinem Ding Verlaß auf ihn. Sagt man ihm: Wollen Sie heute bei mir diniren? so lächelt er und sagt: Jch komme zum Abendessen; weil er nämlich glaubt, meine eigentliche Absicht errathen zu haben. Er hat die Gewohnheit, nichts einfach zu verstehen, sondern hinter Allem noch etwas Verstecktes anzunehmen, das zu errathen er sich für gescheut genug hält. Sagt man zu ihm: Guten Tag, Sir Thomas, so denkt er, man will ihm eine Falle legen, und fragt: Wie meinen Sie das? Kurz, dieser Mann ist sehr weise, sehr gescheut, ein großer Dialektiker, im Uebrigen aber unausstehlich.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/124
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/124>, abgerufen am 03.05.2024.