Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

trotz alles Predigens von Volkssouveränetät so ohnmächtige und nichtige Volk, von Rache und Strafe sprechen! Die Julirevolution war eine Berichtigung. Sie war ein Akt des Zorns, aber die Mäßigung zügelte alle ihre Ausschweifungen. Sie suchte sich sogleich ein Bett, um ihre Fluth zu dämmen und als ein wahrhaft nützlicher und schiffbarer Strom so viel Terrain zu gewinnen, als verdürstetes und von der Sonne verbranntes Land da war. Und dieß lustige Dehnen und Schlängeln des Stromes ist es, was immer meine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch genommen hat. Man bedenke die nächtliche Stille der Restaurationszeit. Der gallische Hahn kräht: plötzlich welch ein Regen und Bewegen, welches Feuer in Augen, die so verschlafen waren, welcher Accent in Redensarten, die sonst so monoton gesprochen wurden! Die Julirevolution drang in die Kasernen, in die Schulen, auf die Kanzeln, Niemand, auch nicht Einer, weder Metternich noch Wellington (den Herzog von Modena nehm' ich aus), Niemand entzog sich dem Faktum. Es mußte bestätigt werden. Mit seinen Folgen mußte parlamentirt werden. Jch möchte hier keine Wunde wieder aufbrechen - ich kann nur dieß nicht umgehen, nämlich mein unerklärtes Erstaunen, wie wir uns kaum noch so sicher und behaglich fühlen können und im nächsten Momente aufspringen müssen vor den Naphthaflammen, die aus der Erde schlagen. Was hat nicht die Julirevolution Alles verrathen? Wie lehrte sie die Stummen reden und die Lahmen gehen!

trotz alles Predigens von Volkssouveränetät so ohnmächtige und nichtige Volk, von Rache und Strafe sprechen! Die Julirevolution war eine Berichtigung. Sie war ein Akt des Zorns, aber die Mäßigung zügelte alle ihre Ausschweifungen. Sie suchte sich sogleich ein Bett, um ihre Fluth zu dämmen und als ein wahrhaft nützlicher und schiffbarer Strom so viel Terrain zu gewinnen, als verdürstetes und von der Sonne verbranntes Land da war. Und dieß lustige Dehnen und Schlängeln des Stromes ist es, was immer meine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch genommen hat. Man bedenke die nächtliche Stille der Restaurationszeit. Der gallische Hahn kräht: plötzlich welch ein Regen und Bewegen, welches Feuer in Augen, die so verschlafen waren, welcher Accent in Redensarten, die sonst so monoton gesprochen wurden! Die Julirevolution drang in die Kasernen, in die Schulen, auf die Kanzeln, Niemand, auch nicht Einer, weder Metternich noch Wellington (den Herzog von Modena nehm’ ich aus), Niemand entzog sich dem Faktum. Es mußte bestätigt werden. Mit seinen Folgen mußte parlamentirt werden. Jch möchte hier keine Wunde wieder aufbrechen – ich kann nur dieß nicht umgehen, nämlich mein unerklärtes Erstaunen, wie wir uns kaum noch so sicher und behaglich fühlen können und im nächsten Momente aufspringen müssen vor den Naphthaflammen, die aus der Erde schlagen. Was hat nicht die Julirevolution Alles verrathen? Wie lehrte sie die Stummen reden und die Lahmen gehen!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0146" n="118"/>
trotz alles Predigens von Volkssouveränetät so ohnmächtige und nichtige Volk, von Rache und Strafe sprechen! Die Julirevolution war eine Berichtigung. Sie war ein Akt des Zorns, aber die Mäßigung zügelte alle ihre Ausschweifungen. Sie suchte sich sogleich ein Bett, um ihre Fluth zu dämmen und als ein wahrhaft nützlicher und schiffbarer Strom so viel Terrain zu gewinnen, als verdürstetes und von der Sonne verbranntes Land da war. Und dieß lustige Dehnen und Schlängeln des Stromes ist es, was immer meine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch genommen hat. Man bedenke die nächtliche Stille der Restaurationszeit. Der gallische Hahn kräht: plötzlich welch ein Regen und Bewegen, welches Feuer in Augen, die so verschlafen waren, welcher Accent in Redensarten, die sonst so monoton gesprochen wurden! Die Julirevolution drang in die Kasernen, in die Schulen, auf die Kanzeln, Niemand, auch nicht Einer, weder Metternich noch Wellington (den Herzog von Modena nehm&#x2019; ich aus), Niemand entzog sich dem Faktum. Es mußte bestätigt werden. Mit seinen Folgen mußte parlamentirt werden. Jch möchte hier keine Wunde wieder aufbrechen &#x2013; ich kann nur dieß nicht umgehen, nämlich mein unerklärtes Erstaunen, wie wir uns kaum noch so sicher und behaglich fühlen können und im nächsten Momente aufspringen müssen vor den Naphthaflammen, die aus der Erde schlagen. Was hat nicht die Julirevolution Alles verrathen? Wie lehrte sie die Stummen reden und die Lahmen gehen!
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0146] trotz alles Predigens von Volkssouveränetät so ohnmächtige und nichtige Volk, von Rache und Strafe sprechen! Die Julirevolution war eine Berichtigung. Sie war ein Akt des Zorns, aber die Mäßigung zügelte alle ihre Ausschweifungen. Sie suchte sich sogleich ein Bett, um ihre Fluth zu dämmen und als ein wahrhaft nützlicher und schiffbarer Strom so viel Terrain zu gewinnen, als verdürstetes und von der Sonne verbranntes Land da war. Und dieß lustige Dehnen und Schlängeln des Stromes ist es, was immer meine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch genommen hat. Man bedenke die nächtliche Stille der Restaurationszeit. Der gallische Hahn kräht: plötzlich welch ein Regen und Bewegen, welches Feuer in Augen, die so verschlafen waren, welcher Accent in Redensarten, die sonst so monoton gesprochen wurden! Die Julirevolution drang in die Kasernen, in die Schulen, auf die Kanzeln, Niemand, auch nicht Einer, weder Metternich noch Wellington (den Herzog von Modena nehm’ ich aus), Niemand entzog sich dem Faktum. Es mußte bestätigt werden. Mit seinen Folgen mußte parlamentirt werden. Jch möchte hier keine Wunde wieder aufbrechen – ich kann nur dieß nicht umgehen, nämlich mein unerklärtes Erstaunen, wie wir uns kaum noch so sicher und behaglich fühlen können und im nächsten Momente aufspringen müssen vor den Naphthaflammen, die aus der Erde schlagen. Was hat nicht die Julirevolution Alles verrathen? Wie lehrte sie die Stummen reden und die Lahmen gehen!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/146
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/146>, abgerufen am 01.05.2024.