Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

man aber nicht genöthigt war, diese selbst zu ziehen, indem man die Theologie bloß für einen Zweig der Philologie ansah. Die gegen die Schriftsteller des Alterthums nicht selten mit glänzendem Erfolg aufgetretene Zweifelsucht theilte sich auch der Bibelforschung mit. Die ersten Bücher des alten Testaments verloren den Nimbus von Uralterthum, in welchen sie sich bisher durch den Glauben, daß sie von Mose wären, gehüllt hatten. Jn eine viel spätere Zeit wurden diese angeblich ältesten Urkunden des Menschengeschlechts hinaufgerückt, und aus Gründen der Sprachbildung wurde z. B. das Buch Hiob als älter erkannt, denn die Bücher Mose. Es gesellte sich zu der kritisch-linguistischen Erklärung namentlich auch beim alten Testament eine ästhetische, die, von allgemein literarischen Gesichtspunkten ausgehend, sich nicht scheute, alles bisher natürlich Erklärte bildlich zu nehmen und in der heiligen Poesie der Hebräer weit weniger der Heiligkeit, als der Poesie ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Durch dies zunächst allgemein literarische Jnteresse wurde die Bibel (altes und neues Testament) bald vom Duft der orientalischen Dichtkunst und Mythe umwoben, so daß das ursprünglich noch im Christenthum befindliche Hebräisch in Sitten, Glauben und Sprache bald als die Frucht jenes Riesenbaumes der Phantasie erkannt wurde, welcher über den ganzen Orient seine Zweige schatten ließ. Wenn nun auch der anatomische Verstand gegen die Schriften des

man aber nicht genöthigt war, diese selbst zu ziehen, indem man die Theologie bloß für einen Zweig der Philologie ansah. Die gegen die Schriftsteller des Alterthums nicht selten mit glänzendem Erfolg aufgetretene Zweifelsucht theilte sich auch der Bibelforschung mit. Die ersten Bücher des alten Testaments verloren den Nimbus von Uralterthum, in welchen sie sich bisher durch den Glauben, daß sie von Mose wären, gehüllt hatten. Jn eine viel spätere Zeit wurden diese angeblich ältesten Urkunden des Menschengeschlechts hinaufgerückt, und aus Gründen der Sprachbildung wurde z. B. das Buch Hiob als älter erkannt, denn die Bücher Mose. Es gesellte sich zu der kritisch-linguistischen Erklärung namentlich auch beim alten Testament eine ästhetische, die, von allgemein literarischen Gesichtspunkten ausgehend, sich nicht scheute, alles bisher natürlich Erklärte bildlich zu nehmen und in der heiligen Poesie der Hebräer weit weniger der Heiligkeit, als der Poesie ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Durch dies zunächst allgemein literarische Jnteresse wurde die Bibel (altes und neues Testament) bald vom Duft der orientalischen Dichtkunst und Mythe umwoben, so daß das ursprünglich noch im Christenthum befindliche Hebräisch in Sitten, Glauben und Sprache bald als die Frucht jenes Riesenbaumes der Phantasie erkannt wurde, welcher über den ganzen Orient seine Zweige schatten ließ. Wenn nun auch der anatomische Verstand gegen die Schriften des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0160" n="158"/>
man aber nicht genöthigt war, diese selbst zu ziehen, indem man die Theologie bloß für einen Zweig der Philologie ansah. Die gegen die Schriftsteller des Alterthums nicht selten mit glänzendem Erfolg aufgetretene Zweifelsucht theilte sich auch der Bibelforschung mit. Die ersten Bücher des alten Testaments verloren den Nimbus von Uralterthum, in welchen sie sich bisher durch den Glauben, daß sie von <hi rendition="#g">Mose</hi> wären, gehüllt hatten. Jn eine viel spätere Zeit wurden diese angeblich ältesten Urkunden des Menschengeschlechts hinaufgerückt, und aus Gründen der Sprachbildung wurde z. B. das Buch <hi rendition="#g">Hiob</hi> als älter erkannt, denn die Bücher <hi rendition="#g">Mose</hi>. Es gesellte sich zu der kritisch-linguistischen Erklärung namentlich auch beim alten Testament eine ästhetische, die, von allgemein literarischen Gesichtspunkten ausgehend, sich nicht scheute, alles bisher natürlich Erklärte bildlich zu nehmen und in der heiligen Poesie der Hebräer weit weniger der Heiligkeit, als der Poesie ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Durch dies zunächst allgemein literarische Jnteresse wurde die Bibel (altes und neues Testament) bald vom Duft der orientalischen Dichtkunst und Mythe umwoben, so daß das ursprünglich noch im Christenthum befindliche Hebräisch in Sitten, Glauben und Sprache bald als die Frucht jenes Riesenbaumes der Phantasie erkannt wurde, welcher über den ganzen Orient seine Zweige schatten ließ. Wenn nun auch der anatomische Verstand gegen die Schriften des
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0160] man aber nicht genöthigt war, diese selbst zu ziehen, indem man die Theologie bloß für einen Zweig der Philologie ansah. Die gegen die Schriftsteller des Alterthums nicht selten mit glänzendem Erfolg aufgetretene Zweifelsucht theilte sich auch der Bibelforschung mit. Die ersten Bücher des alten Testaments verloren den Nimbus von Uralterthum, in welchen sie sich bisher durch den Glauben, daß sie von Mose wären, gehüllt hatten. Jn eine viel spätere Zeit wurden diese angeblich ältesten Urkunden des Menschengeschlechts hinaufgerückt, und aus Gründen der Sprachbildung wurde z. B. das Buch Hiob als älter erkannt, denn die Bücher Mose. Es gesellte sich zu der kritisch-linguistischen Erklärung namentlich auch beim alten Testament eine ästhetische, die, von allgemein literarischen Gesichtspunkten ausgehend, sich nicht scheute, alles bisher natürlich Erklärte bildlich zu nehmen und in der heiligen Poesie der Hebräer weit weniger der Heiligkeit, als der Poesie ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Durch dies zunächst allgemein literarische Jnteresse wurde die Bibel (altes und neues Testament) bald vom Duft der orientalischen Dichtkunst und Mythe umwoben, so daß das ursprünglich noch im Christenthum befindliche Hebräisch in Sitten, Glauben und Sprache bald als die Frucht jenes Riesenbaumes der Phantasie erkannt wurde, welcher über den ganzen Orient seine Zweige schatten ließ. Wenn nun auch der anatomische Verstand gegen die Schriften des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/160
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/160>, abgerufen am 15.05.2024.