Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

neuen Testaments mit schonungsloser Prüfung ihrer Aechtheit verfahren war, so hatte man doch durch die Kritik zu keinem festen Ziele kommen können. Ueberall schwankte man auf unsicherm Boden, innere und äußere Widersprüche lagen offen da; allein dies bloß formelle Verfahren bedurfte gerade jener Ergänzung, die von dem Zusammenhange mit dem Oriente hergeleitet wurde. Es war schwer, das historisch Unglaubwürdige und kritisch Ermittelte von den übrigbleibenden Schlacken abzusondern und auf einen sichern Platz zu bringen. Man konnte selbst die erhabene Erscheinung des Erlösers nicht so rein aus den Nebeln der Bibel herausführen, wie man ihn wohl gesehen hätte, sondern nach den scharfsinnigsten Untersuchungen über das Einzelne wußte man doch nicht, sie auf das Ganze anzuwenden. Man mußte sich gerade wieder an die Vorstellung des Ganzen gewöhnen, weil ohne dieses jeder einzelne Bestandtheil todt war. Es ist wohl leicht zu zeigen, was im Leben Jesu richtig und einzig und allein möglich war, allein gerade die mythische Verklärung ist schon so innig mit diesem Urstoff der großen Begebenheit, die eine neue Welt schuf, verflossen und vermischt, daß man ohne dieselbe sich in der Beurtheilung der Bibel gar nicht mehr auf religiösem Gebiete befinden würde. So hat auch der Nachweis, daß das Meiste in der Bibel mythisch zu verstehen sey, der Nachweis des Zusammenhangs der verschiedenen jüdischen und gnostischen Faktoren, die

neuen Testaments mit schonungsloser Prüfung ihrer Aechtheit verfahren war, so hatte man doch durch die Kritik zu keinem festen Ziele kommen können. Ueberall schwankte man auf unsicherm Boden, innere und äußere Widersprüche lagen offen da; allein dies bloß formelle Verfahren bedurfte gerade jener Ergänzung, die von dem Zusammenhange mit dem Oriente hergeleitet wurde. Es war schwer, das historisch Unglaubwürdige und kritisch Ermittelte von den übrigbleibenden Schlacken abzusondern und auf einen sichern Platz zu bringen. Man konnte selbst die erhabene Erscheinung des Erlösers nicht so rein aus den Nebeln der Bibel herausführen, wie man ihn wohl gesehen hätte, sondern nach den scharfsinnigsten Untersuchungen über das Einzelne wußte man doch nicht, sie auf das Ganze anzuwenden. Man mußte sich gerade wieder an die Vorstellung des Ganzen gewöhnen, weil ohne dieses jeder einzelne Bestandtheil todt war. Es ist wohl leicht zu zeigen, was im Leben Jesu richtig und einzig und allein möglich war, allein gerade die mythische Verklärung ist schon so innig mit diesem Urstoff der großen Begebenheit, die eine neue Welt schuf, verflossen und vermischt, daß man ohne dieselbe sich in der Beurtheilung der Bibel gar nicht mehr auf religiösem Gebiete befinden würde. So hat auch der Nachweis, daß das Meiste in der Bibel mythisch zu verstehen sey, der Nachweis des Zusammenhangs der verschiedenen jüdischen und gnostischen Faktoren, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0161" n="159"/>
neuen Testaments mit schonungsloser Prüfung ihrer Aechtheit verfahren war, so hatte man doch durch die Kritik zu keinem festen Ziele kommen können. Ueberall schwankte man auf unsicherm Boden, innere und äußere Widersprüche lagen offen da; allein dies bloß formelle Verfahren bedurfte gerade jener Ergänzung, die von dem Zusammenhange mit dem Oriente hergeleitet wurde. Es war schwer, das historisch Unglaubwürdige und kritisch Ermittelte von den übrigbleibenden Schlacken abzusondern und auf einen sichern Platz zu bringen. Man konnte selbst die erhabene Erscheinung des Erlösers nicht so rein aus den Nebeln der Bibel herausführen, wie man ihn wohl gesehen hätte, sondern nach den scharfsinnigsten Untersuchungen über das Einzelne wußte man doch nicht, sie auf das Ganze anzuwenden. Man mußte sich gerade wieder an die Vorstellung des Ganzen gewöhnen, weil ohne dieses jeder einzelne Bestandtheil todt war. Es ist wohl leicht zu zeigen, was im Leben Jesu richtig und einzig und allein möglich war, allein gerade die mythische Verklärung ist schon so innig mit diesem Urstoff der großen Begebenheit, die eine neue Welt schuf, verflossen und vermischt, daß man ohne dieselbe sich in der Beurtheilung der Bibel gar nicht mehr auf religiösem Gebiete befinden würde. So hat auch der Nachweis, daß das Meiste in der Bibel mythisch zu verstehen sey, der Nachweis des Zusammenhangs der verschiedenen jüdischen und gnostischen Faktoren, die
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0161] neuen Testaments mit schonungsloser Prüfung ihrer Aechtheit verfahren war, so hatte man doch durch die Kritik zu keinem festen Ziele kommen können. Ueberall schwankte man auf unsicherm Boden, innere und äußere Widersprüche lagen offen da; allein dies bloß formelle Verfahren bedurfte gerade jener Ergänzung, die von dem Zusammenhange mit dem Oriente hergeleitet wurde. Es war schwer, das historisch Unglaubwürdige und kritisch Ermittelte von den übrigbleibenden Schlacken abzusondern und auf einen sichern Platz zu bringen. Man konnte selbst die erhabene Erscheinung des Erlösers nicht so rein aus den Nebeln der Bibel herausführen, wie man ihn wohl gesehen hätte, sondern nach den scharfsinnigsten Untersuchungen über das Einzelne wußte man doch nicht, sie auf das Ganze anzuwenden. Man mußte sich gerade wieder an die Vorstellung des Ganzen gewöhnen, weil ohne dieses jeder einzelne Bestandtheil todt war. Es ist wohl leicht zu zeigen, was im Leben Jesu richtig und einzig und allein möglich war, allein gerade die mythische Verklärung ist schon so innig mit diesem Urstoff der großen Begebenheit, die eine neue Welt schuf, verflossen und vermischt, daß man ohne dieselbe sich in der Beurtheilung der Bibel gar nicht mehr auf religiösem Gebiete befinden würde. So hat auch der Nachweis, daß das Meiste in der Bibel mythisch zu verstehen sey, der Nachweis des Zusammenhangs der verschiedenen jüdischen und gnostischen Faktoren, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/161
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/161>, abgerufen am 15.05.2024.