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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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und auf der andern ihre unerbittliche Strenge, ihr außerordentlich gesteigertes Strafmaß - wer möchte da noch glauben, daß die Ausgleichung der Strafe und der Verbrechen etwas Naturgemäßes ist, eine Nachbildung der göttlichen Gerechtigkeit, eine organische Nothwendigkeit? Wer möchte diese Gesetze nicht für eine eigensinnige Tyrannei halten, für die Laune eines Despoten, der statt durch Humanität die Menschen zu mildern, sie gerade durch seine strengen und grausamen Capricen, wenn nicht verwildert, doch verwirrt und aus dem Zusammenhang ihrer Handlungen mit den Jnstitutionen die Gerechtigkeit herausscheucht? Glücklicherweise ist die Jury, soviel Mängel sie hat, ein Ausgleichungsmittel der Natur mit der Unnatur, der Freiheit mit der Nothwendigkeit. Sie stellt, da sie aus dem freien und unbestochenen Volksgeiste hervorgeht, das Gleichgewicht zwischen dem schöpferischen Geist der Thatsachen und dem starren Buchstaben der Gesetze wieder her. Sie schüzt uns vor der konsequenten Anwendung einer Gesetzgebung, die ein Conglomerat der Ueberreste aller vergangenen Jahrhunderte ist, die von keinem durchgreifenden einigen Prinzipe belebt wird, und eben darin die größte Unerträglichkeit enthält, daß sie in ihren Launen nicht einmal konsequent ist, sondern grausam durch Zufall, grausam ohne Prinzip.

Jch habe oft gedacht, ob es nicht eine weise Einrichtung jenes Geistes ist, der in unsern Schicksalen

und auf der andern ihre unerbittliche Strenge, ihr außerordentlich gesteigertes Strafmaß – wer möchte da noch glauben, daß die Ausgleichung der Strafe und der Verbrechen etwas Naturgemäßes ist, eine Nachbildung der göttlichen Gerechtigkeit, eine organische Nothwendigkeit? Wer möchte diese Gesetze nicht für eine eigensinnige Tyrannei halten, für die Laune eines Despoten, der statt durch Humanität die Menschen zu mildern, sie gerade durch seine strengen und grausamen Capricen, wenn nicht verwildert, doch verwirrt und aus dem Zusammenhang ihrer Handlungen mit den Jnstitutionen die Gerechtigkeit herausscheucht? Glücklicherweise ist die Jury, soviel Mängel sie hat, ein Ausgleichungsmittel der Natur mit der Unnatur, der Freiheit mit der Nothwendigkeit. Sie stellt, da sie aus dem freien und unbestochenen Volksgeiste hervorgeht, das Gleichgewicht zwischen dem schöpferischen Geist der Thatsachen und dem starren Buchstaben der Gesetze wieder her. Sie schüzt uns vor der konsequenten Anwendung einer Gesetzgebung, die ein Conglomerat der Ueberreste aller vergangenen Jahrhunderte ist, die von keinem durchgreifenden einigen Prinzipe belebt wird, und eben darin die größte Unerträglichkeit enthält, daß sie in ihren Launen nicht einmal konsequent ist, sondern grausam durch Zufall, grausam ohne Prinzip.

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[86/0088] und auf der andern ihre unerbittliche Strenge, ihr außerordentlich gesteigertes Strafmaß – wer möchte da noch glauben, daß die Ausgleichung der Strafe und der Verbrechen etwas Naturgemäßes ist, eine Nachbildung der göttlichen Gerechtigkeit, eine organische Nothwendigkeit? Wer möchte diese Gesetze nicht für eine eigensinnige Tyrannei halten, für die Laune eines Despoten, der statt durch Humanität die Menschen zu mildern, sie gerade durch seine strengen und grausamen Capricen, wenn nicht verwildert, doch verwirrt und aus dem Zusammenhang ihrer Handlungen mit den Jnstitutionen die Gerechtigkeit herausscheucht? Glücklicherweise ist die Jury, soviel Mängel sie hat, ein Ausgleichungsmittel der Natur mit der Unnatur, der Freiheit mit der Nothwendigkeit. Sie stellt, da sie aus dem freien und unbestochenen Volksgeiste hervorgeht, das Gleichgewicht zwischen dem schöpferischen Geist der Thatsachen und dem starren Buchstaben der Gesetze wieder her. Sie schüzt uns vor der konsequenten Anwendung einer Gesetzgebung, die ein Conglomerat der Ueberreste aller vergangenen Jahrhunderte ist, die von keinem durchgreifenden einigen Prinzipe belebt wird, und eben darin die größte Unerträglichkeit enthält, daß sie in ihren Launen nicht einmal konsequent ist, sondern grausam durch Zufall, grausam ohne Prinzip. Jch habe oft gedacht, ob es nicht eine weise Einrichtung jenes Geistes ist, der in unsern Schicksalen

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/88>, abgerufen am 15.05.2024.