Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

waltet, und Völkern und Ländern das Maß ihrer Besitzthümer und Entbehrungen zumißt, daß gerade England, das einzige Land, wo in Europa wahre politische Freiheit herrscht, eine Gesetzgebung besitzen muß, die weit hinter den Fortschritten, die seit Jahrhunderten der menschliche Geist gemacht hat, zurück ist. Sollen Wohlthaten und Mängel sich die Wage halten? Soll England in dem Einen zeigen, was Europa zu erstreben und in dem Andern, was es zu vermeiden hat? Jndessen würde diese göttliche Veranstaltung sich auf historischem Wege bald erklären lassen. Dieselben Umstände, welche bei uns der Entwickelung der bürgerlichen Freiheit so günstig waren, hinderten die Ausbildung und Einführung allgemein menschlicher Prinzipien in die Civil- und Kriminalgesetzgebung. Die Freiheit Englands ist eine faktische, eine historische. Volk, König, Parlament (ist ein bekannter Ausspruch) haben alle ihre Rechte und Privilegien und Uebergewichte, ohne daß es dafür Grenzen gäbe. Die Freiheit Englands rang sich aus den Widerwärtigkeiten und Schicksalsstürmen der englischen Geschichte hervor. Sie war zum großen Theil Recht des Stärkern, sie war die schleunige Benutzung der günstigen Umstände, namentlich des Dynastienwechsels, sie war weit mehr die Folge des Handels und der Religionsverbesserung (Kirchenverbesserung kann man leider nicht sagen), als der Sieg allgemein rechtlicher Prinzipien und humaner Uebereinkünfte. Ja es ist fast, als

waltet, und Völkern und Ländern das Maß ihrer Besitzthümer und Entbehrungen zumißt, daß gerade England, das einzige Land, wo in Europa wahre politische Freiheit herrscht, eine Gesetzgebung besitzen muß, die weit hinter den Fortschritten, die seit Jahrhunderten der menschliche Geist gemacht hat, zurück ist. Sollen Wohlthaten und Mängel sich die Wage halten? Soll England in dem Einen zeigen, was Europa zu erstreben und in dem Andern, was es zu vermeiden hat? Jndessen würde diese göttliche Veranstaltung sich auf historischem Wege bald erklären lassen. Dieselben Umstände, welche bei uns der Entwickelung der bürgerlichen Freiheit so günstig waren, hinderten die Ausbildung und Einführung allgemein menschlicher Prinzipien in die Civil- und Kriminalgesetzgebung. Die Freiheit Englands ist eine faktische, eine historische. Volk, König, Parlament (ist ein bekannter Ausspruch) haben alle ihre Rechte und Privilegien und Uebergewichte, ohne daß es dafür Grenzen gäbe. Die Freiheit Englands rang sich aus den Widerwärtigkeiten und Schicksalsstürmen der englischen Geschichte hervor. Sie war zum großen Theil Recht des Stärkern, sie war die schleunige Benutzung der günstigen Umstände, namentlich des Dynastienwechsels, sie war weit mehr die Folge des Handels und der Religionsverbesserung (Kirchenverbesserung kann man leider nicht sagen), als der Sieg allgemein rechtlicher Prinzipien und humaner Uebereinkünfte. Ja es ist fast, als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0089" n="87"/>
waltet, und Völkern und Ländern das Maß ihrer Besitzthümer und Entbehrungen zumißt, daß gerade England, das einzige Land, wo in Europa wahre politische Freiheit herrscht, eine Gesetzgebung besitzen muß, die weit hinter den Fortschritten, die seit Jahrhunderten der menschliche Geist gemacht hat, zurück ist. Sollen Wohlthaten und Mängel sich die Wage halten? Soll England in dem Einen zeigen, was Europa zu erstreben und in dem Andern, was es zu vermeiden hat? Jndessen würde diese göttliche Veranstaltung sich auf historischem Wege bald erklären lassen. Dieselben Umstände, welche bei uns der Entwickelung der bürgerlichen Freiheit so günstig waren, hinderten die Ausbildung und Einführung allgemein menschlicher Prinzipien in die Civil- und Kriminalgesetzgebung. Die Freiheit Englands ist eine faktische, eine historische. Volk, König, Parlament (ist ein bekannter Ausspruch) haben alle ihre Rechte und Privilegien und Uebergewichte, ohne daß es dafür Grenzen gäbe. Die Freiheit Englands rang sich aus den Widerwärtigkeiten und Schicksalsstürmen der englischen Geschichte hervor. Sie war zum großen Theil Recht des Stärkern, sie war die schleunige Benutzung der günstigen Umstände, namentlich des Dynastienwechsels, sie war weit mehr die Folge des Handels und der Religionsverbesserung (<hi rendition="#g">Kirchen</hi>verbesserung kann man leider nicht sagen), als der Sieg allgemein rechtlicher Prinzipien und humaner Uebereinkünfte. Ja es ist fast, als
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0089] waltet, und Völkern und Ländern das Maß ihrer Besitzthümer und Entbehrungen zumißt, daß gerade England, das einzige Land, wo in Europa wahre politische Freiheit herrscht, eine Gesetzgebung besitzen muß, die weit hinter den Fortschritten, die seit Jahrhunderten der menschliche Geist gemacht hat, zurück ist. Sollen Wohlthaten und Mängel sich die Wage halten? Soll England in dem Einen zeigen, was Europa zu erstreben und in dem Andern, was es zu vermeiden hat? Jndessen würde diese göttliche Veranstaltung sich auf historischem Wege bald erklären lassen. Dieselben Umstände, welche bei uns der Entwickelung der bürgerlichen Freiheit so günstig waren, hinderten die Ausbildung und Einführung allgemein menschlicher Prinzipien in die Civil- und Kriminalgesetzgebung. Die Freiheit Englands ist eine faktische, eine historische. Volk, König, Parlament (ist ein bekannter Ausspruch) haben alle ihre Rechte und Privilegien und Uebergewichte, ohne daß es dafür Grenzen gäbe. Die Freiheit Englands rang sich aus den Widerwärtigkeiten und Schicksalsstürmen der englischen Geschichte hervor. Sie war zum großen Theil Recht des Stärkern, sie war die schleunige Benutzung der günstigen Umstände, namentlich des Dynastienwechsels, sie war weit mehr die Folge des Handels und der Religionsverbesserung (Kirchenverbesserung kann man leider nicht sagen), als der Sieg allgemein rechtlicher Prinzipien und humaner Uebereinkünfte. Ja es ist fast, als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/89
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/89>, abgerufen am 15.05.2024.