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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XII. Erhaltung der Kraft.
welche die Hörsphäre im Schläfenlappen unserer Großhirnrinde
bilden. Die ganze wunderbare Gestaltenfülle, welche unseren
Erdball belebt, ist in letzter Instanz umgewandeltes Sonnenlicht.
Allbekannt ist, wie gegenwärtig die bewunderungswürdigen Fort-
schritte der Technik dazu geführt haben, die verschiedenen Natur-
kräfte in einander zu verwandeln: Wärme wird in Massen-
bewegung, diese wieder in Licht oder Schall, diese wiederum in
Elektricität übergeführt oder umgekehrt. Die genaue Messung
der Kraftmenge, welche bei dieser Verwandlung thätig ist, hat
ergeben, daß auch sie konstant bleibt. Kein Theilchen der be-
wegenden Kraft im Weltall geht je verloren; kein Theilchen
kommt neu hinzu. Der großen Entdeckung dieser fundamentalen
Thatsache hatte sich schon 1837 Friedrich Mohr in Bonn
sehr genähert; sie geschah 1842 durch den geistreichen Schwäbischen
Arzt Robert Mayer in Heilbronn; unabhängig von ihm kam
fast gleichzeitig der berühmte Physiologe Hermann Helm-
holtz
auf die Erkenntniß desselben Princips; er wies fünf
Jahre später seine allgemeine Anwendbarkeit und Fruchtbarkeit
auf allen Gebieten der Physik nach. Wir würden heute sagen
müssen, daß es auch das gesammte Gebiet der Physiologie,
-- d. h. der "organischen Physik!" -- beherrsche, wenn dagegen
nicht entschiedener Widerspruch von Seiten der vitalistischen
Biologen, sowie der dualistischen und spiritualistischen Philosophen
erhoben würde. Diese erblicken in den eigenthümlichen "Geistes-
kräften" des Menschen eine Gruppe von "freien", dem Energie-
Gesetz nicht unterworfenen Kraft-Erscheinungen; besonders gestützt
wird diese dualistische Auffassung durch das Dogma von der
Willensfreiheit. Wir haben schon bei deren Besprechung (S. 149)
gesehen, daß dieselbe unhaltbar ist. In neuester Zeit hat die
Physik den Begriff der "Kraft" und der "Energie" getrennt;
für unsere vorliegende allgemeine Betrachtung ist diese Unter-
scheidung gleichgültig.

XII. Erhaltung der Kraft.
welche die Hörſphäre im Schläfenlappen unſerer Großhirnrinde
bilden. Die ganze wunderbare Geſtaltenfülle, welche unſeren
Erdball belebt, iſt in letzter Inſtanz umgewandeltes Sonnenlicht.
Allbekannt iſt, wie gegenwärtig die bewunderungswürdigen Fort-
ſchritte der Technik dazu geführt haben, die verſchiedenen Natur-
kräfte in einander zu verwandeln: Wärme wird in Maſſen-
bewegung, dieſe wieder in Licht oder Schall, dieſe wiederum in
Elektricität übergeführt oder umgekehrt. Die genaue Meſſung
der Kraftmenge, welche bei dieſer Verwandlung thätig iſt, hat
ergeben, daß auch ſie konſtant bleibt. Kein Theilchen der be-
wegenden Kraft im Weltall geht je verloren; kein Theilchen
kommt neu hinzu. Der großen Entdeckung dieſer fundamentalen
Thatſache hatte ſich ſchon 1837 Friedrich Mohr in Bonn
ſehr genähert; ſie geſchah 1842 durch den geiſtreichen Schwäbiſchen
Arzt Robert Mayer in Heilbronn; unabhängig von ihm kam
faſt gleichzeitig der berühmte Phyſiologe Hermann Helm-
holtz
auf die Erkenntniß desſelben Princips; er wies fünf
Jahre ſpäter ſeine allgemeine Anwendbarkeit und Fruchtbarkeit
auf allen Gebieten der Phyſik nach. Wir würden heute ſagen
müſſen, daß es auch das geſammte Gebiet der Phyſiologie,
— d. h. der „organiſchen Phyſik!“ — beherrſche, wenn dagegen
nicht entſchiedener Widerſpruch von Seiten der vitaliſtiſchen
Biologen, ſowie der dualiſtiſchen und ſpiritualiſtiſchen Philoſophen
erhoben würde. Dieſe erblicken in den eigenthümlichen „Geiſtes-
kräften“ des Menſchen eine Gruppe von „freien“, dem Energie-
Geſetz nicht unterworfenen Kraft-Erſcheinungen; beſonders geſtützt
wird dieſe dualiſtiſche Auffaſſung durch das Dogma von der
Willensfreiheit. Wir haben ſchon bei deren Beſprechung (S. 149)
geſehen, daß dieſelbe unhaltbar iſt. In neueſter Zeit hat die
Phyſik den Begriff der „Kraft“ und der „Energie“ getrennt;
für unſere vorliegende allgemeine Betrachtung iſt dieſe Unter-
ſcheidung gleichgültig.

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[247/0263] XII. Erhaltung der Kraft. welche die Hörſphäre im Schläfenlappen unſerer Großhirnrinde bilden. Die ganze wunderbare Geſtaltenfülle, welche unſeren Erdball belebt, iſt in letzter Inſtanz umgewandeltes Sonnenlicht. Allbekannt iſt, wie gegenwärtig die bewunderungswürdigen Fort- ſchritte der Technik dazu geführt haben, die verſchiedenen Natur- kräfte in einander zu verwandeln: Wärme wird in Maſſen- bewegung, dieſe wieder in Licht oder Schall, dieſe wiederum in Elektricität übergeführt oder umgekehrt. Die genaue Meſſung der Kraftmenge, welche bei dieſer Verwandlung thätig iſt, hat ergeben, daß auch ſie konſtant bleibt. Kein Theilchen der be- wegenden Kraft im Weltall geht je verloren; kein Theilchen kommt neu hinzu. Der großen Entdeckung dieſer fundamentalen Thatſache hatte ſich ſchon 1837 Friedrich Mohr in Bonn ſehr genähert; ſie geſchah 1842 durch den geiſtreichen Schwäbiſchen Arzt Robert Mayer in Heilbronn; unabhängig von ihm kam faſt gleichzeitig der berühmte Phyſiologe Hermann Helm- holtz auf die Erkenntniß desſelben Princips; er wies fünf Jahre ſpäter ſeine allgemeine Anwendbarkeit und Fruchtbarkeit auf allen Gebieten der Phyſik nach. Wir würden heute ſagen müſſen, daß es auch das geſammte Gebiet der Phyſiologie, — d. h. der „organiſchen Phyſik!“ — beherrſche, wenn dagegen nicht entſchiedener Widerſpruch von Seiten der vitaliſtiſchen Biologen, ſowie der dualiſtiſchen und ſpiritualiſtiſchen Philoſophen erhoben würde. Dieſe erblicken in den eigenthümlichen „Geiſtes- kräften“ des Menſchen eine Gruppe von „freien“, dem Energie- Geſetz nicht unterworfenen Kraft-Erſcheinungen; beſonders geſtützt wird dieſe dualiſtiſche Auffaſſung durch das Dogma von der Willensfreiheit. Wir haben ſchon bei deren Beſprechung (S. 149) geſehen, daß dieſelbe unhaltbar iſt. In neueſter Zeit hat die Phyſik den Begriff der „Kraft“ und der „Energie“ getrennt; für unſere vorliegende allgemeine Betrachtung iſt dieſe Unter- ſcheidung gleichgültig.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/263>, abgerufen am 29.04.2024.