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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766.

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Die Stimme. IX. Buch.
werden, und folglich gröber klingen, daß indessen diese
Veränderung alle weder zu einerlei Zeit, noch gleich
stark treffe, und daß daher bei einigen die Stimme falsch
und verdorben sey (h), weil einige Fasern einen feinen
Ton, andere hingegen einen groben machen.

Ein anderer Fehler befindet sich bei der falschen
Stimme, welche entsteht, wenn wir das Feine der Stim-
me über die natürliche 'Tonleiter erzwingen wollen (i).
Alsdenn kommen nemlich drei oder vier Töne, bisweilen
auch wohl noch mehr, die wir hinzu thun, kaum klar
heraus: diese ungewissen und fehlerhaften Töne, scheint
nicht sowohl der Nasenkanal zu machen, in welchem sie
gobildet werden, als vielmehr die Ueberspannung der
Glottissäiten, welche, wie alle Säiten, einen feinen Ton
hervorbringen, so bald sie über ihr gehöriges Maas aus-
gedehnet werden.

Die verwundrungswürdigen Würkungen der Ton-
kunst, auf die Erregung der Leidenschaften, haben eine
Ursache zum Grunde, die sich leicht erklären läst. Jeder
Affekkt besizzt, wie wir eben gesagt haben, seine eigene
Sprache. Wenn ein Gesang diese Sprache mit Geschikk-
lichkeit nachahmt, so entsteht durch die Vergleichung der
Jdeen, eben der Affekkt in uns, dessen bildliche Stimme
von uns gehöret wird. Auf eben solche Weise pflegt der
Anblikk eines wollüstigen Gemäldes, oder ein besondrer
Geruch den Menschen, und das unvernünftige Vieh zur
Liebe zu reizen. Wenn hingegen Gesänge keine Bilder des
Affekkts schildern, so bleiben sie für uns frostig, und
rühren uns nicht.



Vier
(h) [Spaltenumbruch] TISSOT. angef. Ort. S.
168. u. f.
(i) [Spaltenumbruch] DODART. 1706. S. 137.

Die Stimme. IX. Buch.
werden, und folglich groͤber klingen, daß indeſſen dieſe
Veraͤnderung alle weder zu einerlei Zeit, noch gleich
ſtark treffe, und daß daher bei einigen die Stimme falſch
und verdorben ſey (h), weil einige Faſern einen feinen
Ton, andere hingegen einen groben machen.

Ein anderer Fehler befindet ſich bei der falſchen
Stimme, welche entſteht, wenn wir das Feine der Stim-
me uͤber die natuͤrliche ‘Tonleiter erzwingen wollen (i).
Alsdenn kommen nemlich drei oder vier Toͤne, bisweilen
auch wohl noch mehr, die wir hinzu thun, kaum klar
heraus: dieſe ungewiſſen und fehlerhaften Toͤne, ſcheint
nicht ſowohl der Naſenkanal zu machen, in welchem ſie
gobildet werden, als vielmehr die Ueberſpannung der
Glottisſaͤiten, welche, wie alle Saͤiten, einen feinen Ton
hervorbringen, ſo bald ſie uͤber ihr gehoͤriges Maas aus-
gedehnet werden.

Die verwundrungswuͤrdigen Wuͤrkungen der Ton-
kunſt, auf die Erregung der Leidenſchaften, haben eine
Urſache zum Grunde, die ſich leicht erklaͤren laͤſt. Jeder
Affekkt beſizzt, wie wir eben geſagt haben, ſeine eigene
Sprache. Wenn ein Geſang dieſe Sprache mit Geſchikk-
lichkeit nachahmt, ſo entſteht durch die Vergleichung der
Jdeen, eben der Affekkt in uns, deſſen bildliche Stimme
von uns gehoͤret wird. Auf eben ſolche Weiſe pflegt der
Anblikk eines wolluͤſtigen Gemaͤldes, oder ein beſondrer
Geruch den Menſchen, und das unvernuͤnftige Vieh zur
Liebe zu reizen. Wenn hingegen Geſaͤnge keine Bilder des
Affekkts ſchildern, ſo bleiben ſie fuͤr uns froſtig, und
ruͤhren uns nicht.



Vier
(h) [Spaltenumbruch] TISSOT. angef. Ort. S.
168. u. f.
(i) [Spaltenumbruch] DODART. 1706. S. 137.
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[720[722]/0728] Die Stimme. IX. Buch. werden, und folglich groͤber klingen, daß indeſſen dieſe Veraͤnderung alle weder zu einerlei Zeit, noch gleich ſtark treffe, und daß daher bei einigen die Stimme falſch und verdorben ſey (h), weil einige Faſern einen feinen Ton, andere hingegen einen groben machen. Ein anderer Fehler befindet ſich bei der falſchen Stimme, welche entſteht, wenn wir das Feine der Stim- me uͤber die natuͤrliche ‘Tonleiter erzwingen wollen (i). Alsdenn kommen nemlich drei oder vier Toͤne, bisweilen auch wohl noch mehr, die wir hinzu thun, kaum klar heraus: dieſe ungewiſſen und fehlerhaften Toͤne, ſcheint nicht ſowohl der Naſenkanal zu machen, in welchem ſie gobildet werden, als vielmehr die Ueberſpannung der Glottisſaͤiten, welche, wie alle Saͤiten, einen feinen Ton hervorbringen, ſo bald ſie uͤber ihr gehoͤriges Maas aus- gedehnet werden. Die verwundrungswuͤrdigen Wuͤrkungen der Ton- kunſt, auf die Erregung der Leidenſchaften, haben eine Urſache zum Grunde, die ſich leicht erklaͤren laͤſt. Jeder Affekkt beſizzt, wie wir eben geſagt haben, ſeine eigene Sprache. Wenn ein Geſang dieſe Sprache mit Geſchikk- lichkeit nachahmt, ſo entſteht durch die Vergleichung der Jdeen, eben der Affekkt in uns, deſſen bildliche Stimme von uns gehoͤret wird. Auf eben ſolche Weiſe pflegt der Anblikk eines wolluͤſtigen Gemaͤldes, oder ein beſondrer Geruch den Menſchen, und das unvernuͤnftige Vieh zur Liebe zu reizen. Wenn hingegen Geſaͤnge keine Bilder des Affekkts ſchildern, ſo bleiben ſie fuͤr uns froſtig, und ruͤhren uns nicht. Vier (h) TISSOT. angef. Ort. S. 168. u. f. (i) DODART. 1706. S. 137.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766, S. 720[722]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/728>, abgerufen am 28.04.2024.