Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite
I. Abschnitt. Der Verstand.

Eine übermäßige Kenntnis fast von allen Künsten
besas ehedem Sarpius (e) Leibniz, und in einer an-
dern Art Magliabeccchi (f), welcher ganze, verlohren
gegangne Bücher andren in die Feder diktiren konnte.

Zu einem dauerhaften Gedächtnisse, gehören die Exem-
pel dererjenigen Personen, welche nichts von alle demje-
nigen vergessen haben sollen, was sie wusten, als Sar-
pius
(g) Lorenz Bonincontrins (h) und Blasius Pas-
kal,
welches ich in dem Verstande nehme, daß man
darunter Dinge verstehe, welche werth sind, behalten zu
werden.

Es ist gewis, daß die Kunst und Ordnung (i) hierzu
viel beitragen kann: nicht diejenige übertriebne Kunst,
welche P Ravenna, oder Paepius oder andre lehren;
sondern dieses kann mit Hülfe der Zeichen, der Uebung
(k), und der Wiederholung geschehen. Mein Vortheil
bestand von der ersten Jugend an darinnen, daß ich merk-
würdige Dinge, wenn ich sie las, auf Pappier schrieb,
und diese öfters in eine Ordnung, Klassen und Arten ein-
theilte: nachgehens, wenn ich mich derselben bedienen woll-
te, auf das genauste bei einem jedweden Theile meiner
Arbeit anbrachte. Dadurch habe ich zwar nicht erhalten,
daß mein Gedächtnis vortreflich geworden, aber doch so
viel, daß ich weniger davon, was ich gelernt hatte, ver-
gessen.

Diejenigen haben ein schlechtes Gedächtnis, welche
die Zeichen ausser Acht lassen. Ein zehnjähriger Knabe,
welcher unter den Bären erzogen war, hatte gar kein Ge-
dächtnis (l). Ein Mädchen, welches man in einer Ein-

öde
(e) [Spaltenumbruch] Vira p. 38. dieser hatte ein
scharf Gesicht, und Gefühl p. 37.
(f) Jn dessen vita.
(g) L. c.
(h) CARDAN subtil. L. XII.
(i) Ars memorial hat SIMONI-
DES
geschrieben & METRODO-
[Spaltenumbruch] RUS, SCIPSIUS
bei dem PLINIUS
L. VII. c.
24.
(k) PELSHOVER, WOLF l. c.
p.
134.
(l) CONDILLAC des sensat.
H. p.
225.
H. Phisiol. 5. B. Y y y
I. Abſchnitt. Der Verſtand.

Eine uͤbermaͤßige Kenntnis faſt von allen Kuͤnſten
beſas ehedem Sarpius (e) Leibniz, und in einer an-
dern Art Magliabeccchi (f), welcher ganze, verlohren
gegangne Buͤcher andren in die Feder diktiren konnte.

Zu einem dauerhaften Gedaͤchtniſſe, gehoͤren die Exem-
pel dererjenigen Perſonen, welche nichts von alle demje-
nigen vergeſſen haben ſollen, was ſie wuſten, als Sar-
pius
(g) Lorenz Bonincontrins (h) und Blaſius Paſ-
kal,
welches ich in dem Verſtande nehme, daß man
darunter Dinge verſtehe, welche werth ſind, behalten zu
werden.

Es iſt gewis, daß die Kunſt und Ordnung (i) hierzu
viel beitragen kann: nicht diejenige uͤbertriebne Kunſt,
welche P Ravenna, oder Paepius oder andre lehren;
ſondern dieſes kann mit Huͤlfe der Zeichen, der Uebung
(k), und der Wiederholung geſchehen. Mein Vortheil
beſtand von der erſten Jugend an darinnen, daß ich merk-
wuͤrdige Dinge, wenn ich ſie las, auf Pappier ſchrieb,
und dieſe oͤfters in eine Ordnung, Klaſſen und Arten ein-
theilte: nachgehens, wenn ich mich derſelben bedienen woll-
te, auf das genauſte bei einem jedweden Theile meiner
Arbeit anbrachte. Dadurch habe ich zwar nicht erhalten,
daß mein Gedaͤchtnis vortreflich geworden, aber doch ſo
viel, daß ich weniger davon, was ich gelernt hatte, ver-
geſſen.

Diejenigen haben ein ſchlechtes Gedaͤchtnis, welche
die Zeichen auſſer Acht laſſen. Ein zehnjaͤhriger Knabe,
welcher unter den Baͤren erzogen war, hatte gar kein Ge-
daͤchtnis (l). Ein Maͤdchen, welches man in einer Ein-

oͤde
(e) [Spaltenumbruch] Vira p. 38. dieſer hatte ein
ſcharf Geſicht, und Gefuͤhl p. 37.
(f) Jn deſſen vita.
(g) L. c.
(h) CARDAN ſubtil. L. XII.
(i) Ars memorial hat SIMONI-
DES
geſchrieben & METRODO-
[Spaltenumbruch] RUS, SCIPSIUS
bei dem PLINIUS
L. VII. c.
24.
(k) PELSHOVER, WOLF l. c.
p.
134.
(l) CONDILLAC des ſenſat.
H. p.
225.
H. Phiſiol. 5. B. Y y y
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f1091" n="1073"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Ab&#x017F;chnitt. Der Ver&#x017F;tand.</hi> </fw><lb/>
            <p>Eine u&#x0364;berma&#x0364;ßige Kenntnis fa&#x017F;t von allen Ku&#x0364;n&#x017F;ten<lb/>
be&#x017F;as ehedem <hi rendition="#fr">Sarpius</hi> <note place="foot" n="(e)"><cb/><hi rendition="#aq">Vira p.</hi> 38. die&#x017F;er hatte ein<lb/>
&#x017F;charf Ge&#x017F;icht, und Gefu&#x0364;hl <hi rendition="#aq">p.</hi> 37.</note> <hi rendition="#fr">Leibniz,</hi> und in einer an-<lb/>
dern Art <hi rendition="#fr">Magliabeccchi</hi> <note place="foot" n="(f)">Jn de&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq">vita.</hi></note>, welcher ganze, verlohren<lb/>
gegangne Bu&#x0364;cher andren in die Feder diktiren konnte.</p><lb/>
            <p>Zu einem dauerhaften Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e, geho&#x0364;ren die Exem-<lb/>
pel dererjenigen Per&#x017F;onen, welche nichts von alle demje-<lb/>
nigen verge&#x017F;&#x017F;en haben &#x017F;ollen, was &#x017F;ie wu&#x017F;ten, als <hi rendition="#fr">Sar-<lb/>
pius</hi> <note place="foot" n="(g)"><hi rendition="#aq">L. c.</hi></note> Lorenz <hi rendition="#fr">Bonincontrins</hi> <note place="foot" n="(h)"><hi rendition="#aq">CARDAN &#x017F;ubtil. L. XII.</hi></note> und Bla&#x017F;ius <hi rendition="#fr">Pa&#x017F;-<lb/>
kal,</hi> welches ich in dem Ver&#x017F;tande nehme, daß man<lb/>
darunter Dinge ver&#x017F;tehe, welche werth &#x017F;ind, behalten zu<lb/>
werden.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t gewis, daß die Kun&#x017F;t und Ordnung <note place="foot" n="(i)"><hi rendition="#aq">Ars memorial</hi> hat <hi rendition="#aq">SIMONI-<lb/>
DES</hi> ge&#x017F;chrieben <hi rendition="#aq">&amp; METRODO-<lb/><cb/>
RUS, SCIPSIUS</hi> bei dem <hi rendition="#aq">PLINIUS<lb/>
L. VII. c.</hi> 24.</note> hierzu<lb/>
viel beitragen kann: nicht diejenige u&#x0364;bertriebne Kun&#x017F;t,<lb/>
welche P <hi rendition="#fr">Ravenna,</hi> oder <hi rendition="#fr">Paepius</hi> oder andre lehren;<lb/>
&#x017F;ondern die&#x017F;es kann mit Hu&#x0364;lfe der Zeichen, der Uebung<lb/><note place="foot" n="(k)"><hi rendition="#aq">PELSHOVER, WOLF l. c.<lb/>
p.</hi> 134.</note>, und der Wiederholung ge&#x017F;chehen. Mein Vortheil<lb/>
be&#x017F;tand von der er&#x017F;ten Jugend an darinnen, daß ich merk-<lb/>
wu&#x0364;rdige Dinge, wenn ich &#x017F;ie las, auf Pappier &#x017F;chrieb,<lb/>
und die&#x017F;e o&#x0364;fters in eine Ordnung, Kla&#x017F;&#x017F;en und Arten ein-<lb/>
theilte: nachgehens, wenn ich mich der&#x017F;elben bedienen woll-<lb/>
te, auf das genau&#x017F;te bei einem jedweden Theile meiner<lb/>
Arbeit anbrachte. Dadurch habe ich zwar nicht erhalten,<lb/>
daß mein Geda&#x0364;chtnis vortreflich geworden, aber doch &#x017F;o<lb/>
viel, daß ich weniger davon, was ich gelernt hatte, ver-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Diejenigen haben ein &#x017F;chlechtes Geda&#x0364;chtnis, welche<lb/>
die Zeichen au&#x017F;&#x017F;er Acht la&#x017F;&#x017F;en. Ein zehnja&#x0364;hriger Knabe,<lb/>
welcher unter den Ba&#x0364;ren erzogen war, hatte gar kein Ge-<lb/>
da&#x0364;chtnis <note place="foot" n="(l)"><hi rendition="#aq">CONDILLAC des &#x017F;en&#x017F;at.<lb/>
H. p.</hi> 225.</note>. Ein Ma&#x0364;dchen, welches man in einer Ein-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">o&#x0364;de</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">H. Phi&#x017F;iol. 5. B.</hi> Y y y</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1073/1091] I. Abſchnitt. Der Verſtand. Eine uͤbermaͤßige Kenntnis faſt von allen Kuͤnſten beſas ehedem Sarpius (e) Leibniz, und in einer an- dern Art Magliabeccchi (f), welcher ganze, verlohren gegangne Buͤcher andren in die Feder diktiren konnte. Zu einem dauerhaften Gedaͤchtniſſe, gehoͤren die Exem- pel dererjenigen Perſonen, welche nichts von alle demje- nigen vergeſſen haben ſollen, was ſie wuſten, als Sar- pius (g) Lorenz Bonincontrins (h) und Blaſius Paſ- kal, welches ich in dem Verſtande nehme, daß man darunter Dinge verſtehe, welche werth ſind, behalten zu werden. Es iſt gewis, daß die Kunſt und Ordnung (i) hierzu viel beitragen kann: nicht diejenige uͤbertriebne Kunſt, welche P Ravenna, oder Paepius oder andre lehren; ſondern dieſes kann mit Huͤlfe der Zeichen, der Uebung (k), und der Wiederholung geſchehen. Mein Vortheil beſtand von der erſten Jugend an darinnen, daß ich merk- wuͤrdige Dinge, wenn ich ſie las, auf Pappier ſchrieb, und dieſe oͤfters in eine Ordnung, Klaſſen und Arten ein- theilte: nachgehens, wenn ich mich derſelben bedienen woll- te, auf das genauſte bei einem jedweden Theile meiner Arbeit anbrachte. Dadurch habe ich zwar nicht erhalten, daß mein Gedaͤchtnis vortreflich geworden, aber doch ſo viel, daß ich weniger davon, was ich gelernt hatte, ver- geſſen. Diejenigen haben ein ſchlechtes Gedaͤchtnis, welche die Zeichen auſſer Acht laſſen. Ein zehnjaͤhriger Knabe, welcher unter den Baͤren erzogen war, hatte gar kein Ge- daͤchtnis (l). Ein Maͤdchen, welches man in einer Ein- oͤde (e) Vira p. 38. dieſer hatte ein ſcharf Geſicht, und Gefuͤhl p. 37. (f) Jn deſſen vita. (g) L. c. (h) CARDAN ſubtil. L. XII. (i) Ars memorial hat SIMONI- DES geſchrieben & METRODO- RUS, SCIPSIUS bei dem PLINIUS L. VII. c. 24. (k) PELSHOVER, WOLF l. c. p. 134. (l) CONDILLAC des ſenſat. H. p. 225. H. Phiſiol. 5. B. Y y y

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1091
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1073. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1091>, abgerufen am 31.05.2024.