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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065-1075).
doch kaum gegen die Größe des Mannes sprechen, der seine ge-
waltigen Kräfte dafür einsetzte, und wenn man sein Pontifikat eine
"Kette von Niederlagen" nennt, so sollte man einerseits die vor-
aufgehenden Erfolge des Papsttums in Betracht ziehen, an denen
bereits Hildebrand ein bedeutsamer Anteil zukommt, und anderer-
seits erwägen, daß die Wirkung solcher "Durchbruchsmenschen", wie
Gregor war und sein wollte, nicht mit ihrem Leben abgeschlossen
ist, sondern oft erst mit ihrem Tode in vervielfältigter Stärke be-
ginnt. So dürfte es bei dem Urteile Rankes bleiben, der Gregor
"vielleicht die größte kirchenpolitische Erscheinung" nennt, "die
jemals vorgekommen ist".

Übrigens fehlt es bei aller Leidenschaft des Vorwärtsstürmens
keineswegs an Zügen kalter Berechnung, feinster Ausnutzung der
Parteigegensätze in den einzelnen Staaten und opportunistischer Be-
handlung der Angelegenheiten, wie sie etwa in dem ganz ver-
schiedenen Verhalten England und dem deutschen Reiche gegen-
über zutage tritt. Auch ergingen die großen Maßnahmen der
gregorianischen Politik zwar Schlag auf Schlag, aber nicht eigentlich
willkürlich und sprunghaft. Auf die Befreiung und Erstarkung des
Papsttums erfolgte zunächst der Versuch, den Klerus durch Ver-
wirklichung des Zölibats und Verbot der Simonie aus den Banden
der Weltlichkeit zu lösen. Erst als die Durchführung im Rahmen
der bisherigen Verbände sich als unmöglich herausstellte, schritt
Gregor zur Niederreißung der alten Kirchenverfassung, indem er
die Rechte von Metropoliten und Provinzialsynoden beiseite schob,
die Bischöfe zu unbedingt abhängigen Dienern des Papstes herab-
zudrücken und über sie hinweg direkt in die Diözesen einzugreifen
strebte. Eben die Absicht aber, Einfluß auf die Einsetzung der
Bischöfe zu gewinnen und zugleich das Kirchengut von den Eigen-
tumsansprüchen der Laien zu befreien, führte zum Verbot der
Laieninvestitur, das nun der Anlaß zu dem großen Kampf mit den
staatlichen Gewalten, insbesondere mit dem Kaisertum wurde, --
der Anlaß, denn die eigentlichen Gründe lagen tiefer, der "In-
vestiturstreit" wuchs zu einem Kampf um die Weltherrschaft. Der
absolute Leiter der Kirche strebte nun ganz offen nach der Ober-
gewalt über die weltlichen Reiche, die ihm ihrem Wesen nach nur
als Äußerungen des widergöttlichen Prinzips galten und ihre Be-
rechtigung nur durch Unterordnung unter die Lehensgewalt der
Kirche erhielten. Es ist bekannt, wie er solche Hoheitsrechte den
süditalischen Normannen, dem deutschen Gegenkönigtum, Dänemark,
Rußland, Dalmatien, der Provence gegenüber zur Anerkennung
brachte, wie er ähnliche Ansprüche auf England, Spanien, Ungarn,
Böhmen, Sachsen, Sardinien, Corsica, Teile Mittelitaliens und in der

§ 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065‒1075).
doch kaum gegen die Größe des Mannes sprechen, der seine ge-
waltigen Kräfte dafür einsetzte, und wenn man sein Pontifikat eine
„Kette von Niederlagen“ nennt, so sollte man einerseits die vor-
aufgehenden Erfolge des Papsttums in Betracht ziehen, an denen
bereits Hildebrand ein bedeutsamer Anteil zukommt, und anderer-
seits erwägen, daß die Wirkung solcher „Durchbruchsmenschen“, wie
Gregor war und sein wollte, nicht mit ihrem Leben abgeschlossen
ist, sondern oft erst mit ihrem Tode in vervielfältigter Stärke be-
ginnt. So dürfte es bei dem Urteile Rankes bleiben, der Gregor
„vielleicht die größte kirchenpolitische Erscheinung“ nennt, „die
jemals vorgekommen ist“.

Übrigens fehlt es bei aller Leidenschaft des Vorwärtsstürmens
keineswegs an Zügen kalter Berechnung, feinster Ausnutzung der
Parteigegensätze in den einzelnen Staaten und opportunistischer Be-
handlung der Angelegenheiten, wie sie etwa in dem ganz ver-
schiedenen Verhalten England und dem deutschen Reiche gegen-
über zutage tritt. Auch ergingen die großen Maßnahmen der
gregorianischen Politik zwar Schlag auf Schlag, aber nicht eigentlich
willkürlich und sprunghaft. Auf die Befreiung und Erstarkung des
Papsttums erfolgte zunächst der Versuch, den Klerus durch Ver-
wirklichung des Zölibats und Verbot der Simonie aus den Banden
der Weltlichkeit zu lösen. Erst als die Durchführung im Rahmen
der bisherigen Verbände sich als unmöglich herausstellte, schritt
Gregor zur Niederreißung der alten Kirchenverfassung, indem er
die Rechte von Metropoliten und Provinzialsynoden beiseite schob,
die Bischöfe zu unbedingt abhängigen Dienern des Papstes herab-
zudrücken und über sie hinweg direkt in die Diözesen einzugreifen
strebte. Eben die Absicht aber, Einfluß auf die Einsetzung der
Bischöfe zu gewinnen und zugleich das Kirchengut von den Eigen-
tumsansprüchen der Laien zu befreien, führte zum Verbot der
Laieninvestitur, das nun der Anlaß zu dem großen Kampf mit den
staatlichen Gewalten, insbesondere mit dem Kaisertum wurde, —
der Anlaß, denn die eigentlichen Gründe lagen tiefer, der „In-
vestiturstreit“ wuchs zu einem Kampf um die Weltherrschaft. Der
absolute Leiter der Kirche strebte nun ganz offen nach der Ober-
gewalt über die weltlichen Reiche, die ihm ihrem Wesen nach nur
als Äußerungen des widergöttlichen Prinzips galten und ihre Be-
rechtigung nur durch Unterordnung unter die Lehensgewalt der
Kirche erhielten. Es ist bekannt, wie er solche Hoheitsrechte den
süditalischen Normannen, dem deutschen Gegenkönigtum, Dänemark,
Rußland, Dalmatien, der Provence gegenüber zur Anerkennung
brachte, wie er ähnliche Ansprüche auf England, Spanien, Ungarn,
Böhmen, Sachsen, Sardinien, Corsica, Teile Mittelitaliens und in der

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[45/0053] § 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065‒1075). doch kaum gegen die Größe des Mannes sprechen, der seine ge- waltigen Kräfte dafür einsetzte, und wenn man sein Pontifikat eine „Kette von Niederlagen“ nennt, so sollte man einerseits die vor- aufgehenden Erfolge des Papsttums in Betracht ziehen, an denen bereits Hildebrand ein bedeutsamer Anteil zukommt, und anderer- seits erwägen, daß die Wirkung solcher „Durchbruchsmenschen“, wie Gregor war und sein wollte, nicht mit ihrem Leben abgeschlossen ist, sondern oft erst mit ihrem Tode in vervielfältigter Stärke be- ginnt. So dürfte es bei dem Urteile Rankes bleiben, der Gregor „vielleicht die größte kirchenpolitische Erscheinung“ nennt, „die jemals vorgekommen ist“. Übrigens fehlt es bei aller Leidenschaft des Vorwärtsstürmens keineswegs an Zügen kalter Berechnung, feinster Ausnutzung der Parteigegensätze in den einzelnen Staaten und opportunistischer Be- handlung der Angelegenheiten, wie sie etwa in dem ganz ver- schiedenen Verhalten England und dem deutschen Reiche gegen- über zutage tritt. Auch ergingen die großen Maßnahmen der gregorianischen Politik zwar Schlag auf Schlag, aber nicht eigentlich willkürlich und sprunghaft. Auf die Befreiung und Erstarkung des Papsttums erfolgte zunächst der Versuch, den Klerus durch Ver- wirklichung des Zölibats und Verbot der Simonie aus den Banden der Weltlichkeit zu lösen. Erst als die Durchführung im Rahmen der bisherigen Verbände sich als unmöglich herausstellte, schritt Gregor zur Niederreißung der alten Kirchenverfassung, indem er die Rechte von Metropoliten und Provinzialsynoden beiseite schob, die Bischöfe zu unbedingt abhängigen Dienern des Papstes herab- zudrücken und über sie hinweg direkt in die Diözesen einzugreifen strebte. Eben die Absicht aber, Einfluß auf die Einsetzung der Bischöfe zu gewinnen und zugleich das Kirchengut von den Eigen- tumsansprüchen der Laien zu befreien, führte zum Verbot der Laieninvestitur, das nun der Anlaß zu dem großen Kampf mit den staatlichen Gewalten, insbesondere mit dem Kaisertum wurde, — der Anlaß, denn die eigentlichen Gründe lagen tiefer, der „In- vestiturstreit“ wuchs zu einem Kampf um die Weltherrschaft. Der absolute Leiter der Kirche strebte nun ganz offen nach der Ober- gewalt über die weltlichen Reiche, die ihm ihrem Wesen nach nur als Äußerungen des widergöttlichen Prinzips galten und ihre Be- rechtigung nur durch Unterordnung unter die Lehensgewalt der Kirche erhielten. Es ist bekannt, wie er solche Hoheitsrechte den süditalischen Normannen, dem deutschen Gegenkönigtum, Dänemark, Rußland, Dalmatien, der Provence gegenüber zur Anerkennung brachte, wie er ähnliche Ansprüche auf England, Spanien, Ungarn, Böhmen, Sachsen, Sardinien, Corsica, Teile Mittelitaliens und in der

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/53>, abgerufen am 29.04.2024.