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Hartmann, Moritz: Das Schloß im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [221]–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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der Bediente, der mit ihm war, warf mich mit seinem Pferde um. Darauf ritten Beide im Galopp weiter. Ich war beschämt und ergrimmt, Louison, die ich so sehr lieb hatte und die meinem Schutze empfohlen war, vor mir mißhandelt zu sehen, ohne helfen und sie rächen zu können. Thränen der Wuth stürzten aus meinen Augen, während auch meine Mutter weinte; aber Louison tröstete uns. Wir gehen jetzt in die Welt, sagte sie, und ich schwöre es, wir wollen es noch dahin bringen, daß wir den bösen Marquis aus seinem Schlosse drängen; dann wollen wir ihn an die Schläge erinnern. -- Ach, es war eine starke Seele, meine Louison, und mein Lebenlang hat sie mehr mich beschützt, als ich sie.

Ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir aus Furcht vor der Guillotine, die übrigens damals gar nicht mehr arbeitete, nicht nach Paris, sondern nach Genf gingen. In der bewußten Platane schlief ich nicht allein, sondern mit Louison. Als die Noth groß wurde, sagte Louison: Ach, wer wird sich auch vor der Guillotine fürchten; die schlägt nur Aristokraten den Kopf ab. Wir sind keine Aristokraten, gehen wir nach Paris. Und so gingen wir nach Paris.

Die damalige Welt hatte wenig für Savoyarden übrig, und es ging uns herzlich schlecht. Ich wäre wohl zehnmal verhungert, wenn mir nicht Louison immer ein Stück Brod zu verschaffen gewußt hätte; ihren schönen, braunen Augen konnte Niemand wider-

der Bediente, der mit ihm war, warf mich mit seinem Pferde um. Darauf ritten Beide im Galopp weiter. Ich war beschämt und ergrimmt, Louison, die ich so sehr lieb hatte und die meinem Schutze empfohlen war, vor mir mißhandelt zu sehen, ohne helfen und sie rächen zu können. Thränen der Wuth stürzten aus meinen Augen, während auch meine Mutter weinte; aber Louison tröstete uns. Wir gehen jetzt in die Welt, sagte sie, und ich schwöre es, wir wollen es noch dahin bringen, daß wir den bösen Marquis aus seinem Schlosse drängen; dann wollen wir ihn an die Schläge erinnern. — Ach, es war eine starke Seele, meine Louison, und mein Lebenlang hat sie mehr mich beschützt, als ich sie.

Ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir aus Furcht vor der Guillotine, die übrigens damals gar nicht mehr arbeitete, nicht nach Paris, sondern nach Genf gingen. In der bewußten Platane schlief ich nicht allein, sondern mit Louison. Als die Noth groß wurde, sagte Louison: Ach, wer wird sich auch vor der Guillotine fürchten; die schlägt nur Aristokraten den Kopf ab. Wir sind keine Aristokraten, gehen wir nach Paris. Und so gingen wir nach Paris.

Die damalige Welt hatte wenig für Savoyarden übrig, und es ging uns herzlich schlecht. Ich wäre wohl zehnmal verhungert, wenn mir nicht Louison immer ein Stück Brod zu verschaffen gewußt hätte; ihren schönen, braunen Augen konnte Niemand wider-

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[0025] der Bediente, der mit ihm war, warf mich mit seinem Pferde um. Darauf ritten Beide im Galopp weiter. Ich war beschämt und ergrimmt, Louison, die ich so sehr lieb hatte und die meinem Schutze empfohlen war, vor mir mißhandelt zu sehen, ohne helfen und sie rächen zu können. Thränen der Wuth stürzten aus meinen Augen, während auch meine Mutter weinte; aber Louison tröstete uns. Wir gehen jetzt in die Welt, sagte sie, und ich schwöre es, wir wollen es noch dahin bringen, daß wir den bösen Marquis aus seinem Schlosse drängen; dann wollen wir ihn an die Schläge erinnern. — Ach, es war eine starke Seele, meine Louison, und mein Lebenlang hat sie mehr mich beschützt, als ich sie. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir aus Furcht vor der Guillotine, die übrigens damals gar nicht mehr arbeitete, nicht nach Paris, sondern nach Genf gingen. In der bewußten Platane schlief ich nicht allein, sondern mit Louison. Als die Noth groß wurde, sagte Louison: Ach, wer wird sich auch vor der Guillotine fürchten; die schlägt nur Aristokraten den Kopf ab. Wir sind keine Aristokraten, gehen wir nach Paris. Und so gingen wir nach Paris. Die damalige Welt hatte wenig für Savoyarden übrig, und es ging uns herzlich schlecht. Ich wäre wohl zehnmal verhungert, wenn mir nicht Louison immer ein Stück Brod zu verschaffen gewußt hätte; ihren schönen, braunen Augen konnte Niemand wider-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:58:35Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:58:35Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Hartmann, Moritz: Das Schloß im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [221]–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartmann_gebirge_1910/25>, abgerufen am 29.04.2024.