Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

Durch den Gotthard allein ... es war
wirklich eine Tortur durch den Gotthard zu
fahren: da zu sitzen, beim Scheine eines zuckenden
Lämpchens, mit dem Bewußtsein, diese unge¬
heure Steinmasse über sich zu haben. Dazu
dieses markdurchschütternde Konzert von Ge¬
räuschen im Ohr. Es war eine Tortur, es war
zum Verrücktwerden! In einen Zustand war
er hineingeraten, in eine Angst, kaum zu glauben.
Wenn das nahe Rauschen so zurücksank und
dann wieder daherkam, daherfuhr wie die ganze
Hölle und so tosend wurde, daß es alles in
einem förmlich zerschlug. . . . Nie und nimmer
würde er nochmals durch den Gotthard fahren!

Man hatte nur einen Kopf. Wenn der
einmal aufgestört war -- der Bienenschwarm
da drinnen -- da mochte der Teufel wieder
Ruhe schaffen: Alles brach durch seine Grenzen,
verlor die natürlichen Dimensionen, dehnte sich
hoch auf und hatte einen eigenen Willen.

Die Nacht hatte es ihn noch geplagt, nun
sollte es damit ein Ende haben. Der kalte,
klare Morgen mußte das Seinige thun. Übrigens
würde er von hier ab nach Deutschland hinein
zu Fuße reisen.

Er wusch sich und zog die Kleider über.

Durch den Gotthard allein ... es war
wirklich eine Tortur durch den Gotthard zu
fahren: da zu ſitzen, beim Scheine eines zuckenden
Lämpchens, mit dem Bewußtſein, dieſe unge¬
heure Steinmaſſe über ſich zu haben. Dazu
dieſes markdurchſchütternde Konzert von Ge¬
räuſchen im Ohr. Es war eine Tortur, es war
zum Verrücktwerden! In einen Zuſtand war
er hineingeraten, in eine Angſt, kaum zu glauben.
Wenn das nahe Rauſchen ſo zurückſank und
dann wieder daherkam, daherfuhr wie die ganze
Hölle und ſo toſend wurde, daß es alles in
einem förmlich zerſchlug. . . . Nie und nimmer
würde er nochmals durch den Gotthard fahren!

Man hatte nur einen Kopf. Wenn der
einmal aufgeſtört war — der Bienenſchwarm
da drinnen — da mochte der Teufel wieder
Ruhe ſchaffen: Alles brach durch ſeine Grenzen,
verlor die natürlichen Dimenſionen, dehnte ſich
hoch auf und hatte einen eigenen Willen.

Die Nacht hatte es ihn noch geplagt, nun
ſollte es damit ein Ende haben. Der kalte,
klare Morgen mußte das Seinige thun. Übrigens
würde er von hier ab nach Deutſchland hinein
zu Fuße reiſen.

Er wuſch ſich und zog die Kleider über.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0080" n="66"/>
          <p>Durch den Gotthard allein ... es war<lb/>
wirklich eine Tortur durch den Gotthard zu<lb/>
fahren: da zu &#x017F;itzen, beim Scheine eines zuckenden<lb/>
Lämpchens, mit dem Bewußt&#x017F;ein, die&#x017F;e unge¬<lb/>
heure Steinma&#x017F;&#x017F;e über &#x017F;ich zu haben. Dazu<lb/>
die&#x017F;es markdurch&#x017F;chütternde Konzert von Ge¬<lb/>
räu&#x017F;chen im Ohr. Es war eine Tortur, es war<lb/>
zum Verrücktwerden! In einen Zu&#x017F;tand war<lb/>
er hineingeraten, in eine Ang&#x017F;t, kaum zu glauben.<lb/>
Wenn das nahe Rau&#x017F;chen &#x017F;o zurück&#x017F;ank und<lb/>
dann wieder daherkam, daherfuhr wie die ganze<lb/>
Hölle und &#x017F;o to&#x017F;end wurde, daß es alles in<lb/>
einem förmlich zer&#x017F;chlug. . . . Nie und nimmer<lb/>
würde er nochmals durch den Gotthard fahren!</p><lb/>
          <p>Man hatte nur einen Kopf. Wenn der<lb/>
einmal aufge&#x017F;tört war &#x2014; der Bienen&#x017F;chwarm<lb/>
da drinnen &#x2014; da mochte der Teufel wieder<lb/>
Ruhe &#x017F;chaffen: Alles brach durch &#x017F;eine Grenzen,<lb/>
verlor die natürlichen Dimen&#x017F;ionen, dehnte &#x017F;ich<lb/>
hoch auf und hatte einen eigenen Willen.</p><lb/>
          <p>Die Nacht hatte es ihn noch geplagt, nun<lb/>
&#x017F;ollte es damit ein Ende haben. Der kalte,<lb/>
klare Morgen mußte das Seinige thun. Übrigens<lb/>
würde er von hier ab nach Deut&#x017F;chland hinein<lb/>
zu Fuße rei&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Er wu&#x017F;ch &#x017F;ich und zog die Kleider über.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0080] Durch den Gotthard allein ... es war wirklich eine Tortur durch den Gotthard zu fahren: da zu ſitzen, beim Scheine eines zuckenden Lämpchens, mit dem Bewußtſein, dieſe unge¬ heure Steinmaſſe über ſich zu haben. Dazu dieſes markdurchſchütternde Konzert von Ge¬ räuſchen im Ohr. Es war eine Tortur, es war zum Verrücktwerden! In einen Zuſtand war er hineingeraten, in eine Angſt, kaum zu glauben. Wenn das nahe Rauſchen ſo zurückſank und dann wieder daherkam, daherfuhr wie die ganze Hölle und ſo toſend wurde, daß es alles in einem förmlich zerſchlug. . . . Nie und nimmer würde er nochmals durch den Gotthard fahren! Man hatte nur einen Kopf. Wenn der einmal aufgeſtört war — der Bienenſchwarm da drinnen — da mochte der Teufel wieder Ruhe ſchaffen: Alles brach durch ſeine Grenzen, verlor die natürlichen Dimenſionen, dehnte ſich hoch auf und hatte einen eigenen Willen. Die Nacht hatte es ihn noch geplagt, nun ſollte es damit ein Ende haben. Der kalte, klare Morgen mußte das Seinige thun. Übrigens würde er von hier ab nach Deutſchland hinein zu Fuße reiſen. Er wuſch ſich und zog die Kleider über.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/80
Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/80>, abgerufen am 29.04.2024.