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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827.

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und immer die alte Melodie. Das Kasparlied
und der Jägerchor wird wohl dann und wann
von einem illuminirten Studenten oder Fähndrich,
zur Abwechselung, in das Gesumme hineingebrüllt,
aber der Jungfernkranz ist permanent; wenn der
Eine ihn beendigt hat, fängt ihn der Andere
wieder von vorn an; aus allen Häusern klingt
er mir entgegen; Jeder pfeift ihn mit eigenen
Variationen; ja, ich glaube fast, die Hunde auf
der Straße bellen ihn.

Wie ein zu Tode gehetzter Rehbock lege ich
Abends mein Haupt auf den Schooß der schönsten
Borussin; sie streichelt mir zärtlich das borstige
Haar, lispelt mir ins Ohr: "Ich liebe dir, und
deine Lawise wird dich ohch immer juht sint," und
sie streichelt und hätschelt so lange, bis sie glaubt,
daß ich am Einschlummern sey, und sie ergreift
leise "die Katharre" und spielt und singt "die
Kravatte" aus Tankred: "Nach so viel Leiden,"
und ich ruhe aus nach so vielen Leiden, und liebe

und immer die alte Melodie. Das Kasparlied
und der Jaͤgerchor wird wohl dann und wann
von einem illuminirten Studenten oder Faͤhndrich,
zur Abwechſelung, in das Geſumme hineingebruͤllt,
aber der Jungfernkranz iſt permanent; wenn der
Eine ihn beendigt hat, faͤngt ihn der Andere
wieder von vorn an; aus allen Haͤuſern klingt
er mir entgegen; Jeder pfeift ihn mit eigenen
Variationen; ja, ich glaube faſt, die Hunde auf
der Straße bellen ihn.

Wie ein zu Tode gehetzter Rehbock lege ich
Abends mein Haupt auf den Schooß der ſchoͤnſten
Boruſſin; ſie ſtreichelt mir zaͤrtlich das borſtige
Haar, lispelt mir ins Ohr: „Ich liebe dir, und
deine Lawiſe wird dich ohch immer juht ſint,“ und
ſie ſtreichelt und haͤtſchelt ſo lange, bis ſie glaubt,
daß ich am Einſchlummern ſey, und ſie ergreift
leiſe „die Katharre“ und ſpielt und ſingt „die
Kravatte“ aus Tankred: „Nach ſo viel Leiden,“
und ich ruhe aus nach ſo vielen Leiden, und liebe

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[307/0315] und immer die alte Melodie. Das Kasparlied und der Jaͤgerchor wird wohl dann und wann von einem illuminirten Studenten oder Faͤhndrich, zur Abwechſelung, in das Geſumme hineingebruͤllt, aber der Jungfernkranz iſt permanent; wenn der Eine ihn beendigt hat, faͤngt ihn der Andere wieder von vorn an; aus allen Haͤuſern klingt er mir entgegen; Jeder pfeift ihn mit eigenen Variationen; ja, ich glaube faſt, die Hunde auf der Straße bellen ihn. Wie ein zu Tode gehetzter Rehbock lege ich Abends mein Haupt auf den Schooß der ſchoͤnſten Boruſſin; ſie ſtreichelt mir zaͤrtlich das borſtige Haar, lispelt mir ins Ohr: „Ich liebe dir, und deine Lawiſe wird dich ohch immer juht ſint,“ und ſie ſtreichelt und haͤtſchelt ſo lange, bis ſie glaubt, daß ich am Einſchlummern ſey, und ſie ergreift leiſe „die Katharre“ und ſpielt und ſingt „die Kravatte“ aus Tankred: „Nach ſo viel Leiden,“ und ich ruhe aus nach ſo vielen Leiden, und liebe

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 2. Hamburg, 1827, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder02_1827/315>, abgerufen am 26.04.2024.