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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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Auch rathe ich dir, mein lieber Leser, von Ve¬
rona nach Mayland nicht mit dem Postwagen
zu fahren.

Ich fuhr, in Gesellschaft von sechs Banditen,
in einer schwerfälligen Carrozza, die, wegen des
allzugewaltigen Staubes, von allen Seiten so
sorgfältig verschlossen wurde, daß ich von der
Schönheit der Gegend wenig bemerken konnte.
Nur zweymal, ehe wir Brescia erreichten, lüf¬
tete mein Nachbar das Seitenleder, um hinaus
zu spucken. Das eine mal sah ich nichts als
einige schwitzende Tannen, die in ihren grünen
Winterröcken von der schwülen Sonnenhitze sehr
zu leiden schienen; das andere mal sah ich ein
Stück von einem wunderklaren blauen See,
worin die Sonne und ein magerer Grenadier
sich spiegelten. Letzterer, ein östreichischer Nar¬
ziß, bewunderte mit kindischer Freude, wie sein
Spiegelbild ihm alles getreu nachmachte, wenn

Auch rathe ich dir, mein lieber Leſer, von Ve¬
rona nach Mayland nicht mit dem Poſtwagen
zu fahren.

Ich fuhr, in Geſellſchaft von ſechs Banditen,
in einer ſchwerfaͤlligen Carrozza, die, wegen des
allzugewaltigen Staubes, von allen Seiten ſo
ſorgfaͤltig verſchloſſen wurde, daß ich von der
Schoͤnheit der Gegend wenig bemerken konnte.
Nur zweymal, ehe wir Brescia erreichten, luͤf¬
tete mein Nachbar das Seitenleder, um hinaus
zu ſpucken. Das eine mal ſah ich nichts als
einige ſchwitzende Tannen, die in ihren gruͤnen
Winterroͤcken von der ſchwuͤlen Sonnenhitze ſehr
zu leiden ſchienen; das andere mal ſah ich ein
Stuͤck von einem wunderklaren blauen See,
worin die Sonne und ein magerer Grenadier
ſich ſpiegelten. Letzterer, ein oͤſtreichiſcher Nar¬
ziß, bewunderte mit kindiſcher Freude, wie ſein
Spiegelbild ihm alles getreu nachmachte, wenn

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[160/0168] Auch rathe ich dir, mein lieber Leſer, von Ve¬ rona nach Mayland nicht mit dem Poſtwagen zu fahren. Ich fuhr, in Geſellſchaft von ſechs Banditen, in einer ſchwerfaͤlligen Carrozza, die, wegen des allzugewaltigen Staubes, von allen Seiten ſo ſorgfaͤltig verſchloſſen wurde, daß ich von der Schoͤnheit der Gegend wenig bemerken konnte. Nur zweymal, ehe wir Brescia erreichten, luͤf¬ tete mein Nachbar das Seitenleder, um hinaus zu ſpucken. Das eine mal ſah ich nichts als einige ſchwitzende Tannen, die in ihren gruͤnen Winterroͤcken von der ſchwuͤlen Sonnenhitze ſehr zu leiden ſchienen; das andere mal ſah ich ein Stuͤck von einem wunderklaren blauen See, worin die Sonne und ein magerer Grenadier ſich ſpiegelten. Letzterer, ein oͤſtreichiſcher Nar¬ ziß, bewunderte mit kindiſcher Freude, wie ſein Spiegelbild ihm alles getreu nachmachte, wenn

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/168>, abgerufen am 28.04.2024.