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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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Der leidende Gesichtsausdruck wird bei den
Italienern am sichtbarsten, wenn man mit ihnen
vom Unglück ihres Vaterlandes spricht, und dazu
giebts in Mayland genug Gelegenheit. Das ist die
schmerzlichste Wunde in der Brust der Italiener,
und sie zucken zusammen, sobald man diese nur leise
berührt. Sie haben alsdann eine Bewegung
der Achsel, die uns mit sonderbarem Mitleid
erfüllt. Einer meiner Britten hielt die Italiener
für politisch indifferent, weil sie gleichgültig zuzu¬
hören schienen, wenn wir Fremde über die katho¬
lische Emanzipazion und den Türkenkrieg politi¬
sirten; und er war ungerecht genug, gegen einen
blassen Italiener mit pechschwarzem Barte sich
darüber spöttisch zu äußern. Wir hatten den
Abend vorher eine neue Oper in der Scala auf¬
führen sehen, und den Mordspecktakel gehört,
der, wie gebräuchlich, bey solchen Anlässen statt
findet. Ihr Italiener, sagte der Britte zu dem
Blassen, scheint für alles abgestorben zu seyn,

Der leidende Geſichtsausdruck wird bei den
Italienern am ſichtbarſten, wenn man mit ihnen
vom Ungluͤck ihres Vaterlandes ſpricht, und dazu
giebts in Mayland genug Gelegenheit. Das iſt die
ſchmerzlichſte Wunde in der Bruſt der Italiener,
und ſie zucken zuſammen, ſobald man dieſe nur leiſe
beruͤhrt. Sie haben alsdann eine Bewegung
der Achſel, die uns mit ſonderbarem Mitleid
erfuͤllt. Einer meiner Britten hielt die Italiener
fuͤr politiſch indifferent, weil ſie gleichguͤltig zuzu¬
hoͤren ſchienen, wenn wir Fremde uͤber die katho¬
liſche Emanzipazion und den Tuͤrkenkrieg politi¬
ſirten; und er war ungerecht genug, gegen einen
blaſſen Italiener mit pechſchwarzem Barte ſich
daruͤber ſpoͤttiſch zu aͤußern. Wir hatten den
Abend vorher eine neue Oper in der Scala auf¬
fuͤhren ſehen, und den Mordſpecktakel gehoͤrt,
der, wie gebraͤuchlich, bey ſolchen Anlaͤſſen ſtatt
findet. Ihr Italiener, ſagte der Britte zu dem
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[166/0174] Der leidende Geſichtsausdruck wird bei den Italienern am ſichtbarſten, wenn man mit ihnen vom Ungluͤck ihres Vaterlandes ſpricht, und dazu giebts in Mayland genug Gelegenheit. Das iſt die ſchmerzlichſte Wunde in der Bruſt der Italiener, und ſie zucken zuſammen, ſobald man dieſe nur leiſe beruͤhrt. Sie haben alsdann eine Bewegung der Achſel, die uns mit ſonderbarem Mitleid erfuͤllt. Einer meiner Britten hielt die Italiener fuͤr politiſch indifferent, weil ſie gleichguͤltig zuzu¬ hoͤren ſchienen, wenn wir Fremde uͤber die katho¬ liſche Emanzipazion und den Tuͤrkenkrieg politi¬ ſirten; und er war ungerecht genug, gegen einen blaſſen Italiener mit pechſchwarzem Barte ſich daruͤber ſpoͤttiſch zu aͤußern. Wir hatten den Abend vorher eine neue Oper in der Scala auf¬ fuͤhren ſehen, und den Mordſpecktakel gehoͤrt, der, wie gebraͤuchlich, bey ſolchen Anlaͤſſen ſtatt findet. Ihr Italiener, ſagte der Britte zu dem Blaſſen, ſcheint fuͤr alles abgeſtorben zu ſeyn,

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/174>, abgerufen am 28.04.2024.