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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

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materielle, und als ob die Welthistorie nicht mehr
eine Räubergeschichte, sondern eine Geistergeschichte
seyn solle. Der Haupthebel, den ehrgeizige und
habsüchtige Fürsten zu ihren Privatzwecken sonst
so wirksam in Bewegung zu setzen wußten, nem¬
lich die Nazionalität mit ihrer Eitelkeit und
ihrem Haß, ist jetzt morsch und abgenutzt; täg¬
lich verschwinden mehr und mehr die thörigten
Nazionalvorurtheile, alle schroffen Besonderheiten
gehen unter in der Allgemeinheit der europäischen
Civilisation, es giebt jetzt in Europa keine Na¬
zionen mehr, sondern nur Partheyen, und es
ist ein wundersamer Anblick, wie diese, trotz der
mannigfaltigsten Farben sich sehr gut erkennen,
und trotz der vielen Sprachverschiedenheiten sich
sehr gut verstehen. Wie es eine materielle
Staatenpolitik giebt, so giebt es jetzt auch eine
geistige Partheypolitik; und wie die Staaten¬
politik auch den kleinsten Krieg, der zwischen den
zwey unbedeutendsten Mächten ausbräche, gleich

materielle, und als ob die Welthiſtorie nicht mehr
eine Raͤubergeſchichte, ſondern eine Geiſtergeſchichte
ſeyn ſolle. Der Haupthebel, den ehrgeizige und
habſuͤchtige Fuͤrſten zu ihren Privatzwecken ſonſt
ſo wirkſam in Bewegung zu ſetzen wußten, nem¬
lich die Nazionalitaͤt mit ihrer Eitelkeit und
ihrem Haß, iſt jetzt morſch und abgenutzt; taͤg¬
lich verſchwinden mehr und mehr die thoͤrigten
Nazionalvorurtheile, alle ſchroffen Beſonderheiten
gehen unter in der Allgemeinheit der europaͤiſchen
Civiliſation, es giebt jetzt in Europa keine Na¬
zionen mehr, ſondern nur Partheyen, und es
iſt ein wunderſamer Anblick, wie dieſe, trotz der
mannigfaltigſten Farben ſich ſehr gut erkennen,
und trotz der vielen Sprachverſchiedenheiten ſich
ſehr gut verſtehen. Wie es eine materielle
Staatenpolitik giebt, ſo giebt es jetzt auch eine
geiſtige Partheypolitik; und wie die Staaten¬
politik auch den kleinſten Krieg, der zwiſchen den
zwey unbedeutendſten Maͤchten ausbraͤche, gleich

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[178/0186] materielle, und als ob die Welthiſtorie nicht mehr eine Raͤubergeſchichte, ſondern eine Geiſtergeſchichte ſeyn ſolle. Der Haupthebel, den ehrgeizige und habſuͤchtige Fuͤrſten zu ihren Privatzwecken ſonſt ſo wirkſam in Bewegung zu ſetzen wußten, nem¬ lich die Nazionalitaͤt mit ihrer Eitelkeit und ihrem Haß, iſt jetzt morſch und abgenutzt; taͤg¬ lich verſchwinden mehr und mehr die thoͤrigten Nazionalvorurtheile, alle ſchroffen Beſonderheiten gehen unter in der Allgemeinheit der europaͤiſchen Civiliſation, es giebt jetzt in Europa keine Na¬ zionen mehr, ſondern nur Partheyen, und es iſt ein wunderſamer Anblick, wie dieſe, trotz der mannigfaltigſten Farben ſich ſehr gut erkennen, und trotz der vielen Sprachverſchiedenheiten ſich ſehr gut verſtehen. Wie es eine materielle Staatenpolitik giebt, ſo giebt es jetzt auch eine geiſtige Partheypolitik; und wie die Staaten¬ politik auch den kleinſten Krieg, der zwiſchen den zwey unbedeutendſten Maͤchten ausbraͤche, gleich

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/186>, abgerufen am 28.04.2024.