Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

Jesus Christus selbst, der uns bisher immer für
ein Muster der Demuth und Bescheidenheit ge¬
golten. Christus hätte jemals geprahlt? der be¬
scheidenste der Menschen, um so bescheidener als
er der göttlichste war? Ja, was bisher allen
Theologen entgangen ist, das entdeckte der Graf
Platen, denn er insinuirt uns: Christus, als er
vor Pilatus gestanden, sey ebenfalls nicht beschei¬
den gewesen, und habe nicht bescheiden geantwor¬
tet, sondern als jener ihn frug, bist du der König
der Juden? habe er gesprochen: du sagst es.
Und so sage auch Er, der Graf Platen: Ich bin
es, ich bin der Poet! -- Was nie dem Hasse
eines Verächters Christi gelungen ist, das gelang
der Exegese selbstverliebter Eitelkeit.

Wie wir wissen, was wir davon zu halten,
wenn Einer solchermaßen beständig schreit: Ich
bin der Poet! so wissen wir auch, was es für
eine Bewandtniß hat mit den ganz außerordent¬

Jeſus Chriſtus ſelbſt, der uns bisher immer fuͤr
ein Muſter der Demuth und Beſcheidenheit ge¬
golten. Chriſtus haͤtte jemals geprahlt? der be¬
ſcheidenſte der Menſchen, um ſo beſcheidener als
er der goͤttlichſte war? Ja, was bisher allen
Theologen entgangen iſt, das entdeckte der Graf
Platen, denn er inſinuirt uns: Chriſtus, als er
vor Pilatus geſtanden, ſey ebenfalls nicht beſchei¬
den geweſen, und habe nicht beſcheiden geantwor¬
tet, ſondern als jener ihn frug, biſt du der Koͤnig
der Juden? habe er geſprochen: du ſagſt es.
Und ſo ſage auch Er, der Graf Platen: Ich bin
es, ich bin der Poet! — Was nie dem Haſſe
eines Veraͤchters Chriſti gelungen iſt, das gelang
der Exegeſe ſelbſtverliebter Eitelkeit.

Wie wir wiſſen, was wir davon zu halten,
wenn Einer ſolchermaßen beſtaͤndig ſchreit: Ich
bin der Poet! ſo wiſſen wir auch, was es fuͤr
eine Bewandtniß hat mit den ganz außerordent¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0396" n="388"/>
Je&#x017F;us Chri&#x017F;tus &#x017F;elb&#x017F;t, der uns bisher immer fu&#x0364;r<lb/>
ein Mu&#x017F;ter der Demuth und Be&#x017F;cheidenheit ge¬<lb/>
golten. Chri&#x017F;tus ha&#x0364;tte jemals geprahlt? der be¬<lb/>
&#x017F;cheiden&#x017F;te der Men&#x017F;chen, um &#x017F;o be&#x017F;cheidener als<lb/>
er der go&#x0364;ttlich&#x017F;te war? Ja, was bisher allen<lb/>
Theologen entgangen i&#x017F;t, das entdeckte der Graf<lb/>
Platen, denn er in&#x017F;inuirt uns: Chri&#x017F;tus, als er<lb/>
vor Pilatus ge&#x017F;tanden, &#x017F;ey ebenfalls nicht be&#x017F;chei¬<lb/>
den gewe&#x017F;en, und habe nicht be&#x017F;cheiden geantwor¬<lb/>
tet, &#x017F;ondern als jener ihn frug, bi&#x017F;t du der Ko&#x0364;nig<lb/>
der Juden? habe er ge&#x017F;prochen: du &#x017F;ag&#x017F;t es.<lb/>
Und &#x017F;o &#x017F;age auch Er, der Graf Platen: Ich bin<lb/>
es, ich bin der Poet! &#x2014; Was nie dem Ha&#x017F;&#x017F;e<lb/>
eines Vera&#x0364;chters Chri&#x017F;ti gelungen i&#x017F;t, das gelang<lb/>
der Exege&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;tverliebter Eitelkeit.</p><lb/>
          <p>Wie wir wi&#x017F;&#x017F;en, was wir davon zu halten,<lb/>
wenn Einer &#x017F;olchermaßen be&#x017F;ta&#x0364;ndig &#x017F;chreit: Ich<lb/>
bin der Poet! &#x017F;o wi&#x017F;&#x017F;en wir auch, was es fu&#x0364;r<lb/>
eine Bewandtniß hat mit den ganz außerordent¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[388/0396] Jeſus Chriſtus ſelbſt, der uns bisher immer fuͤr ein Muſter der Demuth und Beſcheidenheit ge¬ golten. Chriſtus haͤtte jemals geprahlt? der be¬ ſcheidenſte der Menſchen, um ſo beſcheidener als er der goͤttlichſte war? Ja, was bisher allen Theologen entgangen iſt, das entdeckte der Graf Platen, denn er inſinuirt uns: Chriſtus, als er vor Pilatus geſtanden, ſey ebenfalls nicht beſchei¬ den geweſen, und habe nicht beſcheiden geantwor¬ tet, ſondern als jener ihn frug, biſt du der Koͤnig der Juden? habe er geſprochen: du ſagſt es. Und ſo ſage auch Er, der Graf Platen: Ich bin es, ich bin der Poet! — Was nie dem Haſſe eines Veraͤchters Chriſti gelungen iſt, das gelang der Exegeſe ſelbſtverliebter Eitelkeit. Wie wir wiſſen, was wir davon zu halten, wenn Einer ſolchermaßen beſtaͤndig ſchreit: Ich bin der Poet! ſo wiſſen wir auch, was es fuͤr eine Bewandtniß hat mit den ganz außerordent¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/396
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 3. Hamburg, 1830, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder03_1830/396>, abgerufen am 14.05.2024.