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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Getrennten? Etwa dass irgend ein besonderes, neues
Bindungsmittel
dazu komme? Das wohl nicht; aber
was denn sonst? -- --

Alle unsere Vorstellungen, bloss und ledig-
lich darum, weil sie in uns beysammen sind,
würden ein einziges, aus gar keinen Theilen be-
stehendes, gar keiner Art von Absonderung fä-
higes, Object vorstellen, -- und zwar eben so-
wohl ein unzeitliches als ein unräumliches Ob-
ject; -- wenn die bekannten Hemmungen und
Gegensätze der Vorstellungen nicht wären
.

Was nun die Hemmungen nicht trennen,
(unmittelbar oder mittelbar,) das bleibt beysammen,
und wird vorgestellt als Eins
.

Man frage also gar nicht, wie es zugehe, dass, wenn
wir z. B. eine Glocke wahrnehmen, und sie durch ihre
verschiedenen Merkmale als Ein Ding auffassen, die Farbe
und Gestalt der Glocke mit ihrem Klange und ihrer Härte
und Kälte zusammengefasst werde. Man frage auch nicht,
welche Verstandeshandlung aus Blättern und Zweigen,
Blüthen und Früchten, den Aesten und dem Stamme,
einen Baum construire. Sondern man frage lieber, warum
nicht die Glocke auch noch mit dem Gebälke, woran sie
hängt, der Baum auch noch mit dem Boden, worin er
steht, zusammengefasst, und für ein einziges Ding gehal-
ten werde? Darauf ist alsdann die Antwort, dass aller-
dings diese letzte Art der Auffassung die ursprüngliche
ist; dass wir die gleichzeitige Umgebung nur bloss darum
nicht als Ein Ding, sondern als eine Summe von Din-
gen ansehen, weil diese Umgebung zerreisst, indem die
Dinge von ihren Plätzen rücken, oder auch der Sinn
bald mehr bald weniger von ihnen zusammen fasst, oder
endlich der Standpunct des Wahrnehmenden geändert
wird; wobey neue Complexionen von Vorstellungen ge-
bildet werden, die mit den früheren in mancherley Hem-
mungsverhältnisse gerathen. Nichtsdestoweniger aber blei-
ben auch die früheren Complexionen noch wirksam; so

Getrennten? Etwa daſs irgend ein besonderes, neues
Bindungsmittel
dazu komme? Das wohl nicht; aber
was denn sonst? — —

Alle unsere Vorstellungen, bloſs und ledig-
lich darum, weil sie in uns beysammen sind,
würden ein einziges, aus gar keinen Theilen be-
stehendes, gar keiner Art von Absonderung fä-
higes, Object vorstellen, — und zwar eben so-
wohl ein unzeitliches als ein unräumliches Ob-
ject; — wenn die bekannten Hemmungen und
Gegensätze der Vorstellungen nicht wären
.

Was nun die Hemmungen nicht trennen,
(unmittelbar oder mittelbar,) das bleibt beysammen,
und wird vorgestellt als Eins
.

Man frage also gar nicht, wie es zugehe, daſs, wenn
wir z. B. eine Glocke wahrnehmen, und sie durch ihre
verschiedenen Merkmale als Ein Ding auffassen, die Farbe
und Gestalt der Glocke mit ihrem Klange und ihrer Härte
und Kälte zusammengefaſst werde. Man frage auch nicht,
welche Verstandeshandlung aus Blättern und Zweigen,
Blüthen und Früchten, den Aesten und dem Stamme,
einen Baum construire. Sondern man frage lieber, warum
nicht die Glocke auch noch mit dem Gebälke, woran sie
hängt, der Baum auch noch mit dem Boden, worin er
steht, zusammengefaſst, und für ein einziges Ding gehal-
ten werde? Darauf ist alsdann die Antwort, daſs aller-
dings diese letzte Art der Auffassung die ursprüngliche
ist; daſs wir die gleichzeitige Umgebung nur bloſs darum
nicht als Ein Ding, sondern als eine Summe von Din-
gen ansehen, weil diese Umgebung zerreiſst, indem die
Dinge von ihren Plätzen rücken, oder auch der Sinn
bald mehr bald weniger von ihnen zusammen faſst, oder
endlich der Standpunct des Wahrnehmenden geändert
wird; wobey neue Complexionen von Vorstellungen ge-
bildet werden, die mit den früheren in mancherley Hem-
mungsverhältnisse gerathen. Nichtsdestoweniger aber blei-
ben auch die früheren Complexionen noch wirksam; so

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[168/0203] Getrennten? Etwa daſs irgend ein besonderes, neues Bindungsmittel dazu komme? Das wohl nicht; aber was denn sonst? — — Alle unsere Vorstellungen, bloſs und ledig- lich darum, weil sie in uns beysammen sind, würden ein einziges, aus gar keinen Theilen be- stehendes, gar keiner Art von Absonderung fä- higes, Object vorstellen, — und zwar eben so- wohl ein unzeitliches als ein unräumliches Ob- ject; — wenn die bekannten Hemmungen und Gegensätze der Vorstellungen nicht wären. Was nun die Hemmungen nicht trennen, (unmittelbar oder mittelbar,) das bleibt beysammen, und wird vorgestellt als Eins. Man frage also gar nicht, wie es zugehe, daſs, wenn wir z. B. eine Glocke wahrnehmen, und sie durch ihre verschiedenen Merkmale als Ein Ding auffassen, die Farbe und Gestalt der Glocke mit ihrem Klange und ihrer Härte und Kälte zusammengefaſst werde. Man frage auch nicht, welche Verstandeshandlung aus Blättern und Zweigen, Blüthen und Früchten, den Aesten und dem Stamme, einen Baum construire. Sondern man frage lieber, warum nicht die Glocke auch noch mit dem Gebälke, woran sie hängt, der Baum auch noch mit dem Boden, worin er steht, zusammengefaſst, und für ein einziges Ding gehal- ten werde? Darauf ist alsdann die Antwort, daſs aller- dings diese letzte Art der Auffassung die ursprüngliche ist; daſs wir die gleichzeitige Umgebung nur bloſs darum nicht als Ein Ding, sondern als eine Summe von Din- gen ansehen, weil diese Umgebung zerreiſst, indem die Dinge von ihren Plätzen rücken, oder auch der Sinn bald mehr bald weniger von ihnen zusammen faſst, oder endlich der Standpunct des Wahrnehmenden geändert wird; wobey neue Complexionen von Vorstellungen ge- bildet werden, die mit den früheren in mancherley Hem- mungsverhältnisse gerathen. Nichtsdestoweniger aber blei- ben auch die früheren Complexionen noch wirksam; so

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/203>, abgerufen am 27.04.2024.