Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

aber der Zweck erreicht: dann verschwindet das Band
der Gesellschaft: oder es muss von neuem geknüpft wer-
den. Sind die neuen Wohnsitze gewonnen: so will Je-
der bequem wohnen; der Heerführer theilt den Gewinn,
die Einzelnen nehmen ihre Loose in Empfang; und die
Gesellschaft würde aufgelös't seyn, nachdem Jeder mit
seinem Antheil an der Beute davon ging, -- wenn man
in dem neuen Lande gefahrlos wohnen könnte. Man
kann es nicht, die Gesellschaft sollte also erneuert wer-
den, mit verändertem Zweck, nämlich dem des Schutzes
wider die besiegten Feinde. Sie erneuert sich wirklich;
unter dem nämlichen Oberhaupte, dem noch stets krie-
gerisch gerüsteten Heerführer; aber sie kann nicht wie-
der die vorige Innigkeit der Verbindung erlangen; denn
das Kriegsheer ist verändert. Wer auf seinem Loose,
(dem Allodial-Gute) wohnen will, der muss sich hal-
ten gegen die Feinde, mit denen er getheilt hat; dahin
geht die Richtung seiner Kraft. Das Oberhaupt hat das
grösste Loos, folglich die meisten Feinde, nämlich an
der alten Bevölkerung; seine Spannung ist schon des-
halb die grösste; überdies kommt ihm zu, für Alle zu
wachen. Auf Jene, die mit ihren eignen Loosen be-
schäftigt sind, kann er nicht mit Sicherheit zählen. Sein
eignes Besitzthum, und seine nächsten Getreuen, müssen
ihm aushelfen. Diesen Getreuen, die sich dergestalt an
ihn angeschlossen haben, dass sie nicht neben ihm als
Glieder der Gesellschaft zu gelten, sondern, ohne alle
Hemmung
, seiner Person anzugehören, und dieselbe
unmittelbar zu verstärken begehren, -- diesen Dienern,
oder dienstwilligen Freyen, theilt er von seinem
Gute mit, doch unter Bedingungen, wie es die Umstände
erfordern. In diesem Kreise seiner Vasallen ist er
nicht bloss Fürst, sondern Herrscher in strengem
Sinne. -- Die Diener ahmen nun allmählig dem Herrn
nach; sie selbst werden Herren. Die Allodien weichen
den Lehnen; und gegen die zu hoch gestiegenen Lehns-
träger erheben sich aus dem Schoosse der Macht, jün-

aber der Zweck erreicht: dann verschwindet das Band
der Gesellschaft: oder es muſs von neuem geknüpft wer-
den. Sind die neuen Wohnsitze gewonnen: so will Je-
der bequem wohnen; der Heerführer theilt den Gewinn,
die Einzelnen nehmen ihre Loose in Empfang; und die
Gesellschaft würde aufgelös’t seyn, nachdem Jeder mit
seinem Antheil an der Beute davon ging, — wenn man
in dem neuen Lande gefahrlos wohnen könnte. Man
kann es nicht, die Gesellschaft sollte also erneuert wer-
den, mit verändertem Zweck, nämlich dem des Schutzes
wider die besiegten Feinde. Sie erneuert sich wirklich;
unter dem nämlichen Oberhaupte, dem noch stets krie-
gerisch gerüsteten Heerführer; aber sie kann nicht wie-
der die vorige Innigkeit der Verbindung erlangen; denn
das Kriegsheer ist verändert. Wer auf seinem Loose,
(dem Allodial-Gute) wohnen will, der muſs sich hal-
ten gegen die Feinde, mit denen er getheilt hat; dahin
geht die Richtung seiner Kraft. Das Oberhaupt hat das
gröſste Loos, folglich die meisten Feinde, nämlich an
der alten Bevölkerung; seine Spannung ist schon des-
halb die gröſste; überdies kommt ihm zu, für Alle zu
wachen. Auf Jene, die mit ihren eignen Loosen be-
schäftigt sind, kann er nicht mit Sicherheit zählen. Sein
eignes Besitzthum, und seine nächsten Getreuen, müssen
ihm aushelfen. Diesen Getreuen, die sich dergestalt an
ihn angeschlossen haben, daſs sie nicht neben ihm als
Glieder der Gesellschaft zu gelten, sondern, ohne alle
Hemmung
, seiner Person anzugehören, und dieselbe
unmittelbar zu verstärken begehren, — diesen Dienern,
oder dienstwilligen Freyen, theilt er von seinem
Gute mit, doch unter Bedingungen, wie es die Umstände
erfordern. In diesem Kreise seiner Vasallen ist er
nicht bloſs Fürst, sondern Herrscher in strengem
Sinne. — Die Diener ahmen nun allmählig dem Herrn
nach; sie selbst werden Herren. Die Allodien weichen
den Lehnen; und gegen die zu hoch gestiegenen Lehns-
träger erheben sich aus dem Schooſse der Macht, jün-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0059" n="24"/>
aber der Zweck erreicht: dann verschwindet das Band<lb/>
der Gesellschaft: oder es mu&#x017F;s von neuem geknüpft wer-<lb/>
den. Sind die neuen Wohnsitze gewonnen: so will Je-<lb/>
der bequem wohnen; der Heerführer theilt den Gewinn,<lb/>
die Einzelnen nehmen ihre Loose in Empfang; und die<lb/>
Gesellschaft würde aufgelös&#x2019;t seyn, nachdem Jeder mit<lb/><hi rendition="#g">seinem</hi> Antheil an der Beute davon ging, &#x2014; wenn man<lb/>
in dem neuen Lande gefahrlos wohnen könnte. Man<lb/>
kann es nicht, die Gesellschaft sollte also erneuert wer-<lb/>
den, mit verändertem Zweck, nämlich dem des Schutzes<lb/>
wider die besiegten Feinde. Sie erneuert sich wirklich;<lb/>
unter dem nämlichen Oberhaupte, dem noch stets krie-<lb/>
gerisch gerüsteten Heerführer; aber sie kann nicht wie-<lb/>
der die vorige Innigkeit der Verbindung erlangen; denn<lb/>
das Kriegsheer ist verändert. Wer auf seinem Loose,<lb/>
(dem <hi rendition="#g">Allodial-</hi>Gute) wohnen will, der mu&#x017F;s sich hal-<lb/>
ten gegen die Feinde, mit denen er getheilt hat; dahin<lb/>
geht die Richtung seiner Kraft. Das Oberhaupt hat das<lb/>
grö&#x017F;ste Loos, folglich die meisten Feinde, nämlich an<lb/>
der alten Bevölkerung; seine Spannung ist schon des-<lb/>
halb die grö&#x017F;ste; überdies kommt ihm zu, für Alle zu<lb/>
wachen. Auf Jene, die mit ihren eignen Loosen be-<lb/>
schäftigt sind, kann er nicht mit Sicherheit zählen. Sein<lb/>
eignes Besitzthum, und seine nächsten Getreuen, müssen<lb/>
ihm aushelfen. Diesen Getreuen, die sich dergestalt an<lb/>
ihn angeschlossen haben, da&#x017F;s sie nicht <hi rendition="#g">neben</hi> ihm als<lb/>
Glieder der Gesellschaft zu gelten, sondern, <hi rendition="#g">ohne alle<lb/>
Hemmung</hi>, seiner Person anzugehören, und dieselbe<lb/>
unmittelbar zu verstärken begehren, &#x2014; diesen <hi rendition="#g">Dienern</hi>,<lb/>
oder <hi rendition="#g">dienstwilligen Freyen</hi>, theilt er von seinem<lb/>
Gute mit, doch unter Bedingungen, wie es die Umstände<lb/>
erfordern. In diesem Kreise seiner <hi rendition="#g">Vasallen</hi> ist er<lb/>
nicht blo&#x017F;s <hi rendition="#g">Fürst</hi>, sondern <hi rendition="#g">Herrscher</hi> in strengem<lb/>
Sinne. &#x2014; Die Diener ahmen nun allmählig dem Herrn<lb/>
nach; sie selbst werden Herren. Die Allodien weichen<lb/>
den <hi rendition="#g">Lehnen</hi>; und gegen die zu hoch gestiegenen Lehns-<lb/>
träger erheben sich aus dem Schoo&#x017F;se der Macht, jün-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0059] aber der Zweck erreicht: dann verschwindet das Band der Gesellschaft: oder es muſs von neuem geknüpft wer- den. Sind die neuen Wohnsitze gewonnen: so will Je- der bequem wohnen; der Heerführer theilt den Gewinn, die Einzelnen nehmen ihre Loose in Empfang; und die Gesellschaft würde aufgelös’t seyn, nachdem Jeder mit seinem Antheil an der Beute davon ging, — wenn man in dem neuen Lande gefahrlos wohnen könnte. Man kann es nicht, die Gesellschaft sollte also erneuert wer- den, mit verändertem Zweck, nämlich dem des Schutzes wider die besiegten Feinde. Sie erneuert sich wirklich; unter dem nämlichen Oberhaupte, dem noch stets krie- gerisch gerüsteten Heerführer; aber sie kann nicht wie- der die vorige Innigkeit der Verbindung erlangen; denn das Kriegsheer ist verändert. Wer auf seinem Loose, (dem Allodial-Gute) wohnen will, der muſs sich hal- ten gegen die Feinde, mit denen er getheilt hat; dahin geht die Richtung seiner Kraft. Das Oberhaupt hat das gröſste Loos, folglich die meisten Feinde, nämlich an der alten Bevölkerung; seine Spannung ist schon des- halb die gröſste; überdies kommt ihm zu, für Alle zu wachen. Auf Jene, die mit ihren eignen Loosen be- schäftigt sind, kann er nicht mit Sicherheit zählen. Sein eignes Besitzthum, und seine nächsten Getreuen, müssen ihm aushelfen. Diesen Getreuen, die sich dergestalt an ihn angeschlossen haben, daſs sie nicht neben ihm als Glieder der Gesellschaft zu gelten, sondern, ohne alle Hemmung, seiner Person anzugehören, und dieselbe unmittelbar zu verstärken begehren, — diesen Dienern, oder dienstwilligen Freyen, theilt er von seinem Gute mit, doch unter Bedingungen, wie es die Umstände erfordern. In diesem Kreise seiner Vasallen ist er nicht bloſs Fürst, sondern Herrscher in strengem Sinne. — Die Diener ahmen nun allmählig dem Herrn nach; sie selbst werden Herren. Die Allodien weichen den Lehnen; und gegen die zu hoch gestiegenen Lehns- träger erheben sich aus dem Schooſse der Macht, jün-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/59
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/59>, abgerufen am 01.05.2024.